Das Fahrrad steht für Nachhaltigkeit, grüne Mobilität und Gesundheit. Die Realität in der Produktion in Asien schaut oft anders aus. Das ruft die EU auf den Plan und hat die österreichische Marke Woom erreicht, die jetzt mit Transparenz PUNKTET UND IN DIE OFFENSIVE GEHT. 

Christoph Heigl
Christoph Heigl

Nachhaltigkeit ist in der Sportbranche das Thema der Stunde. Diskussionen um Klimawandel, Fairness, vegane Ernährung, von Ethik und Moral geleitetes Kaufverhalten, ökologische Produktionsbedingungen und Mobilitätsvisionen haben sich bei der größten Sportartikelmesse, der ISPO in München, wie ein „grüner Faden“ durch die Messehallen gezogen (siehe unseren Bericht im FIT-Teil).  Auf der Eurobike-Messe im Jahr 2019 war das Thema auch in der Radbranche spürbar. Eher noch im Ausrüstungs- und Bekleidungsbereich, aber Diskussionen um die Produktion von Carbon- und Aluminiumprodukten in Fernost (im Fokus: die Rahmen) hatten die Branche längst erreicht. Bis auf in Kleinstserien produzierende Nischenanbieter bezieht die gesamte Szene ihre Rahmen seit Jahrzehnten aus China und Taiwan. Doch auch dort steigen allgemeiner Wohlstand und Umweltauflagen. Die Produktionsbedingungen unter im Vergleich zu Europa günstigeren Vorzeichen werden schwieriger, weshalb chinesische und taiwanesische Produzenten mit Subfirmen in noch ärmere Länder auswandern, wo sie ihrer Einschätzung nach „produktionsfreundlichere Konditionen“ vorfinden. Zudem werden Einfuhren aus China und Taiwan in die EU mittlerweile mit hohen Strafzöllen belegt.

So werden Laos, Vietnam, Kambodscha und Nord-Thailand zu Orten der Begierde. Das Rad dreht sich munter weiter. Die Produkte für uns in Europa bleiben billig, nur vor Ort in den Fabriken werden die Bedingungen nicht besser. Arbeitnehmerrechte und Umweltstandards sind in diesen Ländern nicht ganz oben auf der Agenda, vor allem die Zustände in der Textilindustrie sind ständig in den Medien. Nur ganz wenige westliche Fahrradproduzenten können aus diesem Karussell aussteigen. Von den Großen, die auf riesige Stückzahlen und günstige Preise für den Endkunden angewiesen sind, keiner. Möglich ist die Produktion z. B. in Europa nur für jene Nischenmarken, die auf wieder im Trend liegende Handarbeit mit Schweißgerät und Co. setzen und Radrahmen aus edlem Stahl oder Titan brutzeln. Doch das sind nur ganz, ganz wenige, wie etwa die Engländer von „Stanton Bikes“, die ihre Produktion vom fernen Taiwan gerade zurück auf die britschen Inseln in die nebligen Derbyshire Dales ins Örtchen Tansley verlegt haben. Englische Handarbeit, dementsprechend exklusiv, die Klientel greift da gerne ein bissl tiefer ins Börserl. So können kleine Rahmenschmieden in Italien, Frankreich und England am Markt bestehen. Billige Serienproduktion findet am anderen Ende der Welt statt. 

