Patente statt Partituren: Joachim Fiedler war Berufsmusiker. Heute ist er Erfinder und Patente-Sammler. Mit seinen magnet-mechanischen Halterungen und Verschlüssen hat er auch in der Zweiradbranche für frischen Wind gesorgt. Porträt eines Daniel Düsentriebs unserer Zeit.

Klaus Höfler


Ein kurzes Flachstück im steilen Anstieg. Eine flüchtige Windschattenpassage während der Tempobolzerei auf der endlosen Geraden. Ein weicher Wiesenteppich am ruckeligen Trail. Endlich Zeit, den trockengelegten Flüssigkeitshaushalt in Ordnung zu bringen. Ein schneller Griff zur Trinkflasche, eine kurze Drehbewegung und die Flasche löst sich aus ihrer Halterung. Nach ein paar kräftigen Schlucken kein zittriges Bangen, ob die Flasche ihren Weg zurück in den engen Korb findet. Vielmehr wird sie fast wie von Zauberhand in die Halterung gezogen. Einem Magneten sei Dank.

„Fidlock Twist“ nennt sich diese Technologie, die vor gut fünf Jahren am Fahrradmarkt aufgetaucht ist und sich weltweit wachsender Beliebtheit erfreut. Im dazu gelieferten Werbeslogan – „Die Befreiung der Radflasche aus ihrem Korb“ – schwingt fast ein Kant’scher Aufklärungsmythos mit: Der Flasche sei bis dahin ausstattungsmäßig einfach „zu dumm“ gewesen. Erst das Fidlock-System machte aus ihr ein „smartes“ Utensil – und ermöglichte, ganz nach Kant, den Ausbruch aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit.

Erfunden wurde das System von einem Musiker. Es ist eine Geschichte, die in einem Cellokasten beginnt. Der tropfende Wasserhahn, die immer aufspringende Türschnalle, das um einen Tick zu enge Knopfloch: Es sind die kleinen Funktionsstörungen im Alltag, die das Potenzial zu richtig großem Ärger haben. Bei Joachim Fiedler war es die Halterung des Cellobogens im Transportkasten des Instruments. Sie ließ sich mit einer Hand nur schwer bedienen. Für die breite Masse ein Minderheitenproblem. Für Fiedler, damals Berufsmusiker, angesichts täglicher Übungseinheiten ein lodernder Herd des Ärgers. Eine bessere, einfacher zu bedienende Lösung musste her.

Es war der Beginn des schleichenden Endes der professionellen Musikerkarriere Fiedlers. Denn der von ihm entwickelte Magnetverschluss entpuppte sich als Erfolg. Das war 2007. Mit der Markttauglichkeit seiner Innovation zerbröselte allerdings auch der eingeschlagene Berufsweg. Fiedler, der bei einem weltbekannten Cellisten in Berlin studierte und dank Engagements unter anderem bei den Berliner Philharmonikern die Konzertsäle der Welt bespielte, tauschte Bogen, Instrument und Noten gegen Schreibtisch, Werkbank und Konstruktionspläne.

Eigentlich war es nur eine Rückkehr zu den anderen beiden eher konstruktiven denn künstlerischen Berufswünschen, die Fiedler nach seiner Matura für sich definiert hatte. Neben Cellist hatte er noch Geigenbauer oder Atomphysiker auf seiner Liste. „Ich habe schon immer gerne gebastelt und experimentiert“, erinnert sich Fiedler. „Immer geisterten Ideen in meinem Kopf. Meine Schwestern erzählen noch heute, dass ich als junger Bub einen Mähdrescher gezeichnet habe, der vorne das Korn drischt, und hinten kamen die Marmeladebrote raus.“ Statt Marmeladebrote wurden es Magnetverschlüsse. Statt Partituren – „Ich habe in meiner Zeit als Musiker fast keine Note komponiert“ – wurden es Patente. 
 

Statt Marmeladebrote wurden es Magnetverschlüsse.
 

Joachim Fiedler

„Dinge zu erfinden, die es in der Welt bisher noch nicht gegeben hat, das ist wie eine Droge“, versucht Fiedler die Begeisterung für sein Tun zu beschreiben. Hinter den rahmenlosen Brillengläsern funkeln wache Augen. Der Geburtsprozess einer Erfindung ist aufregend, aber bisweilen langwierig. „Um Neues zu finden, braucht es die Abwesenheit von Stress“, nimmt einen Fiedler mit ins Starthaus einer Erfindung. Da überrascht es nicht, dass Wochenenden oder der Weg ins oder vom Büro sich als besonders fruchtbare Böden für das Keimen neuer Ideen erweisen. Dann der erste Nervenkitzel: Die Nachschau, ob es so ein Produkt oder ein entsprechendes Patent bereits gibt.

