Dylan Bowman (38) ist nicht nur einer der weltbesten Ultratrailrunner, sondern will speziell den Spirit des Trailrunnings auch weitergeben. Was diesen Spirit für ihn ausmacht und warum Trailrunning die Welt verbessern kann, erklärt der BOA-Athlet in unserem Interview.

Christof Domenig
Christof Domenig

Dylan, auf der Universität hast du Lacrosse gespielt und hast erst danach mit Laufen und Trailrunning begonnen. Was hat dich zum Laufen hingezogen?
Stimmt, ich habe auf der High School und im College Lacrosse gespielt. Auf einer Position, wo ich das Feld beidseitig abzudecken hatte. Dass ich über eine gewisse Laufstärke verfüge, war mir also klar, auch wenn ich nie organisiert gelaufen bin. Nach dem College bin ich nach Aspen, Colorado, gezogen und habe mit dem Laufen begonnen, um in Form zu bleiben. Dort in den Bergen war es ganz natürlich, mit Trailrunning und nicht mit ­Straßenlaufen zu beginnen. So nahm alles seinen Lauf. 

Für deinen ersten Ultrarun, den Leadville 100, hast du dich ein Jahr lang vorbereitet und bist gleich auf Platz drei gelaufen. Was kommt dir von diesem Premieren-Ultralauf in den Sinn?
Leadville war ein Riesenziel für mich, nachdem ich über den Lauf in einer lokalen Zeitung gelesen hatte. Die Vorstellung davon hat mich gepackt und ich war neugierig, ob ich es schaffen könnte, so eine Distanz (100 Meilen bzw. rund 160 Kilometer; Anm.) zu bewältigen. Wie du gesagt hast, finishte ich auf Platz drei bei diesem ersten Versuch, nicht lange, nachdem ich mit dem Laufen begonnen hatte. Das war eine Riesenüberraschung für mich und meine Familie. Es hat mich stark motiviert und ich wollte sehen, wie gut ich als Trailrunner wirklich werden könnte.

Hast du damals schon geahnt, dass Trailrunning für viele Jahre dein Leben bestimmen würde?
Ich denke, ich hatte eine Ahnung davon, dass es etwas sein würde, was mich für viele Jahre faszinieren wird. Bald reizte es mich, alle großen 100-Meilen-Rennen – Leadville, Western States, UTMB, Hard Rock etc. – zu bewältigen. Aber es war keineswegs klar, dass ich tatsächlich eine Sportkarriere darauf aufbauen würde können. Es war ein Glück, diesen Sport professionell betreiben zu können.

Wie würdest du einem Straßenläufer den Reiz von Trailrunning in wenigen Sätzen beschreiben?
Beim Trailrunning geht es mehr um das Sammeln von Erfahrungen, um das Erlebnis als um reine Leistung. Jede Strecke ist anders, was beim Straßenlauf nicht in der gleichen Weise gilt. Deshalb wird Trailrunning, je länger man es betreibt, eine zunehmend tiefergehende und interessantere Beschäftigung, über viele Jahre hinweg, so empfinde ich es zumindest. Die Vielfalt macht süchtig und hält die Dinge immer interessant.

Wie sieht ein perfekter Trailrunning-Moment für dich aus? Passiert so ein Moment eher bei einem Trainingslauf oder in einem Wettkampf?
Ein perfekter Trailrunning-Moment besteht darin, noch vor dem Morgengrauen mit Freunden loszulaufen, auf einen Gipfel hinauf, und mit Kaffee, Gebäck und einem feinen Gespräch abzuschließen.

Geht es beim Trailrunning für dich vorrangig um Ultra-Distanzen – oder kann man  den besonderen Reiz auch als Freizeitläufer mit durchschnittlichem Trainingszustand erleben und nachvollziehen?
Sub-Ultradistanz-Trailrunning war noch nie so beliebt und relevant wie heute. Ich denke, das ist eine tolle Entwicklung für den Sport. Bei den bekanntesten Veranstaltungen handelt es sich zwar nach wie vor um überproportionale Langstrecken­events – aber der Einstieg in den Sport durch Kurzstreckenevents war noch nie so einfach wie jetzt. Das Schöne am Trailrunning ist auch, dass es so viele Wege gibt, um es zu genießen. Die Zunahme von großartigen Kurzstreckenevents trägt stark dazu bei.

