Ihre Trainer meinten, sie müsse sich entscheiden. Ester wollte aber beides machen - und so holte sie auf Ski und Snowboard Olypmisches Gold. Wie es so weit kommen konnte? Mit der Liebe zum Sport. Und einem faszinierenden Vertrauen in die eigene Stärke.
Ester, bist du Snowboarderin oder Skifahrerin?
Mal so, mal so! Kommt ganz darauf an, was ich gerade unter den Füßen habe.
Du hast mit zwei Jahren das Skifahren begonnen, mit fünf das Snowboarden. Als du 14 Jahre alt warst, prophezeiten dir deine Trainer eine Profi-Karriere, wenn du dich auf eine der Sportarten konzentrierst. Du sagtest: Ich will in beiden Weltklasse werden. Ist das richtig?
Als ich klein war, hat der Ski-Verband immer wieder seine Spielchen mit der Nominierung von Athleten betrieben. Ich durfte nicht bei allen Rennen dabei sein, an denen ich teilnehmen wollte. Also bin ich an solchen Tagen Snowboard-Rennen gefahren. So musste ich wenigstens nicht traurig zu Hause sitzen. Irgendwann war ich auf einmal Tschechiens beste Athletin in beiden Sportarten.
Wie konntest du als 14-jähriges Mädchen überzeugt davon sein, dass du in zwei Sportarten bis in die Weltspitze vordringen würdest?
Ich hatte den Traum, eines Tages an den Olympischen Spielen sowohl auf Ski als auch auf dem Snowboard teilzunehmen. Also scherte ich mich nicht um die Tipps von Experten. Ich hatte einen Plan, habe diesen Plan verfolgt und war mir sicher, dass ich das Richtige tue.
Woher kommt dein Ur-Vertrauen? Haben dir das deine Eltern mitgegeben?
Ich denke, so wurde ich geboren. Und dann habe ich viel mit meinem Großvater gesprochen. Er war Eishockey-Spieler, wurde Weltmeister, gewann Silber und Bronze bei Olympia. Mit seinen Geschichten hat er die Liebe zum Sport in mir geweckt. Er erzählte mir, wie lustig es mit seinen Kameraden in der Kabine war. Ich wollte genau so sein wie er. Ich wollte ebenso viel Spaß haben, wollte solch intensive Momente erleben, wollte tun, was ich liebe und damit meinen Lebensunterhalt verdienen.
Nicht nur dein Großvater war erfolgreich. Dein Vater ist Pop-Star in Tschechien, deine Mutter war Eiskunstläuferin, dein Bruder ist bekannter Künstler und Designer. Was ist da los bei euch in der Familie?
Wir alle tun einfach das, was wir gerne tun. Auch ich kann nur erfolgreich sein, weil ich liebe, was ich tue. Ich bin wie ein Haifisch, ich muss immerzu in Bewegung sein. Ich liebe es, zu trainieren. Und ich liebe es von ganzem Herzen, Rennen zu fahren und mein Bestes zu geben.
In Pyeongchang 2018 hast du genau das gezeigt: Du bist überraschend Olympiasiegerin im Super-G geworden. Hast du vorher daran geglaubt, dass Gold im Skifahren möglich wäre?
Ja, das habe ich. Wenn ich antrete, dann tue ich das, um zu gewinnen. Mit dieser Einstellung gehe ich in jedes Rennen.
Die Szene im Ziel ist legendär. Auf der Anzeigetafel leuchtet die Bestzeit auf, das Stadion tobt, und du stehst da, sprachlos, beinahe konsterniert. Was ging da in dir vor?
