Mit den „High-Stack“-Sohlen moderner Laufschuhe ­rücken Daten wie Standhöhe, Vorfuß- und Rückfuß-­Höhe sowie Sprengung in den Blickpunkt. Was es damit auf sich hat – und warum dennoch das Gefühl den Blick aufs Datenblatt schlägt.

Christof Domenig
Christof Domenig


„Als man vom geraden Ski zum Carvingski gekommen ist, hat der Skimarkt richtig aufgeblüht. So ähnlich scheint es jetzt am Laufschuhmarkt zu sein“, kann Michael Wernbacher, Eigentümer von zwei Running-Stores („WEMOVE“) in Wien seine Begeisterung dafür nicht verhehlen, wie derzeit die Produktentwicklung bei Laufschuhen vorangetrieben wird: „Die hohen Sohlen haben ordentlich etwas ausgelöst und nachbewirkt.“ Um bei dem Vergleich zu bleiben: Die Carving-Revolution brachte viel mehr Fahrspaß auf die Pisten, vor allem auch für alle mit nicht so ausgefeilter Skitechnik. Jahre später kamen vorne und hinten noch markante Aufbiegungen bei den Skiern – die „Rocker-Konstruktion“ – als technisches i-Tüpfelchen dazu.

Gebogene Rockersohlen sind heute auch ein typisches Erkennungszeichen für die moderne Generation Laufschuhe. Dicke, hohe, Mittelsohlen, sogenannte „High Stacks“, sind das ebenso auffällige zweite Merkmal. Besagte Zwischensohlen bestehen aus Kunststoff-Schäumen, die nicht nur für Dämpfung sorgen, sondern auch beim Landen gespeicherte Energie wieder abgeben, also „reaktiv“ sind und einen Rebound-Effekt ermöglichen – das dritte Hauptmerkmal der modernen Schuhe. Gemeinsam mit etlichen weiteren technischen Kniffen fördert all das ein aktives, leichtes und Spaß machendes Laufgefühl. Einen „Nach-vorne-Schub“, wie es Wernbacher ausdrückt.

Interessanterweise gibt es von den Laufschuhen mit der modernen Geometrie solche, die die Weltelite schneller machen – Wettkampfschuhe, die in der Regel durch eine Carbonplatte im Inneren gekennzeichnet sind. Und wiederum andere, sehr gut gedämpfte und dennoch auch äußerst reaktive Laufschuhe, die Laufgefühl und -spaß für die breite Masse auf ein neues Level heben. Auch deshalb passt der Ski-Vergleich also so gut.

Was Daten verraten
Mit den neuen Geometrien der Laufschuhe sind auch einige Daten vermehrt in den Blickpunkt gerückt, die von Herstellern zunehmend offensiver kommuniziert werden. Die Standhöhe von Vorfuß und Rückfuß – und damit in Verbindung: die Sprengung, englisch als „Drop“ bezeichnet, die die Differenz zwischen Vorfuß-  und Rückfußhöhe meint. „Für Hersteller gibt es zwei Gründe, diese Daten zu kommunizieren“, sagt Rohan van der Zwet, Senior- Product-Marketing-Manager von ASICS dazu, „einer bezieht sich auf die offiziellen Vorschriften für die Wettkampfschuhe.“ Erklärung: Die ersten Carbon-Wettkampfschuhe, die die erwähnte Revolution im Laufschuhbau letztlich auslösten, waren noch einmal höher, ehe der Leichtathletik-Weltverband die Standhöhe auf maximal 40 mm begrenzte, um dem technischen Wettrüsten ein Korsett zu geben. Verfügt ein Wettkampfschuh beispielsweise über 39 mm Standhöhe, weiß man also: knapp am Maximum.

Der zweite Grund, so van der Zwet: „Da der Trend am Markt stark zu den höheren Stacks geht, wird die Kommunikation über Höhe und Sprengung als nützlich wahrgenommen. Und das wahrscheinlich auch von jenen Läufern, die keine höheren Stacks wollen – auch sie möchten Einblick in die technischen Merkmale der Schuhe inklusive der Höhe haben.“  Im Gegensatz zur Standhöhe wurde über Sprengung auch in der Vergangenheit viel gesprochen. In manchen Läuferkreisen und in Blogs wird die Differenz zwischen Vorfuß und Rückfuß sogar oft leidenschaftlich diskutiert, deutlich mehr, als es für Freizeitläufer relevant ist, findet Michael Wernbacher.

