SPORTaktiv war auf Einladung von Italiens Tourismusagentur ENIT beim Giro d’Italia und durfte drei Etappen mit dem E-Rennrad mitfahren. Beim „Giro E“ trafen wir nicht nur die Weltmeister Luca Toni und Paolo Bettini, sondern machten auch Bekanntschaft mit Lambrusco und Parmigiano.
Nach dem Kreisverkehr eintauchen in die enge Ortseinfahrt von Pinerolo und dort stehen sie: Hunderte Volksschulkinder mit rosaroten Luftballons und Fähnchen, sie schreien sich die Seele aus dem Leib. Von den Balkonen winken Omas, aus den Häusern laufen Apothekerinnen, Zahnärzte, Verkäuferinnen, Mechaniker, alle zücken die Handys. Hunde bellen aufgeregt und die Beamten auf den Polizeimotorrädern hupen sich die Finger wund. „Ciao, Ciao, Ciao“ schallt es von allen Seiten und „Braaavi“! Der Giro d’Italia rauscht durch? Nein. 60 normalsterbliche Frauen und Männer auf Elektrorennrädern kurbeln durch den Ort und fühlen sich für ein paar Sekündchen selbst wie große Radstars. Wie das?
Zum einen ist Italien ein radsportverrücktes Land. Rennräder haben es den Landsleuten von Coppi, Pantani und Nibali besonders angetan. Die traditionelle Italienrundfahrt zeigt das in den schönsten Blüten. Jedes Haus, jeder Zaun, jedes Dorf ist rosa geschmückt, in den Start- und Zielorten ist die Hölle los, das muss man einmal erlebt haben. Zum anderen haben die Veranstalter heuer zum zweiten Mal den „Giro E“ im Rahmenprogramm, eine Art Promotion mit Renncharakter, mit 18 Etappen auf E-Rennrädern auf der Originalstrecke. Partner und Sponsoren des echten Giro wie Castelli oder Toyota stellen zehn Teams zu je sechs Fahrern.
Für das italienische Team ENIT der Tourismusagentur in Rom darf SPORTaktiv drei Tage lang mitfahren, mit Journalistenkollegen aus Deutschland, Brasilien und Südkorea. Als unser „Capitano“ fungiert Ex-Profi Max Lelli, der im Peloton aus Hobbyfahrern, Semi-Pros, Journalisten und Promis das Tempo gemeinsam mit dem ehemaligen Paris-Roubaix-Sieger Andrea Tafi im Auge behält. „Calma, calma“, ruft Lelli vor, wenn die Hinteren abgehängt werden. Es gibt Sonderprüfungen mit Geschwindigkeitsvorgaben (z.B. im Team exakt 31,7 km/h für 8 km halten – ohne GPS oder Radcomputer), am Ende des Tages eine Punktewertung sowie farbige Wertungs- und Führungstrikots. Der Spaß steht aber im Vordergrund. Das fitteste Team ist übrigens Kilocal SMP, eine Damenmannschaft mit drei Ex-Weltmeisterinnen und ehemaligen Jungprofis.
Nach den vier- bis fünfstündigen Etappen fehlt es uns an nichts. Wir werden von ENIT-Geschäftsführer Giovanni Bastianelli und unseren ENIT-Betreuern wie Giro-Sieger behandelt, die Räder stehen jeden Tag ready da, am Abend wird gefeiert mit den Köstlichkeiten der Region: Lambrusco, gebackener Parmigiano, Salami. Dolce Vita, Mammamia! Wenn nur der Muskelkater nicht wäre …
Überall Weltmeister
Aber hoppla! Ist das nicht Luca Toni? Der ehemalige Bayern-Star und Weltmeister taucht bei der Etappe von Lugo nach Modena auf. „Ich sitze zum ersten Mal auf einem Rennrad“, grinst der Fußballer, der im Promi-Team Werbung für die Olympia-Kandidatur von Mailand-Cortina 2026 macht. Ob er noch oft in München ist? „Immer wenn mich Frank einlädt, drei, vier Mal im Jahr“, erzählt der ehemals beste Buddy des scheidenden Bayernstars Frank Ribery. „Schade, dass er aufhört.“ Luca Toni bekommt am Rennrad schnell Schmerzen am Rücken und Hintern und fährt meistens freihändig und mit seitlich weit abgestreckten Armen, wie bei der Titanic-Haltung. Aber er hat Spaß. Im Ziel treffen wir einen anderen italienischen Weltmeister, Paolo Bettini. Selfie? Certo. Auch Mario Cipollini ist da, Langlauf-Olympiasiegerin Stefania Belmondo fährt die erste bergige Etappe über den Montoso sogar mit. Der Montoso bringt unsere Akkus erstmals zum Glühen (siehe Erfahrungsbericht), die Huldigungen der Fans an ihre Legenden können wir im Schweiße unseres Angesichts gerade noch lesen. „Sempre il Pirata“, kritzeln sie auf den Asphalt. Und N-I-B-A-L-I. Wen’s interessiert: Die Profis sind den Montoso ohne Motor wesentlich schneller hinaufgerast als wir mit Motor, z.B fünf Minuten schneller als ich im Full-Power-Modus. Incredibile, watt-tastisch!
Unsere Etappen sind natürlich nicht so lang wie die des Original-Giros, etwa 120 km pro Tag, und enden genau drei Stunden vor dem Profirennen im selben Ziel. Auch wir haben einen wild wachelnden Rennleiter im Auto vor uns, einen ganzen Tross von Begleitfahrzeugen, Fotografen und 20 Polizisten und Ordner auf Motorrädern um uns herum. Das fühlt sich sehr geil und profimäßig an. Typisch für Italien wird ohne Unterlass gehupt, gedeutet und gepfiffen. Vielleicht glauben deshalb viele, der echte Giro rauscht heran. In einem kleinen Örtchen lässt der Pfarrer sogar die Kirchenglocken für uns läuten. Grazie mille!
Der SPORTaktiv-Test: So fährt sich ein Elektro-Rennrad!
E-Rennräder dürfen wie alle E-Bikes laut Gesetz bis 25 km/h unterstützen, darüber schaltet der Antrieb automatisch ab. Beim Rennradfahren, vor allem in der Ebene, fährt man aber meistens im Bereich von 30 km/h, in Gruppen auch darüber. Man kurbelt also im Normalfall nur mit Muskelkraft.
Meine ersten beiden Etappen des Giro E waren sehr schnell, fast immer bei 33 bis 35 km/h. Der Motor meines Pinarello Nytro hat nur für wenige Sekunden eingesetzt, bei kleinen Hügeln oder beim Rausbeschleunigen nach Kreisverkehren. So würde der Akku wohl Tage und Wochen halten. Das Nytro hat 13 kg, was nur beim Losfahren negativ auffällt. Einmal auf Geschwindigkeit merkt man keinen Unterschied zu einem echten Rennrad mit sechs oder sieben Kilogramm.
Pinarello setzt auf den sehr leichten Fazua-Antrieb, den man völlig entkoppelt fahren oder in drei Stufen zuschalten kann: mit 125 Watt, 250 Watt und 400 Watt Maximalpower. Der Fazua-Antrieb ist im Gegensatz zu normalen Rad- und E-Bike-Motoren fast lautlos. Beim Aufstieg zum Montoso (8,8 km Steigung mit 838 Höhenmetern) war volle Unterstützung angesagt. Oben angekommen war der Akku fast leer.
Resümee zum Pinarello Nytro: sehr überzeugendes Fahrgefühl, Konzept stimmiger als bei E-Mountainbikes, Antrieb nur dann, wenn man ihn wirklich braucht, perfetto.