Er ist "unser Mann fürs Grobe". Klaus Höfler, mit Leib und Seele Journalist, ist auch mit Leib und Seele Sportler. Einer, der Marathons im Bergwerk läuft, 24 Stunden durchwandert, mit Schlittenhunden im Eis schläft. 2015 hat er den Großglockner gar im Doppelpack erlaufen – und erklärt an diesem Beispiel den Läufer-Lebensstil und seine Lust am Sport.

Von Klaus Höfler


Warum diesen Berg hinauf laufen? Der Berg selbst liefert keine befriedigenden Antworten. Weder von der einen noch von der anderen Seite. Du kannst ihn von Salzburg auf der Hochalpenstraße hochhetzen oder den Kärntner Weg durchs Gelände nehmen: Der Großglockner steht einfach da – und schweigt. Wahrscheinlich wundert er sich in seinem Inneren selbst, was das soll: Laufen?! Und eigentlich hat er ja recht. Es gibt keinen rationalen Grund, die Schrittgeschwindigkeit aus einem angenehmen Geh-Rhythmus in anstrengendere Temporegionen hochzuschrauben, nur um zu schwitzen, zu schnaufen und Muskeln zum Schmerzen zu bringen. Noch dazu bergauf.

Warum ich es trotzdem mache? Weil es Spaß macht. Zumindest mir. Nudelweiche Antwort, ich weiß. Das mit dem Gaude-Effekt durch körperliche Anstrengung ist für bewegungsaffine Zeitgenossen eine lahme Plattitüde und für „No sports“-Apologeten pseudoesoterischer Schmarren.

Außerdem: Stimmt das mit der Bespaßung von Kopf und Körper überhaupt? Spaß? Fragen die Wadln nach einer Serie von steilen Kehren die Glocknerstraße hinauf. Spaß? Fragen die Oberschenkel auf den letzten Felsstufen im Trialrun-Schlussanstieg. Spaß? Fragt das in Vollauslastung pumpende Herz bei fast jedem Straßenmarathon ab Kilometer 36. Ja, Spaß! Sagt das Hirn. Später dann. Im Ziel. Und dazwischen? Macht es einen Unterschied, wie lange man läuft, wie schnell man läuft, wo man läuft? Vielleicht kann der Berg ja doch Antworten liefern.

EIN BERG – ZWEI LÄUFE
Die Grunddaten für mein Experiment sind ident: ein Berg – der Großglockner. Zwei Läufe – einmal der „Glocknerkönig“-Straßenlauf Mitte Juni von der Nordseite hinauf zum Fuscher Törl auf 2430 Meter. Das zweite Mal – ein Monat später – der Großglockner-Berglauf von Heiligenblut im Süden hinauf zur Kaiser-Franz-Josefs-Höhe auf 2.370 Meter. In beiden Fällen eine rund 13 Kilometer lange Strecke. Einmal 1.300 Höhenmeter (auf der Straße), einmal 1.400 Höhenmeter (im Gelände). Was wird härter? Welche der beiden Varianten macht mehr Spaß?

Mein innerer Glücks-Tachometer schlägt schon vor den jeweiligen Startkommandos aus. Das tut er nicht nur am Fuße des Großglockners, sondern eigentlich bei jedem Lauf und immer schon. Egal, ob beim ersten Marathon vor fast zwanzig Jahren oder beim letzten Staffelbewerb in der Schweiz. Man kann es positiven Stress, nervöse Anspannung oder einfach nur ein „geiles Gefühl“ nennen – dieses Kribbeln rund um den Nabel wie beim ersten Date; der leicht beschleunigte Herzschlag, das Ringelspiel im Kopf zwischen „Habe ich genug trainiert?“ –„Druck wegknipsen!“ – „Ist die Uhr im richtigen Modus aktiviert?“ – „Trinken nicht vergessen!“ – „Passt die Marschtabelle?“ Und: „Spaß haben!“. Ganz intensive Augenblicke mit Suchtcharakter. Klingt wieder ziemlich psychedelisch. Vielleicht ist es das auch: Laufen, das LSD des kleinen Mannes.



WECHSELSPIEL STRASSE-GELÄNDE
Am Glockner bekomme ich die Droge relativ schnell relativ hoch dosiert. Nach kurzen Flachpassagen wölbt sich sowohl auf der Straße als auch im Gelände der Berg schnell auf. Die Schritte werden kürzer, der Puls schneller, das Tempo langsamer. Und während ich im Gelände auf der steilen Forststraße bald einmal in den Gehmodus umschalte, bleibt es auf der Straße immer ein Laufen.

Zwischenbilanz: Die Straße macht mir zu Beginn mehr Spaß, auch wenn Untergrund und Umgebung weniger Abwechslung bieten. Sobald es aber im Gelände beginnt, ein wenig flacher zu werden, die Forststraße zu einem Singletrail zusammenschrumpft und der Wald sich lichtet, übernimmt die Cross-Variante emotional die Führung. Dort, wo Topografie und Terrain ein Laufen zulassen, kann ich gut Tempo machen; dort, wo das Gelände steiler und steiniger wird, bläst sich der innere Schweinehund mächtig auf und will mich zum Nachlassen überreden. Nix da!

