Ein waghalsiger Selbstversuch: Wie fühlt es sich an, gegen einen Profiboxer im Ring zu stehen? Ein Report über brennende Lungen, surrende Köpfe und Schläge, die aus dem Nichts kommen.
Unglaublich, wie lang drei Minuten sein können. 180 Sekunden, in denen nicht nur Lunge und Muskeln brennen, sondern auch der Kopf surrt: Passt die Beinarbeit? Hält die Deckung? Und wo zum Teufel kam die Faust grad her, die erst am Kopf und unmittelbar danach am Bauch eingeschlagen hat? Dazu die über allem stehende Frage: War es wirklich eine gute Idee, sich auf eine Box-Challenge gegen Marcos Nader, Österreichs besten Faustkämpfer, einzulassen?
Als Hobbysportler im 35 Quadratmeter großen Ring
Dabei hatte alles ganz harmlos begonnen. „Jetzt machen wir erst einmal die Grundschule“, sagt Marcos. Zwei Wochen zuvor hatten wir vereinbart, uns im Boxklub Bounce im 16. Wiener Bezirk zu treffen, den er mit seinem Bruder und Trainer Daniel führt. Meine Idee: Eine Reportage darüber zu schreiben, wie es sich für einen Hobbysportler anfühlt, in einem etwa 35 Quadratmeter großen Ring zu stehen und ein paar Runden gegen jemanden zu fighten, der mit Leberhaken und rechter Gerade sein Geld verdient. So ganz ohne Vorkenntnisse will mich Marcos dann aber doch nicht der Gefahr aussetzen. Also: linker Fuß vor, rechte Hand zum Kinn, rechter Ellenbogen vor die Leber, linke Hand auf Augenhöhe, dazu ein leichter Rundrücken, um möglichst wenig Trefferfläche zu bieten. „Ich sage, in welche Richtung du einen Schritt machst. Der Fuß, der den kürzeren Weg hat, bewegt sich zuerst. Dazu eine Schlag-Kombination in die Luft, zuerst mit der Hand, wo sich auch der Fuß zuerst bewegt hat.“ Klingt in der Theorie eindeutig einfacher, als es die koordinative Praxis hergibt. Nach zehn Minuten versucht es Marcos mit einem vorsichtigen Lob: „Ganz gut! Oder besser: Nicht so schlecht! Also für jemanden, der das zum ersten Mal macht ...“
Wenn die Hände glühen
Als Nächstes steht eine Runde Sparring auf dem Programm. Marcos stülpt die großen Handschuhe, Pratzen genannt, über, die eine etwa gesichtsgroße Trefferfläche haben, um gezielte Schläge zu üben. „Stell dir vor, zwischen uns wäre eine Schnur gespannt, die nicht reißen darf. Du musst also jede meiner Bewegungen mitgehen“, erklärt Nader. Dann schießt er die Kommandos raus: rechts, links, immer diagonal geschlagen. Dabei bewegen wir uns durch den Ring. Er eher tänzelnd, ich eher elefantös, aber doch mit spürbar steigendem Adrenalinspiegel. Und langsam schwant mir, dass er meine Schlagzahl im Laufe der Zeit immer erhöht. Als ich am Schluss mit einer Zehnfach-Kombination auf seine Pratzen einschlage, merke ich, wie die Präzision immer mehr nachlässt, dafür meine Hände glühen.
Danach bekomme ich eine Lektion darin, wie dehnbar der Begriff Pause ist. Während mir der Schweiß waagerecht aus den Poren schießt und ich um einen geregelten Sauerstoffhaushalt kämpfe, schlägt Marcos unverbindlich vor, in den Liegestütz zu gehen und ein wenig zu pumpen. Auf Boxhandschuhen wohlgemerkt, was durch die kleinere Aufliegefläche eindeutig strafverschärfend ist. Danach zehnmal von der Plank-Grundstellung in den Liegestütz und wieder zurück, was am Ende die Erkenntnis bringt: schön, wenn der Schmerz nachlässt. „Jetzt trink mal was, bevor wir richtig loslegen“, ruft mir Marcos zu. Mit Boxhandschuhen übrigens ein Ding der Unmöglichkeit. Aber um Zeit zu gewinnen, wollte ich die Dinger ohnehin ausziehen.
