Seit Jahren bietet SPORTaktiv bei großen Laufevents ein „Pacemaker“-Service, das unerfahrenen Läufern hilft, ihren Zeitplan einzuhalten. Wer sind die Typen mit den bunten Ballons, auf denen bereits am Start die Endzeit drauf steht? Tagebuchschreiber Wolfgang Kühnelt hat vor dem Wien-Marathon drei Tempomacher getroffen.
Von Wolfgang Kühnelt
Wenn Gerhard Eggenreich den Marathon läuft, dann hat er noch reichlich Luft, um sich mit seinen Mitläufern zu unterhalten. Der 4-Stunden-Pacemaker beim Wien-Marathon hatte einst eine persönliche Bestzeit von 2:46 und ist heute vor allem als Ultraläufer unterwegs. Wer so wie er die 24 Stunden von Wörschach bereits zweimal gewonnen hat, der ist von 42 Kilometern nicht aus der Ruhe zu bringen. Schwierig an seiner Aufgabe ist es daher nicht, das geforderte Tempo zu laufen, sondern möglichst viele Hobbyläufer in der gewünschten Zeit über die Ziellinie zu bringen.
„Das Problem dabei: Viele haben irgendwann beschlossen, den Marathon in vier Stunden schaffen zu wollen – sie haben aber nicht für diese vier Stunden trainiert“, sagt der erfahrene Schrittmacher. Eggenreich fragt daher schon vor dem Start in die Runde,
wie intensiv die Vorbereitung war, und merkt dann schnell, wie die Sache ausgehen wird. Ein Tipp wie „Wäre es nicht gescheiter, wenn du etwas weiter nach hinten gehst?“ wird allerdings in den meisten Fällen ignoriert.
Sein Temporennen teilt sich der erfahrene Läufer jedenfalls akribisch ein. „Bei jedem Kilometer gibt es eine leichte Temposteigerung, damit sich auch die Trinkpausen locker ausgehen. Ab dem Halbmarathon wird dann noch ein bisschen mehr Speed gemacht, um am Ende, wenn den meisten die Kräfte ausgehen, noch etwas Zeitreserven zu haben.“
Schwächelt ein Mitläufer, dann erzählt ihm Eggenreich Geschichten, um ihn abzulenken. Luft genug hat er ja dafür. Beschwerden von Mitläufern hört er selten – „nur wenn ich das Tempo etwas variiere, gibt es manche, denen das nicht taugt“. Eggenreich kontert dann ganz ruhig: „Schau nicht auf die Uhr, lauf einfach mit mir mit, dann kommst du sicher mit deiner Wunschzeit ins Ziel.“ Nach dem Finish kommt es dann schon vor, dass der Pacemaker abgebusselt wird. Aber auch, dass einer, der verspätet einläuft, zu ihm kommt und sagt: „Okay, ich hab’s eingesehen – du hast Recht gehabt ...“
Für alle, die bei der Marathon-Endzeit wirklich den ersehnten „Dreier“ vorn stehen haben wollen, hat Gerhard noch einen Trainingstipp parat: „Bloß oft zu laufen ist zu wenig. Ab Kilometer 27 brechen die meisten ein, weil sie nicht an so lange Distanzen gewöhnt sind. Man sollte unbedingt mehrere Halbmarathons gemacht haben und im Training auch einmal 30 bis 35 km gelaufen sein.“
EIN GRUSS VOM STRASSENRAND
Reinhard Fortyn feiert beim Wien-Marathon mit dem zehnten Lauf als Pacemaker ein kleines Jubiläum. Er hat festgestellt, dass die Marathoni heute besser vorbereitet antreten als früher. „Kritik gibt es selten – und wenn, dann von Teilnehmern, die sich überschätzt haben und sich daher beschweren, dass zu schnell gelaufen wird." Und dann erlebt Reinhard auch Begegnungen der besonders interessanten Art: „In Linz hat mir einmal ein Passant mit einem Bier in der Hand bei Kilometer 40 zugerufen: ‚Na, Pacemaker, wo sind denn deine Leute?' Es war ein heißer Tag, für die meisten zu hart. Und denen, die an mir dran geblieben sind, hab ich freigegeben. Sprich: Auf den letzten Kilometer konnte jeder laufen wie er wollte."
