Die Olympischen Winterspiele 2022 haben in China einen staatlich angeordneten Skiboom ausgelöst. SPORTaktiv-Redakteur Wolfgang Liu Kuhn ist China-Insider und er weiß: Der Trend auf Befehl funktioniert – wenn auch mit einigen Abers.
Von Wolfgang Liu Kuhn
So wirklich olympisch wirkt das Ski Resort in Chongli an diesem grauen Jänner-Nachmittag (noch) nicht. Neben einer Skipiste singen die Kreissägen ihr Lied vom Aufbau eines Hotelkomplexes, der Smog aus der 250 Kilometer entfernten Hauptstadt Peking wabert wie ein hartnäckiger Schleier über die Kunstschneebänder, die sich grotesk gegen die braune Berglandschaft abzeichnen.
Manch böse Zunge – überwiegend westlicher Natur – hat diese Berge auch schon abschätzig als „Idiotenhügel" bezeichnet. Doch davon will Skilehrer Zhao Bin nichts wissen. Er hat alle Hände voll zu tun, seine fünf Schützlinge einigermaßen heil ins Tal zu bekommen. „Beim Skifahren geht es darum, die Angst zu überwinden", ruft eine von ihnen zwischen zwei vorsichtigen Bogerln wenig überzeugend, doch immerhin: Mit olympischem Geist – „dabei sein ist alles" – und ausreichend Zuspruch von Lehrer Zhao hat es schließlich die ganze Gruppe geschafft. „Es ist natürlich schwierig, wenn Menschen erstmals auf Ski stehen, die den Rest ihres Lebens wahlweise im Büro, im Stau oder auf dem Golfplatz verbringen. Aber sie geben sich Mühe und es macht ihnen zunehmend Spaß", lobt Zhao seine Schüler.
ZIEL: 300 MILLIONEN SKIFAHRER
Wintersport und China – das war eine Liaison, die im Reich der Ping-Pong-Spezialisten bislang mäßig funktionierte. Spätestens mit dem Zuschlag für die Olympischen Winterspiele 2022 hat sich das geändert. Der chinesische Präsident Xi Jinping hat die Marschroute vorgegeben, bis zu den Spielen 300 Millionen (von aktuell rund 1,37 Milliarden) Chinesen für den Wintersport zu begeistern, was bei der Vergabe der Spiele ein wichtiges Kriterium war.
Peking ist somit die erste Stadt, die sowohl Olympische Sommer- als auch Winterspiele ausrichtet. Und Österreich zählt als klassische Winter- und Alpendestination schon jetzt zu den Gewinnern: „Selbstverständlich hoffen wir, davon profitieren zu können. Es geht dabei nicht nur um Lieferungen für Sportanlagen, sondern auch um die Masterplanung von Resorts und um Know-how, wie diese effizient betrieben werden", sagt etwa Dr. Martin Glatz, österreichischer Wirtschaftsdelegierter in China.
Erkannt wurde der Trend schon früher: Seit 2009 richtet das AußenwirtschaftsCenter Peking das „Austrian Charity Ski Race" aus, das sich zu einem Vernetzungstreffen für Industrie und Touristiker gemausert hat. „Das war sehr wichtig, denn unabhängig von den Spielen entwickelt sich der Wintersport in rasantem Tempo. Neue Skigebiete entstehen, Unternehmen wie Wanda und Wanke investieren stark in Wintersportresorts. Chinesen haben mehr Geld und Freizeit und sie sind bereit, in Freizeit zu investieren. Dabei haben sie auch den Wintersport entdeckt."
BUSINESS AUF DER SKIPISTE
Es herrscht also tatsächlich Aufbruchsstimmung – nicht zuletzt deshalb, weil sich prominente Chinesen als Ski-Enthusiasten bereits geoutet haben. Etwa Bei Jun, Gründer von Xiaomi, dem chinesichen Marktführer im Bereich Smartphones; oder Robin Li, Vorstand von Baidu, dem chinesischen Pendant zu Google. Da stellt sich die Frage: Wird die Piste also den Golfplatz als klassischen Anbahnungsort von Geschäftsbeziehungen in China ablösen? Zumindest gibt es ein deutlich steigendes Angebot: In der Saison 2015/16 gab es 568 Ski-Resorts in China, im Jahr davor waren es noch 453.
Allerdings sind diese Zahlen – nicht nur angesichts der Größe des Landes – auch mit Vorsicht zu genießen: Nur drei Prozent dieser Resorts können einen Standard wie in Europa oder Nordamerika bieten, nur 18 von ihnen weisen von Start- bis Endpunkt einen Höhenunterschied von mehr als 300 Metern auf. Das hält die Chinesen aber nicht davon ab, die Pisten zu entern. 12,5 Millionen Schneebegeisterte besuchten in der letzten Saison die Skigebiete. 122.700 Paar Ski wurden dabei ausgeliehen, im Vergleich zum Jahr davor ein Zuwachs um fast 25 Prozent. Verkauft wurden dagegen lediglich rund 20.000 Paar.
NOCH VIELE FRAGEZEICHEN
Die Olympischen Winterspiele 2022 in Peking bleiben jedenfalls eine Herausforderung: Noch weiß niemand, wie die alpinen Bewerbe in der Hügellandschaft von Yanqing über die Bühne gehen sollen, und auch Chongli hat als Austragungsort der Biathlon-, der Nordischen und der Snowboardwettbewerbe so seine Probleme. Die Region leidet unter chronischer Wasserknappheit, wodurch Wasser als (Schnee-)Kanonenfutter zumindest fragwürdig ist. Andererseits ist das durchschnittliche Jahreseinkommen in der einst bettelarmen Region von 400 Euro im Jahr 2008 auf 1.000 Euro im Jahr 2013 gewachsen.
So viel gibt eine Familie aus Beijing für zwei Skiwochenenden aus. „Olympia ist eine Riesenchance, das Dorf wird sich verändern und viele Bewohner werden reich genug, um von hier wegzuziehen", sagt Skilehrer Zhao, dessen Frau in einem der Ski-Hotels arbeitet. Und, wo würde er am liebsten unterrichten? „Na, in Österreich natürlich!" Sprach's, und setzt das schönste Skilehrerlächeln auf.
Mit unserer neuen Serie „Weltweit" wollen wir einen Blick über die gewohnten Grenzen hinaus werfen – geografisch und mitunter auch thematisch. Diesmal: Was es mit dem prognostizierten Skiboom im bevölkerungsreichsten Staat der Erde China auf sich hat. |
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