Jasmin, warum spielen Sie vier Stunden Billard am Tag?
Weil es zu meiner Leidenschaft geworden ist! Ich habe sehr früh mein Talent gefunden und wollte sehen, wie weit ich es treiben kann. Immer wieder stehe ich am Tisch und finde neue Situationen, die ich meistern muss. Ich bin voll konzentriert, sehe nur noch die Kugeln – und alles andere verschwindet.
Sie beschäftigen sich stundenlang mit diesen Kugeln. Haben Sie eine Lieblingskugel?
Na ja, das ist schon die 9. Sie ist die entscheidende Kugel im 9er-Ball. Darum dreht sich alles und deshalb ist sie mir auch am wichtigsten.
Welche Farbe hat diese Kugel?
Die ist gelbweiß.
Gibt es denn auch eine Kugel, zu der Sie ein eher schlechtes Verhältnis haben? Die Blaue vielleicht.
An und für sich nicht, aber ich werde mal drauf achten! Generell denke ich aber, es hat schon schlimme und schöne Situationen mit jeder Kugel gegeben. Diese schlimmen und schönen Situationen liegen beim Billard nur Millimeter auseinander.
Treffer oder voll daneben. Ist das nicht unfair?
So sind die Regeln, so läuft das Spiel. Es geht eben um absolute Präzision.
Ist der nächste Stoß deshalb auch immer eine absolut strategische Überlegung? Oder kommt das auch mal aus dem Bauch, nach dem Motto: „Jetzt hab‘ ich Bock auf die Gelbe.“
Da entscheidet oft die Tagesform. „Defensiv oder offensiv? Wie fühle ich mich? Bin ich im Rückstand oder weit vorne?Habe ich einen ähnlichen Ball schon getroffen?“ Das sind so Monologe, die man im Kopf führt und mit dem Bauch entscheidet.
Und trotzdem geht der Stoß knapp vorbei. Ist das dann Pech oder Versagen?
Zum Großteil ist es eigenes Versagen. Es gibt aber Situationen, bei denen der Tisch oder die Spielbedingungen Einfluss nehmen können. Ich hab kürzlich in Portugal einen ganz wichtigen Ball verschossen. Das war aber wirklich nicht meine Schuld, der Tisch war leider Gottes ein wenig uneben. Ich hatte die Kugel relativ locker gespielt und sie ist am Ende zur Seite gerollt. Das passiert, aber – na ja, am Ende ist es doch wieder Eigenversagen. Ich hätte ja auch fester spielen können.
Und dann macht man sich Vorwürfe …
Das Schlimme ist, dass man weiß, man könnte den Stoß eigentlich im Schlaf versenken! Und trotzdem macht man den Fehler.
Da ist viel Psychologie dabei, oder?
Auf dem Level, auf dem ich agiere, macht die Psyche wohl den Unterschied. Kugeln versenken und auf Stellung spielen, das kann irgendwann eh jeder. Es kommt auf die Kleinigkeiten an. Wie lange kann ich mich konzentrieren, wenn 1.000 Leute im Saal zuschauen und dir Fotografen in den Weg laufen? Und wie kann ich mich von einem Fehler wieder erholen? Fehler passieren – aber ich muss damit umgehen können.
Und wie funktioniert das?
Das ist eine Frage des mentalen Trainings. Negative Gedanken müssen einfach abgeschaltet werden. Man stellt sich schöne Bilder vor, um wieder positiv konzentriert zu sein.
Was für Bilder stellen Sie sich da vor? Eine Insel in der Südsee?
Was einem angenehm ist. Manche stellen sich vielleicht wirklich eine Insel vor, liegen entspannt am Strand und befreien sich von ihren negativen Gedanken. Ich sehe mir meistens dabei zu, wie ich einen tollen Stoß spiele. Da passt dann die Technik, da passt der Klang der Kugeln. und so spiele ich mich mental für den nächsten Stoß ein.
Das heißt, der Glaube ist ein ganz entscheidender Teil der Präzision?
Auf jeden Fall. Ohne Selbstvertrauen und den Glauben daran geht nichts am Tisch.
Aus welchen weiteren Faktoren setzt sich Präzision zusammen?
Wichtig ist natürlich eine feine Technik. Aber das ist gleichzeitig wieder ein Risiko. Denn etwas Feines ist besonders anfällig, also resultiert daraus wieder die notwendige Konzentration. Und dann muss man sich präzise auf die Bedingungen einstellen können, verschiedene Tische, verschieden große Taschen – da gibt es eine ganze Menge.
Welche Rolle spielt die körperliche Fitness?
Eine große. Ich bin bis zu 250 Tage im Jahr unterwegs auf Turnieren, habe deswegen kaum noch einen Biorhythmus. Wenn da der Körper nicht fit ist, steckt er das nicht weg. Außerdem trainiere ich zusätzlich meine Rückenmuskulatur. Und viele unterschätzen die Ausdauer, die beim Billard benötigt wird. Ein Turnier dauert oftmals eine Woche, am Tag sind das vier bis fünf Matches. Kürzlich habe ich von 11 Uhr morgens bis sieben Uhr abends pausenlos am Tisch gestanden …
Da wird Billard zum echten Ausdauersport!
Ja, wirklich. Um sich acht Stunden am Stück fast durchgehend zu konzentrieren, braucht man schon Ausdauer. Mein längstes Match ging dreieinhalb Stunden am Stück.
Andere Sportler laufen sich vor dem Wettkampf warm oder dehnen sich. Haben Sie auch so ein Programm?
Ich bringe gerne am Vormittag vor einem Wettkampf meinen Kreislauf in Schwung. Ich laufe oder gehe schwimmen. Manch-mal aktiviere ich meine Koordination auch beim Jonglieren, das lockert zudem die Muskulatur, die nach Flugreisen oft verspannt ist.
Kann Billard auch ein Ergänzungssport für andere Sportler sein?
Ich denke schon! Bei uns ist die Hand-Augen-Koordination sehr wichtig und das trifft auf viele Sportarten zu. Außerdem wird beim Billard das Gefühl für Kugeln und Bälle geschult. Und natürlich die Fähigkeit, sich zu konzentrieren.
Wenn Billard eine Sportart ist, bei der so viel Gefühl, so viel Feinkoordination und Überlegung vonnöten sind – warum sind dann Männer die besseren Billardspieler?
Mehr Masse, mehr Klasse. Es spielen einfach mehr Männer Billard. Aber generell würde ich sagen, dass die Damen mindestens genauso gut spielen können wie die Herren.
Dann ist Billard ein Sport, bei dem wir schon bald die volle Gleichberechtigung erleben?
Was den reinen Sport angeht, vielleicht schon. Anders im Publikum. In Dubai bin ich bei einem Männerturnier schon noch ziemlich aufgefallen. Und in Asien rufen männliche Zuschauer gerne mal nach dem Spieltag im Hotelzimmer an und fragen, ob sie noch hochkommen dürfen …
Und dann?
Muss man ihnen klipp und klar mitteilen, dass es so nicht geht.
Mit aller Präzision sozusagen …
Ganz genau.