SIEGER IM KAMPF GEGEN DAS EGO
Auch das macht für mich den Reiz des Sports im Allgemeinen und des Laufens im Speziellen aus: Das direkte Duell mit mir selbst. Hier der ambitionierte Wille, schnell zu sein; dort der kleine Teufel im Ohr, der mich zum Stehenbleiben überreden will. Es geht hier nicht um verkrampften Ehrgeiz. Es ist nämlich völlig wurscht, ob ich Platz 100, 1.000 oder (dank kleinem Starterfeld) Rang 10 belege – immer werden viele schneller sein, die Gewinner meist Lichtjahre voraus.

In der Nüchternheit einer Ergebnisliste bin ich als Hobbyläufer immer unter den Verlierern (man lernt, sich selbst nicht ganz so wichtig zu nehmen). Aber im Kampf gegen das eigene Ego will ich zumindest Sieger bleiben. Da geht es ums Prinzip. Daher: „Push!“, „Geht schon!“, „Weiter so!“, „Das schaut gut aus!“ – die Motivationsparolen, selbst gedacht oder einem von Zuschauern entgegengebrüllt, sie sind der Sprit, der den Spaßmotor in mir befeuert.

GRINSEN STATT GRIMASSE
So läuft man mitten hinein ins eigene Glück. Klingt wieder nach kitschiger Palmenstrand-Fototapete. Aber es gibt (beim Sport) wenig lässigere Momente als jene, in denen man auf einer Endorphinwelle zu surfen beginnt. Wenn plötzlich alles ganz rund, locker und es sich wie von selbst läuft, wenn statt einer gequälten Grimasse sich ein breites Grinsen im Gesicht festzurrt.

„Flow“ nennen es die Psychologen. Das lässt sich nicht erzwingen, aber fördern. Wie? Ich gehe nie laufen, weil ich muss, sondern weil ich kann. Und will. Ich habe noch nie einen echten Trainingsplan gehabt, sondern mache das, worauf mein Körper gerade Lust hat – schnell laufen, langsam laufen, Intervalle laufen, gar nicht laufen. Stiegen hinauf laufen, Flüsse, Küsten oder Radwege entlanglaufen, durch den Wald oder fremde Städte laufen, über Wiesen oder im Schnee laufen. Marathons laufen in einem Bergwerksstollen, entlang der Weinstraße, im Innenhof eines Gefängnisses, über Gletscher, durch Hauptstädte: Hauptsache, Spaß dabei haben! Auch am Glockner.

Video: Highlights vom Großglockner Berglauf 2015


GLÜCKSCOCKTAIL DER FINISHER
Ich habe mittlerweile aufgehört, beim Straßenlauf die Kehren zu zählen, die sich mit rund zehn Prozent Steigung in den Hang biegen. Der Berg lässt einem keine Zeit durchzuatmen. Ganz oben sehe ich schon die Schlussrampe, höre den Sprecher und die Zuschauer.

Einen Monat später, beim Berglauf, dasselbe Bild: Klein kommt man sich vor, am Beginn des mörderischen Schlussanstiegs vom Gletschersee über Felsbrocken und kleine Holztreppen hinauf zur Franz- Josefs-Höhe. Sehr klein. Mit schrumpfender Distanz zum Zielbogen wächst aber da wie dort die innere Zufriedenheit. Am Ende – auf der Straße nach knapp eineinhalb Stunden, durchs Gelände eine Viertelstunde länger –fühle ich mich dann groß genug, die Welt zu umarmen.

Klingt wieder nach emotionalem Schmalz. Mag sein, aber die Atmosphäre, die Achterbahn zwischen Erleichterung und Ermattung, Stolz und Strapaz, das Gefühl, ein Sieger zu sein, dieser Glückscocktail, der jedem Finisher auf der Zielgeraden eines Laufs am Silbertablett serviert wird, den kann man nur schwer beschreiben. Den muss man erleben. Genussfaktor: XXX-Large.

Sport ist eben mehr als nur Bewegung, Laufen ist – für mich – mehr als nur Rennen. Es ist eine Reise mit mir selbst zu mir selbst. Vergiss den oberg’scheiten Lebensberatersoundtrack, der da mitschwingt. Versuch es! Tu es! Warum? Weil es Spaß macht!

DER MANN FÜRS GROBE

Klaus Höfler / Bild: privat

Klaus Höfler, 42 Jahre, lebt mit Frau und zwei Kindern in Graz, arbeitet als Redakteur bei der Kleinen Zeitung.

War in seiner Jugend Leistungsschwimmer, lief vor 20 Jahren aus Neugier seinen ersten Marathon – und fand damit ein neues Hobby (Bestzeit: 2:54).

Lief bisher ca. 25 Marathons und rund 40 Halbmarathons, viele auch als SPORTaktiv-Pacemaker.

Sucht nach Marathons und außergewöhnlichen
Laufveranstaltungen, zum Beispiel im Bergwerk, im Gefängnishof, am Gletscher und in Großstädten.

Kontakt:klaus.hoefler@kleinezeitung.at



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