Den Reiz von Trailrunning möchtest du auch mit deinem Unternehmen „Freetrail“ weitergeben – euer Motto dort lautet: „Trailrunning will save the world.“ Wie kam es zu diesem Motto und inwiefern hat Trailrunning tatsächlich das Potenzial, die Welt zu verändern oder gar zu retten?
„Trailrunning will save the world“ entstand aus einem Scherz, als wir über einen Slogan für ein T-Shirt nachdachten. Wie in allen guten Mottos steckt aber auch viel Wahres drin, auch wenn es humorvoll gemeint ist. Trailrunning macht uns auf individueller Ebene besser, indem es unsere mentale und physische Gesundheit verbessert. Wenn wir alle laufen würden, wäre die Welt ein besserer Ort und wir könnten daher „die Welt retten“. Natürlich ist uns bewusst, dass globale Probleme unglaublich komplex sind und das Motto daher zu stark vereinfacht. Aber wir glauben daran, dass der Sport eine verändernde Kraft in sich hat.

Dazu passt, dass du dich auch als Lauftrainer und Mentor im „San Quentin Prison 1000 Mile Club“ engagierst. Wie ist es, mit Gefängnisinsassen zu laufen? Kannst du ein motivierendes Erlebnis aus dieser Tätigkeit schildern? 
Meine Erfahrungen mit dem Club waren unglaublich bereichernd. Ich konnte dadurch die Ausgleich schaffende und rehabilitative Wirkung des Laufens direkt miterleben. Und ich hatte das Gefühl, über den Sport etwas davon zurückgeben zu können, was er mir zuvor geschenkt hat. Wir hatten das Glück, dass in den letzten Jahren viele unserer Clubmitglieder entlassen wurden, und der Club weist bis heute 0 % Rückfallquote auf – worauf wir sehr stolz sind.

Du hast Trailläufe fast auf der ganzen Welt bestritten. Ist der besondere Trailrunning-Spirit rund um die Welt derselbe – oder gibt es doch Unterschiede zwischen, zum Beispiel, Nordamerika, Europa, Asien?
Die Unterschiede liegen im Gelände und in der Geografie. Der Spirit von Freundschaft, Kameradschaft und Sportsgeist ist derselbe, egal, wo du auch bist. Trailrunning zieht ­ähnliche Menschen aus allen Ländern und Kulturen an, was einer der Gründe ist, die ich an der Community liebe.

Du bist auch in die Ausrüstungsentwicklung involviert. Worauf achtest du bei deinen Trailschuhen und wie unterscheidet sich ein moderner Trailschuh von einem, den es in der Anfangsphase deiner Karriere gab?
Ja, ich bin Partner von Speedland, einer neuen Schuhmarke mit Sitz in Portland. Die Schuhe sind meiner Meinung nach die fortschrittlichsten, die je gemacht wurden. Das BOA-Fit-System und die herausnehmbare Carbonplatte sind für mich herausragende technische Innovationen. Speedland ist ein großartiges Beispiel dafür, wie sehr sich die Produktseite in den letzten Jahren weiterentwickelt hat. 

Welche drei kurzen Tipps würdest du an weniger erfahrene Trailrunner weitergeben?
Erstens: Konzentriere dich darauf, Spaß zu haben und lass dich nicht zu sehr von Zahlen und Daten beeinflussen. Zweitens: Fokussiere darauf, im Laufen positive Erfahrungen für dein Leben zu sammeln, und orientiere dich nicht an oberflächlichen Zielen. Drittens: Nutze diesen Sport, um großartige Freundschaften aufzubauen. Trailrunning ist noch besser als Gemeinschaftsaktivität.

Was ist deine Vision für den Trailrunning-Sport, wohin kann er sich noch entwickeln?
Trailrunning wird weiter wachsen und sich zu einem weltweit anerkannten Profisport entwickeln. Das ist weder gut noch schlecht, sondern einfach die natürliche Entwicklung. Ich hoffe, dass wir diese Veränderungen annehmen können und gleichzeitig Raum für einen produktiven Dialog darüber schaffen, wo wir Dinge noch verbessern können. Es ist eine aufregende Zeit für Trailrunning und ich denke, es ist unsere Pflicht, den Werten des Sports treu zu bleiben, selbst wenn wir unterschiedliche Meinungen haben.

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Dylan Bowman

Geb. am 24. März 1986 in Reno, Nevada (USA), aufgewachsen in Boulder, Colorado, lebt in Marin County, Kalifornien.

Seit über einem Jahrzehnt einer der erfolgreichsten Athleten in Ultra-Trailläufen weltweit.
Top-Erfolge: 1. Plätze beim Ultra-Trail Australia 100k (2015), Tarawera Ultramarathon 100 k (2015), Ultra-Trail Mount Fuji (2016, 2018), Istria 100 (2017), UTWT Tarawera Ultramarathon (2018); 2. Platz beim Hard Rock 100 (2021); 1. Platz 2022 Wy‘east Wonder (50 Meilen).

Er ist auch Mitbegründer von Freetrail, einem Unternehmen, das sich zum Ziel gesetzt hat, die Leidenschaft für Trailrunning an die nächste Generation weiterzugeben. 

Instagram: @dylanbo