Wissenswertes rund um das Thema Scheibenbremsen, Bremsscheiben und -beläge am Fahrrad – und wann sich ein Upgrade lohnt.

Lukas Schnitzer
Lukas Schnitzer

Ist größer wirklich immer besser? Und sind vier Kolben an der Zahl zweien stets überlegen? Wir haben uns mit Lukas Fritsch, Junior- Produktmanager Aftermarket bei Magura, und Manuel Michlmayr, Brandmanager Shimano Komponenten bei Thalinger-Lange, ausgiebig zum Thema Scheibenbremsen am Bike unterhalten und wertvolle Tipps rund um das Thema zusammengesammelt. Wer schon mit dem Einstieg aussteigt, der sei beruhigt: Die Jungs wissen ihr Wissen rund um die Bremsen auch in einsteigergerechten Worten wiederzugeben. Gern genutzte und relativ kostengünstige Stellschrauben für die Bremsperformance sind Scheibendurchmesser und Beläge – teurer und im besten Fall schon beim Kauf zu berücksichtigen ist die Entscheidung zwischen Bremssystemen mit zwei oder vier Kolben.

Die Sache mit der Scheibengröße
Wir schreiben es immer wieder in Ratgebern: Der Durchmesser der Bremsscheibe muss einfach zum Einsatzzweck passen. Oder, wie es Manuel Michlmayr ausdrückt: „Größere Scheiben bieten mehr Bremskraft und eine gleichzeitig höhere Wärmeableitung. Das Upgrade auf größere Scheiben lohnt sich bei hartem Gebrauch oder schwereren Bikes enorm.“ Grundsätzlich unterstreicht dies auch Maguras Lukas Fritsch mit nackten Zahlen: „Bei gleicher Handkraft generiert eine Bremsscheibe mit 203 mm Durchmesser rund 10 % mehr Bremskraft als ein Modell mit 180 mm. Bei 220-mm-Scheiben sind es sogar 20 %.“ Unterm Strich schonen größere Durchmesser die Handkraft, beugen Bremsfading vor und bringen so Sicherheit. Für schwere Fahrer seien große Discs ohnehin Pflicht, meint Fritsch. Zu beachten gilt es aber auch das Gesamtgewicht aus Fahrer, Bike und Gepäck. Schon ein schwer beladener Rucksack kann hier auch bei leichteren Fahrern die Anforderung ans Bremssystem erhöhen. Allerdings warnt der Magura-Experte auch vor Generalisierungen. Tatsächlich, so seine Expertise, sollten die Bremsscheiben zwar „so groß wie nötig“, aber eben auch „so klein wie möglich“ dimensioniert werden.

Größer ist demnach nicht immer gleich besser: „Nur wenn du dein Bremssystem auf Temperatur bringen kannst, erreichst du auch den Sweetspot der besten Performance. Ein zu großer Durchmesser verbunden mit einem zu leichten Einsatz oder geringem Fahrergewicht kann das System unterfordern.“ Konkret kann durch für   den Einsatz (zu geringe Steigung, zu langsames Tempo, zu geringes Systemgewicht) überdimensionierte Bremsscheiben die Dosierbarkeit der Bremse leiden. Außerdem benötigen größere Scheiben bei geringem Fahrergewicht längere Einbremszeiten – Fahrer unter 70 kg können unter Umständen Scheiben über 180 mm gar nicht ordentlich einbremsen, da Beläge und Scheiben nie die erforderlichen Temperaturen erreichen.

Pauschal lässt sich also sagen: Je höher das Gesamtgewicht bzw. je anspruchsvoller das Gelände, desto größer sollte die Bremsscheibe gewählt sein. Fakt ist: Der Tausch der Bremsscheiben hat großen Einfluss auf die Performance der Bremse, lässt sich für handwerklich mittelmäßig begabte Hände auch in Eigenregie leicht bewerkstelligen. Neben der Freigabe von Rahmen und Gabel für den Wunsch-Diameter (220, 203, 180, 160 und am Rennrad 140 mm) braucht es dann nur noch die zur Nabe passende Scheibe (6-Loch vs. Center-Lock) sowie, wenn nötig, ­einen passenden Adapter für die ­Disc-Aufnahme.

Bremsbeläge
Das Thema der Bremsbeläge ist, so drückt es Manuel Michlmayr aus, ein „weites Feld mit zahlreichen Varianten, meist schon vom Bremsenhersteller selbst“. Grundsätzlich werden drei Arten von Belägen unterschieden. Organische Beläge sind (trocken wie nass) leiser, verschleißen aber schneller. Metallische Beläge („gesintert“) hingegen würden Michlmayr zufolge länger halten, dafür aber lauter sein. Oftmals bieten Hersteller aber auch Hybridvarianten („semigesintert“), die die positiven Aspekte beider Typen vereinen. Mehr Metallanteil führt in der Regel zu höherer Standfestigkeit bei Dauerbremsungen und schwerer Belastung. Ein geringerer Anteil sorgt für bessere Dosierbarkeit – ideal für Könner, die kurz und präzise vor der Kurve bremsen.

Da im Produktionsprozess organischer Beläge meist auch Metalle verarbeitet werden und es keine einheitliche Klassifizierung gibt, ist es Lukas Fritsch zufolge auch schwer, Beläge untereinander zu vergleichen. Bei Magura orientiert man sich an folgender Faustformel: Organische Beläge weisen unter 30 % Metallanteil, semigesinterte 30 bis 60 % und gesinterte über 60 % Metallanteil auf. Der Hersteller selbst verwendet ausschließlich organische Beläge mit unterschiedlichen Mischverhältnissen, hat seine Scheibenbremsen auch auf diese hin optimiert. Wichtig: Neue Beläge müssen richtig eingebremst werden, um ihre volle Performance zu entfalten. Magura empfiehlt dazu etwa 30 sanfte, aber bestimmte Bremsungen aus rund 25 bis 30 km/h bis zum Stillstand.

Zwei- vs. Vier-Kolben-Bremsen
Gerne raten wir in unserem Magazin, gerade im Trail- und Enduro-, aber auch im E-MTB-Bereich, zu Vier-Kolben-Bremsen. Diese Bremsen, so Manuel Michlmayr, haben vier Kolben im Bremssattel und bieten mehr Brems- bei gleicher Hebelkraft. Das Mehr an Power entsteht durch die größere Masse des Bremskörpers, was für eine bessere Hitzeresistenz und Wärmeableitung sorgt. Perfekt für aggressive Abfahrten, aber auch das (Dauer-)Bremsen höherer Systemgewichte.

Zwei-Kolben-Bremsen eignen sich grundsätzlich für jeden Einsatzbereich, sind deutlich leichter im Eigengewicht, neigen bei „anhaltenden Schleifbremsungen aber zu Fading, sprich nachlassender Bremswirkung“, erklärt Michlmayr. Gut für leichte Fahrer mit sportlichem Fokus im Kampf um Sekunden bergauf oder sportlich orientierte Touren. Für Allrounder, sprich moderne Trailbikes, bietet sich auch an, zu mischen, sprich am stark beanspruchten Vorderrad auf 4, am Hinterrad auf 2 Kolben zu setzen und so Gewicht und Bremsperformance unter einen Hut zu bringen.