Verlieren verboten!
Marcos Nader gehört zu den absoluten Stars der österreichischen Boxszene. Der 28-jährige Mittelgewichtler (bis 72,5 Kilo) war der erste Österreicher, der es unter die Top 15 des Verbandes WBA brachte und EU-Meister wurde. Nach einer Punkteniederlage 2014 und anschließender Ellbogenverletzung legte er eine Karrierepause ein, die er Anfang 2018 beendete und mit zwei Siegen in den Ring zurückkehrte. Am 13. April steigt er im „Kampf um Wien“ gegen seinen elf Jahre älteren Widersacher Gogi Knezevic in den Ring, Schauplatz ist die Erste-Bank-Arena im 22. Wiener Bezirk. „Der Kampf wird entscheidend sein, wann ich wieder die Chance bekomme, um die Europameisterschaft zu boxen. Verlieren ist dort verboten“, sagt der Linksausleger (bedeutet: die rechte ist die Schlaghand). Und schiebt hinterher: „Außerdem mag ich den Typen nicht. Das kannst du ruhig so schreiben.“
Ob er mich dagegen mag? So langsam wird es ernst, Nader legt die Regeln für unseren Kampf fest. „Du versuchst, mich zu treffen. Ich schlag dich nur, wenn du die Deckung offen hast.“ Das klingt fair. Wir ziehen die Handschuhe an, schlagen dreimal ab, Boxerritual. Der Gong ertönt. Ich gehe forsch drauflos, versuche, das Gelernte zu beherzigen – und schlage ein Luftloch nach dem anderen. Unfassbar, wie schnell jemand seinen Körper bewegen kann. Das Problem: Wie soll ich schlagen, ohne meine Deckung zu entblößen? Der erste Schlag von Nader trifft mich am Oberkörper, reflexartig schiebe ich die Arme schützend dorthin, und schon spüre ich etwas an der linken Wange. Nur gut, dass Nader als Profi seine Schläge perfekt dosieren kann, sodass die Überraschung stärker wirkt als der Schmerz.
"Wann kommt denn endlich der verdammte Gong?"
Je länger es dauert, desto mehr spiele ich auf Zeit, weiche zurück, gehe in die Defensive. Wann kommt denn endlich der verdammte Gong? „Nur noch eineinhalb Minuten“, sagt Nader, der anscheinend Zeit hatte, meine Gedanken zu erraten. „Kein Problem“, lüge ich schamlos und orientiere mich Richtung Ringecke. Keine gute Idee, wie Marcos mir mit ein paar angedeuteten Schlägen verdeutlicht. Jetzt verstehe ich auch, warum bei echten Kämpfen gegen Ende – meist vom Unterlegenen – sooft geklammert wird. „30 Sekunden“, sagt Marcos und lächelt verschmitzt, während mir alle möglichen Exitstrategien durch den Kopf gehen. Um mich bei Laune zu halten, erlaubt mir Nader einen Schlag auf seine rechte Brust und weicht zurück, dann das Signal. Schluss. Aus. Ende. Unvorstellbar, so ein Tempo über 12 Runden zu gehen. Ich puste durch, tigere wie ein aufgescheuchtes, aber flügellahmes Huhn die Seile entlang.
„Noch eine Runde?“ Ich lehne dankend ab. So sympathisch mir mein Gegenüber in der letzten Stunde geworden ist, aber man soll ja bekanntlich aufhören, wenn es am schönsten ist. Oder – wie in meinem Falle – wenn man den Ring noch auf eigenen Beinen verlassen kann. Das allerdings mit einem erhebenden Gefühl, denn selten hat eine Challenge so viel Spaß gemacht wie diese.