Auch den Unterschied zwischen Netto- und Bruttozeit haben noch nicht alle verstanden: „Manche wundern sich, wenn sie die Zeit doch nicht schaffen, obwohl sie mit mir ins Ziel laufen. Die haben leider vergessen, dass sie einen Startblock weiter vorn weggelaufen sind." Schön ist es hingegen, wenn sich die Mitläufer im Ziel bedanken. „Und das kommt weit öfter vor als Kritik." Manchmal bekommt Fortyn sogar E-Mails weitergeleitet, in denen zum Beispiel steht: „Großen Dank meinem Pacemaker mit der weißen Kappe und der großen Klappe, der mir mit Ratschlägen zur Seite stand."
ZUG- UND BREMSLÄUFER
Reinhard Fortyn läuft die erste Hälfte des Marathons ein bis zwei Minuten schneller, damit ein kleiner Zeitpolster entsteht. Diese Taktik teilt er auch seinen Mitläufern vor dem Start mit. Unterwegs achtet er darauf, dass seine Schützlinge die Labestellen nutzen, und dass sie sich an heißen Tagen zwischendurch abkühlen. Die wichtigste Aufgabe sieht er aber im richtigen Umgang mit der Geschwindigkeit: „In Deutschland sagt man zu den Pacemakern auch ,Zug- und Bremsläufer‘, was meiner Meinung nach die bessere Bezeichnung ist. Ich kenne das von mir selbst, als ich mich zu Beginn meiner Laufkarriere von anderen Läufern oft zu sehr mitreißen ließ und auch einen ,Bremser‘ gebraucht hätte.“
Eine fixe Regel gibt es nicht, welche Bestzeit ein Pacemaker laufen muss, um entsprechend eingeteilt zu werden. Aber klar ist, dass einiges an Reserven vorhanden sein sollte. Alex Gassner etwa läuft in Wien den Halbmarathon als 2:15er-Pacemaker, hat die Distanz aber selbst schon in 1:24 bewältigt.
GENAUE BERECHNUNG
Über die Viererstaffel beim 24-Stunden-Lauf kam der erfahrene Läufer in den SPORTaktiv-Pool für Tempomacher. „Als Pacemaker hatte ich bisher eigentlich nur schöne Momente,“ sagt Gassner, „wenn man jemanden in seiner Wunschzeit ins Ziel bringt, ist das schon auch für mich ein Grund zur Freude.“ Viele versuchen, sich einen „Vorsprung“ herauszulaufen, nicht wenige allerdings holt Alex Gassner irgendwann wieder ein. Er hält sich dabei genau an die errechnete Kilometerzeit, kalkuliert aber vernünftigerweise auch jeweils ein paar Sekunden für die Labestationen mit ein.
Was der Pacemaker seinen „Kunden“, von denen wahrscheinlich einige in Wien ihre Halbmarathon-Premiere feiern, empfiehlt, um eine moderate Endzeit von 2:15 zu schaffen? Alex Gassner lacht: „Trainieren natürlich. Am besten mit einem richtigen Plan. Gerade bei großen Laufevents wie in Wien seh ich schon öfter Leute, bei denen ich mir denke: Die haben ja gerade erst mit dem Laufen begonnen.“
Wenn aber dann im Rennen alles passt und seine Schützlinge im Schlepptau die Geschwindigkeit halten können, bekommen sie von Pacemaker Alex auch gute Unterhaltung geboten. „Natürlich reden wir am Anfang mehr und es wird gegen Ende hin immer ruhiger. Der wichtigste Gedanke für mich ist, dass ich sie dabei unterstütze, dass sie ihr Ziel erreichen. Dann habe auch ich als Pacemaker mein Ziel erreicht.“
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