Vizekanzler und Sportminister ­Werner Kogler im Interview über Anliegen des Breitensports nach einem Jahr Corona­krise. Und über das Radl in seinem Büro. 

Von Christoph Heigl und Christof Domenig


Wie oft werden Sie in Ihrer Funktion als Sportminister mit einem Anliegen aus dem Spitzensport konfrontiert – und wie oft im Vergleich dazu mit einem aus dem Bereich Freizeit- und Breitensport?
Ich habe nicht Buch geführt, aber gefühlt sind die Anliegen des Breitensports deutlich häufiger an mich herangetragen worden. Das hängt aber wohl damit zusammen, dass im Spitzensport quer durch alle Phasen der Pandemie sehr viel möglich war, während der Breitensport abseits des Individualsports im Freien doch von vielen und langfristigen Einschränkungen betroffen war.

Denken Sie, dass in der Pandemiezeit das allgemeine Bewusstsein in der Gesellschaft für den Wert von Sport und Bewegung gestiegen ist? Indizien gibt es dafür einige – von ausverkauften Fahrrädern über den Skitourenboom bis hin zu Strava-Daten.
So pauschal ist das schwer zu beantworten. Es haben mit Sicherheit einige Sportarten profitiert, die pandemiebedingt im Vorteil waren – Radfahren, Skitouren, auch Tennis, also Sportarten, die allein betrieben werden können bzw. bei denen der Sicherheitsabstand leicht einzuhalten ist. Mannschafts- und Kontaktsportarten hatten es da schwerer. Generell glaube ich aber schon, dass vielen Menschen bewusster wurde, welchen Wert das gemeinsame Sporttreiben inner- und außerhalb von Vereinsstrukturen für sie hat. 

Der Zukunftsforscher Tristan Horx hat in unserer letzten SPORTaktiv-Ausgabe zum neu aufkeimenden Bewegungsboom gemeint: „Es wird interessant sein, ob die Politik den Ball aufgreift – die Menschen einfach tun lässt oder den Drang zu Bewegung auch aktiv unterstützt.“ Sehen Sie hier einen Auftrag für die Politik, „Bewegungskultur“ stärker als bisher zu fördern? Auch im Sinne einer zukünftigen Entlastung des Gesundheitssystems?
Das Festigen und Fördern einer Bewegungskultur ist einer der zentralen Aufträge an jeden Sportminister – nicht nur in Pandemiezeiten. Wir haben auch schon einiges auf den Weg gebracht, zum Beispiel das Erfolgsprojekt „Kinder gesund bewegen“ um 1,6 Mio. auf 8 Mio. Euro erweitert. Wir haben auch dafür gesorgt, dass es beim niedrigschwelligsten aller Bewegungsangebote, „Bewegt im Park“, 2021 um 26 Prozent mehr Bewegungseinheiten geben wird. Zudem rollen wir heuer, gemeinsam mit den Sozialversicherungen, das Krankheits-Präventionsprogramm „Jackpot.fit“ auf ganz Österreich aus. Ich könnte beliebig fortsetzen, auch unser Post-Corona-Fitnessprogramm für den Sport, #come­backstronger, zielt mit vielen Maßnahmen auf das Fördern dieser besagten Bewegungskultur ab. 

Die Politik hat in der Coronakrise für den Umgang mit dem Sport viel Kritik abbekommen, etwa den Schulsport und den Vereinssport betreffend. Verständlich oder ungerecht?
Aus der Sicht der Sporttreibenden, der Funktionärinnen und Funktionäre, der Sportstättenbetreiber nachvollziehbar. Auf der anderen Seite ersuche ich aber schon um Verständnis: Wir haben im Mai, Juni 2020 früher mehr zugelassen als die meisten europäischen Länder und wir sind auch jetzt wieder vorne dabei. Am 15. März wurde der Vereinssport mit Abstand für Minderjährige bis zum vollendeten 18. Lebensjahr ermöglicht – als einziger bundesweiter Öffnungsschritt und trotz steigender Infektionszahlen. Wir werfen regelmäßig einen Blick über die Grenzen und stellen fest: Es gibt ganz wenige Länder, die im Breitensport gleich viel oder mehr als Österreich zulassen.