Ehrlich gesagt bin ich nach jedem Rennen ein bisschen geistesabwesend. Ich bin den Lauf in Gedanken noch einmal durchgegangen, habe mich gefragt, ob ich alles so umsetzen konnte, wie mein Coach es geplant hatte, ob die Kanten durch meinen Servicemann richtig geschliffen waren, weil mir die Ski in einigen Kurven etwas instabil vorkamen. Es war aber ein gutes Gefühl, ich träumte mich zurück auf die Piste, hätte diesen genialen Ride am liebsten noch einmal erlebt. Plötzlich sagte der Kameramann: ‚Du hast gewonnen.’ Und ich dachte mir nur: ‚Ok, aber da sind doch noch mindestens 30 Mädels oben am Start ...’
Von denen dann keine mehr schneller war als du. Wie denkst du heute darüber? Großes Glück oder verdienter Lohn?
Meine Großeltern verfolgten das Rennen im Fernsehen. Meine Oma sagte zu meinem Opa, dass ich den Sieg verdient hätte, ehe sie sich einen Kaffee holen ging. Keine Ahnung, vielleicht habe ich es wirklich verdient. Ich persönlich denke, dass ich an diesem Tag einfach die Schnellste war. Bei so vielen Top-Athletinnen entscheiden Nuancen über den Sieg. Es geht um Hundertstel. Es kann den Unterschied machen, wie du an diesem Tag aufwachst. Ich habe gut geschlafen, war perfekt drauf und habe auf mich vertraut. Mich konnte nicht einmal aus der Ruhe bringen, dass kurz vor dem Start mein Ski-Schuh riss.
Sieben Tage später hast du auch im Snowboarden Gold geholt. Artet so eine Doppel-Belastung auch mal in Stress aus?
Grundsätzlich sind sich Snowboarden und Skifahren sehr ähnlich. Bei beiden Sportarten geht es darum, so schnell wie möglich eine Piste nach unten zu fahren. Außerdem würde ich Sport niemals als Bürde betrachten. Ich genieße es!
Wie organisierst du dein Training?
Abwechslung beim Sport ist für mich ein Teil der Motivation. Im Sommer spiele ich Beach-Volleyball und gehe Windsurfen. Im Gym würde ich mich langweilen, ich arbeite generell lieber mit dem Gewicht meines Körpers. Im Winter richten wir uns nach den Rennen, die gerade vor mir liegen.
Gibt es Tage, an denen du nur entspannst? Kannst du relaxen?
Ich mag freie Tage eh nicht besonders. Meistens verplane ich sie sofort mit Verabredungen, gehe auf ein Konzert, treffe meinen Bruder zum Mittagessen, besuche eine Ausstellung, gehe in die Bücherei, lerne ... wenn ich nicht gerade irgendwohin reisen muss, nutze ich die Zeit allerdings gerne, um bis Mittag zu schlafen.
Wie entscheidest du dich, an welchen Rennen in welcher Sportart du teilnimmst?
Die Weltcup-Rennen im Skifahren und Snowboarden kollidieren in der Tat, deshalb mache ich vor der Saison einen genauen Plan. Allerdings taktiere ich nicht großartig: Ich wähle mir eher eine geeignete Reiseroute, suche mir Rennen, die auf dem Weg liegen, ohne dabei eine Präferenz für Ski oder Snowboard zu haben.
Ich würde Sport niemals als Bürde betrachten. Ich genieße es.
Und worauf liegt der Fokus in den kommenden Jahren?
Wenn etwas funktioniert, sehe ich keinen Grund, etwas daran zu ändern. Ich werde weiterhin tun, was mir Spaß macht, und das ist nun mal Skifahren und Snowboarden. Außerdem habe ich gerade mein Wirtschaftsstudium abgeschlossen und möchte weiter studieren. Ich interessiere mich für Physik. Für Theaterwissenschaften ... und viele andere Sachen.
Du bist eine ausgezeichnete Windsurferin: Könnte noch eine Olympia-Teilnahme im Surfen auf dem Zettel stehen?
Mal sehen, wohin der Wind mich treibt! Auf jeden Fall werde ich weiterhin viel Sport treiben.
Was hättest du wohl getan, wenn es keinen Sport gäbe?
Dann hätte ich ihn für mich erfunden.