Wer im Sport von Vielseitigkeit spricht, kommt an Veronika Windisch nicht vorbei. Die zweifache Olympiateilnehmerin im Short Track (2010 und 2014) mischt nach Ende ihrer Profikarriere die Sommer- und Wintersportszene auf.
In jedem Ende liegt ein neuer Anfang. Im Fall von Veronika Windisch war das Ende der Profikarriere im Short- Track-Eisschnelllauf der Startschuss zu einer vielseitigen „Zweitkarriere“, die beinahe unglaublich klingt. Gleich nach ihrer letzten Saison, jener von Sotschi 2014, schloss sich die Steirerin dem Rennradteam von ARBÖ ASKÖ Graz an. Und fuhr dort auf Anhieb Siege ein. Überrascht hat sie aber eher schon der erste Platz beim Grazathlon. Den Sieg bei diesem urbanen Hindernislauf hat sie (bis auf eine Ausnahme, zu der wir noch kommen) seit 2014 abonniert. „Die Anforderungen beim Radfahren ähneln stark denen im Shorttrack. Laufen dagegen ist doch etwas anders, und beim Grazathlon ist der Laufanteil relativ groß“, analysiert die Sportwissenschafterin.
2015 hat sie in ihrer Heimatstadt Graz dann den Schloßberg-Stiegenlauf gewonnen, wodurch der österreichische Towerrun-Verband auf sie aufmerksam wurde. Weltcuprennen in Österreich (etwa auf den Stephansdom und Millennium Tower) hat sie wieder gleich im Erstversuch für sich entschieden. Beim Rennen auf den Eiffelturm ist sie Fünfte geworden – „und da war wirklich die gesamte Weltelite am Start“. Oder: 2015 hat sie ihr ehemaliger Olympiakollege, Snowboarder Benjamin Karl, mit der Idee konfrontiert, ein Mixed-Team bei der Bike-Transalp zu bilden. Ihre Antwort damals: „Ich hab zwar kein Mountainbike, aber probieren wir’s.“ Platz drei ist es geworden – „aber die 36 Stunden, die wir für die 19.000 Höhenmeter gebraucht haben, waren wirklich heftig.“ Sämtliche Erfolge nachzuerzählen, würde hier den Rahmen sprengen. Kurzversion: Die Steirerin, die am 9. April 36 wird, hat in den letzten vier Jahren zusätzlich auch Erfolge im Bahnradsport, in der Red Bull Crashed Ice Challenge, im Duathlon, im Inline Speed Skating und noch in weiteren Sportarten eingefahren. 2017 wurde sie in drei unterschiedlichen Sportarten österreichische Meisterin.
Vielseitiges Shorttrack
Neben rund 60 (!) Wettkampfteilnahmen pro Jahr unterrichtet Windisch Sport an einem Grazer Gymnasium. Daneben biegt sie im Biologiestudium in die Zielgerade – ihr Zweitfach für eine zukünftige volle Lehrverpflichtung. Als Sportwissenschafterin und Fitnesstrainerin kann Windisch auch sehr gut einschätzen, woher ihr multisportliches Talent kommt. Shorttrack habe eine sehr gute Basis für vielseitige Fitness geliefert. Durch begrenzte Eiszeiten in Österreich musste sie sich außerdem viel im Trockentraining erarbeiten. Generell sieht sie den Shorttrack-Eisschnelllauf als eine Sportart mit besonders vielseitigem Anforderungsprofil an: „Eine starke Grundlagenausdauer ist nötig, um die Trainingsumfänge zu verkraften. Maximalkraft und Schnellkraft braucht man für Antritte im Rennen. Auf einer millimeterdünnen Kufe zu gleiten ist koordinativ anspruchsvoll, Flexibilität für die Schrittlänge unverzichtbar. Und Strategie und Taktik spielen im direkten Kampf mit den Konkurrentinnen auch eine wichtige Rolle.“
Zwei Trainings täglich
Fast logisch: Nimmt Windisch nicht gerade an Rennen irgendeiner Art teil, unterrichtet gerade nicht oder sitzt nicht in einem Hörsaal, dann trainiert sie. Sechsmal pro Woche, oft zweimal am Tag. „Das ist die Hälfte von dem, was ich zu meiner Shorttrack-Zeit gemacht habe.“ Ein wesentlicher Unterschied zu früher: „Ich trainiere nur nach einem groben Plan, mache dafür viel nach Gefühl. Das gibt mir ein riesiges Freiheitsgefühl, nachdem ich lange strikt nach Plan trainiert habe.“ Zum Training musste sie sich aber auch zu ihrer Profizeit nie zwingen. „Sport ist mein Lebensgefühl, mein Lebensinhalt“, sagt sie. Die Frage muss natürlich gestellt werden: „Vroni, bist du die fitteste Österreicherin?“ Windisch überlegt länger. Es komme natürlich einmal darauf an, wie man Fitness definiert. Über Multisportivität? „Siebenkämpferinnen sind sicher extrem sportlich, man denke an Ivona Dadic. Was Ausdauer angeht, gewinnt Andrea Mayr alles, was über drei Minuten bergauf geht: Im Laufen, Skibergsteigen, Radsport.“ Anderseits: „Es gibt wahrscheinlich nicht viele, die im Ausdauerbereich gut sind, schnell und reaktiv und was die Koordination betrifft, auf Gymnastikbällen herumspringen können. Oder auf einer Slackline jonglieren. Ich bin sicher in keinem einzelnen Bereich die Fitteste, aber in allen konditionellen Bereichen – Ausdauer, Kraft, Schnelligkeit, Koordination – ganz gut dabei …“
Kindern Erfahrungen ermöglichen
Den Begriff Fitness solle man aber durchaus auch ganz anders, abseits jedes Leistungsgedankens, sehen, meint die Steirerin: „Fitsein heißt ja auch, dass man sich in seinem Körper wohl fühlt, gesund ist, mehrere Stockwerke eine Treppe hochsteigen kann, ohne außer Atem zu kommen.“ Die Sportlehrerin Windisch plädiert dafür, Kindern möglichst vielseitige sportliche Erfahrungen zu ermöglichen. Auch sie selbst durfte – der Papa war übrigens Judoka – von klein auf alles ausprobieren, wonach ihr der Sinn stand.
Windischs Fitnesstraining war zuletzt auf Eis gelegt – zumindest in der gewohnten Intensität: Ein Bandscheibenvorfall setzte sie außer Gefecht, „meine erste schwere Verletzung überhaupt“. Dass sie bald wieder fit sein wird, steht für sie außer Frage. Und Sportarten will sie noch viele ausprobieren. „Auch Spielsportarten taugen mir sehr – etwa Eishockey.“ Lediglich mit den Elementen Luft (Paragleiten und Co.) und Wasser (Schwimmen ...) hat sie es nicht so. Bleibt eine Frage: Im Vorjahr hieß die Siegerin beim Grazathlon erstmals seit 2014 nicht Vroni Windisch – die 15-jährige Schülerin Carina Reicht hat sie auf Platz zwei verwiesen. Eine Schülerin vor Frau Prof. Windisch? „Nein, denn das hätt sie sich nicht getraut“, lacht Windisch – um gleich hinzuzufügen: „Das Mädel ist schon gut.“