Die „tägliche Turnstunde“ bzw. „tägliche Bewegungseinheit“ in Schulen steht im Regierungsprogramm. Gerade was die Kinder und Jugendlichen betrifft, wird jetzt oft die Sorge geäußert: Statt Freude an Sport und Bewegung zu vermitteln, läuft man Gefahr, sie an iPad und Spielkonsole zu verlieren.
Diese Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen. Deswegen steuern wir mit ­#comebackstronger massiv dagegen. Eine Initiative aus diesem Maßnahmenkatalog, die sich bereits in Umsetzung befindet, ist der Sportscheck, für den wir neun Millionen Euro in die Hand nehmen. Hier fördert der Bund die Jahresmitgliedschaft, unter anderem auch von Kindern und Jugendlichen, die in den Sportverein zurückkommen oder als Mitglied neu gewonnen werden. Was die „tägliche Bewegungseinheit“ anbelangt, sind wir schon weiter als jede Vorgängerregierung: Seit Herbst hat eine Projektgruppe alle relevanten Daten recherchiert, aufbereitet und analysiert, hat Dutzende Gespräche mit sämtlichen Stakeholdern geführt. Im Laufe des Frühjahrs werden alle Erkenntnisse vorliegen, natürlich auch die Kosten. Dann wird sich herausstellen, ob und in welcher Form der Schulterschluss gelingt.

Trotzdem: Hätte man nicht gerade bei den Kindern früher und gründlicher nach Lösungen suchen können, um Sportausübung zu ermöglichen – im Bereich Schulsport und genauso Vereinssport?
Zur Klarstellung: Der Schulsport ist Sache des Bildungsministeriums. Trotzdem war ich natürlich alles andere als happy, als im Frühjahr 2020 die Schulen aufsperrten, der Sportunterricht aber ausgeklammert blieb. Man muss Bildungsminister Faßmann zugutehalten, dass er mit dem neuen Schuljahr einiges ermöglicht hat, zumindest Bewegung, wenn schon kein uneingeschränkter Sportunterricht stattfinden kann. 

Olympiasieger Felix Gottwald ist einer, der dafür plädiert, den Wert des Sports in der Gesellschaft neu zu denken – bis zu einer „Bewegungskultur“ wie etwa in Norwegen. Er hat auch immer wieder Kritik geübt am Umgang mit Sport in der Covid-Krise. Im Februar haben Sie jetzt Gottwald als neues Mitglied der Breitensport-Kommission in der Bundes-Sport Gmbh vorgestellt – warum Gottwald?
Ich habe ihn nicht nur als neues Mitglied des BMKÖS in die Kommission für den Breitensport entsendet, er ist dort auch zum Vorsitzenden gewählt worden. Gut so, weil er wie kaum jemand für die Sache brennt. Die Sache, um die sich alles drehen sollte: Wie schaffen wir es als Nation, eine Bewegungskultur zu entwickeln? Wie schaffen wir es, der Bewegung Wichtigkeit in allen Lebensbereichen zu geben? Und vor allem: Wie schaffen wir es, die Zahl unserer gesund verbrachten Lebensjahre zu steigern?

Die Bewegungsarmut ist ein ernstes gesundheit­liches wie wirtschaft­liches Problem. 

Werner Kogler

Stichwort Breitensport: Der Radsport boomt als Breitensport seit Jahren, Corona hat das verstärkt. In den Städten und draußen in den Wäldern und Bergen wird eifrigst geradelt – ein Umstand, der Sie als „Grüner“ und Politiker mit Gespür für die Umwelt ja besonders freuen muss, oder?
Als Sportminister freut es mich, wenn sich die Menschen mit dem Mountainbike in der Natur bewegen – solange sie die Natur nicht als Spielplatz, sondern als Lebensraum begreifen, dem mit dem nötigen Respekt begegnet werden muss. Die Bewegungsarmut ist ein ernstes gesundheitliches wie wirtschaftliches Problem. Aber: Mit Frequenzen wie im letzten Jahr waren wir noch nie konfrontiert und da knirscht es an manchen Ecken. Insofern muss hier das legale Angebot nachziehen, da gibt’s Aufholbedarf. Insbesondere die Almwirtschaften sollen nicht das Gefühl bekommen, überrannt zu werden und deswegen die Freude an ihrem Tun verlieren.