Sind derartige Showstopper nicht ausfindig zu machen, beginnt das eigentliche Tüfteln und Testen, Probieren und Verwerfen. „Es braucht die Bereitschaft, immer wieder zurück an den Ausgangspunkt zu gehen und die Aufgabe neu zu denken“, sagt Fiedler. Man dürfe keine Hemmungen haben, Bewährtes über Bord zu werfen, keine Scheu haben, am langen Weg zur Lösung jeden Kieselstein umzudrehen – und am Ende wieder von vorne zu beginnen.

Geduld in Höchstmaßen ist gefragt. So hat allein die Entwicklung der neuen Fidlock-„Vacuum Smartphonehalterung“ von der Idee bis zur Marktreife fünf Jahre gedauert. Jetzt ist damit eine Handyhalterung am Markt, die die Kräfte von Magneten und Vakuum zu einer stoßfesten, einfach zu bedienenden Halterung für Handys am Radlenker kombiniert. Dass diese Lösung patentrechtlich geschützt ist, gehört bei Joachim Fiedler in die Kategorie „Selbstverständlichkeit“. Er hat für den mit viel Bürokratie verbundenen Schutz geistigen Eigentums eine eigene Leidenschaft entwickelt.

„Patente sind nicht nur dazu da, um sich Rechte zu sichern. Sie zwingen einen auch dazu, sich intensiv mit der Materie zu beschäftigen und systematisch vorzugehen, Merkmale zu definieren, zu variieren und neu zusammenzuwürfeln“, erklärt Fiedler seinen Zugang. Selbst aus dem Formulieren der Patente können sich neue Lösungen und Zugänge und am Ende vielleicht neue Erfindungen ergeben. Entsprechend animiert er seine Entwicklungsabteilung, in der ein Drittel der 70 Mitarbeiter arbeitet, auch, „jedes Wort neu zu denken“: „Ein Drehen kann ein Schieben sein, ein Teil könnten auch zwei sein, vier Teile könnten vielleicht auch nur drei sein.“ Diese Herangehensweise ist die Nährlösung für mittlerweile rund 300 Patente in gut 70 Patentfamilien.

Um Neues zu finden, braucht es Abwesenheit von Stress.
 

Joachim Fiedler

Fiedler weiß aber auch um das Abschreckungspotenzial ausführlich und akkurat formulierter Patente gegenüber potenziellen Kopisten. „Wenn jemand einen Patentverschluss machen möchte, muss er viele Tausend Seiten von Fidlock lesen, um zu wissen, ob er ein Patent verletzt.“ Das tun sich die wenigsten an. So hat sich das in Hannover beheimatete Unternehmen seit seiner Gründung 2007 eine robuste Alleinstellungsposition erarbeitet.

Die Produktpalette reicht von Schultaschenverschlüssen und Vakuumschutztaschen für Handys über alle möglichen Schnallenanwendungen (zuletzt als modisches Accessoire auch auf Nike-Sneakers) bis zu Motorradbag-Tankhalterungen und Protektorenverschlüssen. Im Fahrradsegment reichen die Anwendungen von den Helmen über die Trinkflaschen bis zu Halterungen für Handys und Sicherheitsschlösser. Hier profitiert man vom aktuellen Boom. „Wir hätten im letzten Jahr deutlich mehr verkaufen können“, sagt Fiedler. Lieferengpässe in Asien, wo die Schnallen aus Gründen der Nähe zu Kunden produziert werden, bremsten das Wachstum allerdings. Bei den Twist-Flaschen setzt man hingegen aus Gründen der nachhaltigeren, kürzeren Wege auf Italien als Produktionsstandort.

Das Potenzial sieht Fiedler noch nicht ausgeschöpft. Vielmehr sieht sich der ermüdungslose Erfinder am Ufer eines „endlosen Ozeans an Ideen“ stehen. „Da eröffnen sich immer neue Wege und Möglichkeiten“. Das – und damit schließt sich der berufliche Kreis zu einem harmonischen C-Dur-Dreiklang – sei „wie das Komponieren einer neuen Sinfonie“, schwärmt Fiedler. Sein Traum­bike? „Hat an jedem geraden Rohr drei bis vier Fidlock-Halterungen serienmäßig und als Grundausstattung vom Hersteller vormontiert.“