Warum gibt es überhaupt eine Fersenerhöhung? Wernbacher erklärt das mit den Absätzen der Alltagsschuhe: Unser Körper sei darauf eingestellt, der Gleichgewichtssinn pendelt den Körper entsprechend aus. Rund ums Jahr 2010 im Zuge des „Natural-Running-Trends“, und nochmals rund um 2017 wurde „Zero Drop“, also null mm Sprengung, eine Zeitlang vermehrt propagiert – was sich aber für das Gros der Läufer als Irrweg erwies.

In der Regel liegt die Sprengung heute zwischen 4 und 12 mm, wobei oft bis 6 als wenig, 7 bis 9 als mittel und ab 10 mm als eher viel Sprengung wahrgenommen wird. Die Belastung für Achillessehne und Wade ist mit geringerer Sprengung höher, entsprechend gut muss der körperliche Zustand sein. Auch auf den Laufstil kommt es an. „Grundsätzlich sagt man: Wenn man über die Ferse läuft – unabhängig davon, ob das jetzt gut oder schlecht ist – bringt Sprengung mehr Dynamik. Wenn man über den Mittelfuß läuft, kommt man mit wenig Sprengung leichter von der Ferse weg“, erklärt Wernbacher. Auch wenn der Laufstil von Freizeitläufern in den letzten Jahren besser wurde, weiß der Experte aus einer Vielzahl an Laufstilanalysen, dass die große Mehrheit „sitzend“ und über die Ferse laufe.

ASICS-Experte Rohan van der Zwet: Die oft gehörte Faustregel, „je besser und trainierter man als Läufer ist und je besser der Laufstil, desto weniger Sprengung kann man laufen“, bestätigt er. „Man kann auch argumentieren, dass wenig Sprengung die Achillessehne stärker belastet und dass erfahrenere Läufer über stärkere Sehnen und Muskeln verfügen, was die Hypothese ebenfalls stützt.“ Wettkampfschuhe verfügen daher bei hoher Standhöhe meist über tendenziell wenig Sprengung, gedämpfte Schuhe für die Masse über tendenziell mehr. Aber, so betont es auch van der Zwet: Zahlen sind vergleichsweise wenig wichtig – die gesamte Geometrie und die Schäume spielen definitiv eine viel größere Rolle, ob Schuh und Läufer zueinanderpassen.
 

Langsam oder schnell?
ASICS hat bei seinem neuen Flaggschiff in der modernen Dämpfungskategorie, dem Gel Nimbus 25, die Sprengung von 10 (Männer) bzw. 13 mm (Frauen) auf 8 mm reduziert – ein Detail, das Endverbraucher und vor allem Freizeitläufer nur wenig beschäftigen muss. Denn wie bei Fahrrädern, wo noch viel mehr in Geometriedaten kommuniziert wird, sagen auch bei Laufschuhen einzelne Daten letztlich nur wenig aus. Wichtig ist ein stimmiges Gesamtkonzept.

Für die Läuferinnen und Läufer sehen unsere Experten es als viel wichtiger an, sich im Fachhandel kompetent beraten zu lassen, unterschiedliche Schuhe auszuprobieren. Eine Proberunde mit mehreren Modellen sollte möglich sein. „Wie passt mir der Schuh, was habe ich für ein Gefühl damit, wie komme ich damit weiter“, auf solche Fragen solle man sich dabei konzentrieren, empfiehlt Wernbacher. „Es gibt für jeden Schuhe, die das Gefühl vermitteln: Wow, der ist flott, während man mit anderen eher nicht weiter kommt. Die meisten denken dann, der Schuh, der sich schnell anfühlt, ist viel leichter – nein, er passt einfach besser. Zum jeweiligen Läufer.“

Wernbacher rät, sich mit einem Berater ein individuelles Schuhkonzept zu erarbeiten, und drei, vier unterschiedliche Paar abwechselnd zu verwenden: „Da sollte eine Markenvielfalt drin sein, ein richtiger Trainingsschuh sollte jedenfalls dabei sein, vielleicht ein Lightweight-­Schuh und eventuell auch einer mit weniger Sprengung.“ Um die „Carbons“, also High-End-Wettkampfschuhe artgerecht verwenden zu können, sollte man einen Marathon schon unter 3 Stunden laufen können, empfiehlt Wernbacher. Ansonsten sollte die Kaufentscheidung aufgrund des Gefühls fallen, betonen Michael Wernbacher und Rohan van der Zwet unisono: Die innere Stimme hat also Vorrang vor Zahlenspielen.