Der Mountainbikeboom stößt aktuell dort an seine Grenzen, wo Nachfrage und Angebot nicht zusammenpassen und immer das Damoklesschwert der Illegalität über den Bikern schwebt. Wie beobachten Sie das?
Es ist so, wie Sie sagen – Angebot und Nachfrage passen nicht zusammen, sonst hätten wir das Problem nicht in dieser Form. Rund eine Million Menschen sitzt in Österreich in ihrer Freizeit auf dem Mountainbike, wenn man da nur eine Handvoll legaler Strecken anbietet, ist es nur eine logische Konsequenz, dass man die Freizeitnutzer in die Illegalität drängt – die Menschen wollen gerade in Pandemiezeiten die Natur genießen. Regeln und Lenkung bringe ich aber nur zusammen, indem ich für ein adäquates Angebot sorge. 

Welche Auswege sehen Sie im Nutzungskonflikt zwischen Land- und Forstwirtschaft, Jägerschaft, Tourismus, Grundbesitz, Freizeitkultur und zunehmender Rücksichtslosigkeit? Wo kann die Bundespolitik den Hebel ansetzen? Oder ist es Sache des Tourismus? Der Gemeinden?
Ich würde darin eine ressortübergreifende Materie sehen. Eine klare Verantwortlichkeit auf Bundesebene wäre jedenfalls wünschenswert. Der springende Punkt ist aber die Vernetzung aller Waldnutzer – es wird nur funktionieren, wenn man die gegenseitigen Bedürfnisse akzeptiert und sich jede Nutzergruppe entlang dieser Bedürfnisse bewegt. In Österreich verzeichnen wir den zweitgrößten Anteil an privatem Waldbesitz in ganz Europa, das schafft gewisse Herausforderungen. 

Die Frei­gabe der Forststraßen ist nicht der Weisheit letzter Schluss.

Werner Kogler

Freigabe aller Forststraßen oder Insellösungen an Hotspots? – Wo sehen Sie mehr Umsetzungspotenzial?  
Die Freigabe der Forststraßen ist nicht der Weisheit letzter Schluss. Wir brauchen ein bedarfsgerechtes Angebot – natürlich an Hotspots, aber auch gleichmäßig über das Land verteilt. Die Menschen sollen ja nicht eine mehrstündige Anreise, möglicherweise noch mit dem Pkw, antreten müssen, sondern ihren Sport von der Haustür weg ausüben können. 

Könnten Sie als Sportminister, zuletzt kurz auch Justizminister, nicht handstreichartig ein neues Mountainbikegesetz erlassen ...? 
Diese Chance habe ich verpasst (schmunzelt). Von der rechtlichen Seite wäre es jedenfalls wünschenswert, das Haftungs- und Wegeerhalterthema für alle, die eine Strecke anbieten wollen, vom Tisch zu haben.

Ernsthaft gefragt: Sollte es im Bund und in Wien nicht auch eine Mountainbike-Koordinatorenstelle geben, wie sie jetzt etwa auch in der Steiermark geschaffen wurde, um österreichweit die Initiativen und Interessensgruppe besser zu verknüpfen?
Wie gesagt: Eine nationale Vertretung wäre angesichts der großen Menge an Sportausübenden sicher zielführend. Mit Valentina Höll, die ich letztes Jahr im Vorfeld der WM treffen durfte, und David Trummer haben wir auch im Spitzensport ein paar Topathleten vorzuweisen und wir wissen ja, dass so etwas eine Sportart dann immer weiter in die Breite bringt.

Welches Fahrrad fährt der Herr Sportminister privat und wie steht es derzeit um die Abnützung von Kette und Reifen? Ist post Corona eine Tour oder ein Radurlaub geplant?
Auf einem Downhillbike werden Sie mich möglicherweise nicht finden, aber seit letztem Jahr steht in meinem Büro auch ein eher gemütliches Fahrrad für Ausflüge auf die Donauinsel. Kette und Reifen sind bis dato allerdings weniger beansprucht worden, als ich es mir vorgenommen hatte.