„Made in Cambodia“. Dieser Kleber ziert viele Räder, die aus Fernost in Europa landen. Im Jahr 2018 waren es 1,5 Millionen Räder für den gesamten EU-Raum, davon 560.000 für Deutschland. Kein Land liefert mehr Fahrräder nach Deutschland als Kambodscha, schreibt Zacharias Zacharikis im Dezember 2019 in einer aufsehenerregenden Reportage für „DIE ZEIT“. Der Wirtschafts- und Gesellschaftsredakteur war in Kambodscha und hat im Vertrauen mit Arbeitern von Fabriken gesprochen, in denen Fahrradrahmen hergestellt werden. Das Bild war ernüchternd: Von oft nur 5,50 Euro Taglohn war die Rede, kaum langfristige Verträge, kein Urlaub, totale Erschöpfung, schlechte Ausbildung, handwerklich fragwürdige Fertigung. Die Geschäftsführungen vor Ort bestritten die Vorwürfe vehement. Auch die Cambodian Bicycle Coalition als Zusammenschluss der drei großen Fabriken vor Ort in Bavet stellte in einer Presseaussendung Punkt für Punkt klar, dass die Schilderungen im Artikel nicht korrekt sind. Besonders brisant war der Zeit-Artikel für den deutschen Markt dennoch, weil in jenen Fabriken u. a. Räder für die große „Zweirad-Einkaufs-Genossenschaft ZEG“ aus Köln (u. a. mit den Marken Bulls, Pegasus) und früher für die bekannte Marke Cube hergestellt werden, die am europäischen Markt mit hoher Qualität und hohen Standards werben. 
 

Erwähnt wird in der Reportage auch der heimische Vorreiter in Sachen Kinderbikes, die junge Marke „Woom“ aus Klosterneuburg bei  Wien. Auch deren Rahmen werden in Asien hergestellt. Woom-Gründer und Geschäftsführer Christian Bezdeka wurde in einem Folgeartikel zitiert: „Für uns kommt es nicht infrage, dass wir auf Kosten anderer erfolgreich sind. So ticken wir nicht und wir glauben auch nicht, dass dies funktioniert. Wir nehmen die Vorwürfe sehr ernst.“ In der Folge kommunizierte Woom sehr transparent, veröffentlichte zwei Stellungnahmen auf der Website, auch zu den sehr korrekt wirkenden Arbeitszeiten im Werk sowie den E-Mail-Verkehr mit dem Journalisten mit allen Klarstellungen.  Auch SPORTaktiv stand Woom für alle Fragen zur Verfügung. Nach zwei wenig erfolgreichen Versuchen in Europa, die nicht die gewünschte Qualität brachten, wurde auf das Know-how asiatischer Standorte zurückgegriffen. Bezdeka selbst war in Kambodscha, ein Qualitätsmanager von Woom sei in drei Jahren 36 Mal im Werk gewesen, jeden Monat verbringt er eine Woche dort.  Woom legte offen, „gefragte Produktionspartner in Kambodscha, China und Bangladesch zu haben, die großes Know-how, erstklassiges Material und höchste Qualität“ garantieren, auch den freien Zugang zur Fabrik, ohne merkliche Verschleierungen oder Einschränkungen bezüglich der Arbeitsbedingungen. 

Woom gibt sich mit dem Status quo aber nicht zufrieden und geht weiter in die Offensive. „Wir haben uns entschlossen, ein Projekt zu starten, das sich zum Ziel setzt, einen Standard für faire Fahrradproduktion zu entwickeln, vergleichbar mit den Gütesiegeln anderer Branchen. Dafür haben wir Expertinnen und Experten engagiert, die uns mit Know-how und Erfahrung begleiten. In Kambodscha und Bangladesch möchten wir zukünftig die Produktionsbedingungen auch durch unabhängige Dritte überprüfen lassen“, so Woom. „Das ist aber nichts, was man aus der Hüfte schießt und sicher ein längerfristiges Projekt“, sagt Bezdeka. Über die Fortschritte des Programms werde man regelmäßig informieren, Bezdeka sieht damit die Chance, aus der Situation gestärkt herauszukommen. „Ich bin einer, der in jeder Situation das Positive sieht.“ Dass es im Kinderradbereich auch anders geht, zeigt Woom ohnehin schon vor. Das neue, erste Kinder-E-Bike „UP“ wird in Polen gefertigt und ist made in Europe. „Das ist nur möglich, weil im E-Bike-Bereich der höhere Preis auch eine andere Produktion zulässt und viele E-Zubehörteile ohnehin aus Europa kommen“, erklärt Bezdeka. In puncto Nachhaltigkeit unterstützt Woom eine Diplomarbeit zum Thema Mehrwegverpackung bei der Radauslieferung und steht mit der Marke generell für Langlebigkeit, Hochwertigkeit, Wiederverwertbarkeit und zeitloses Design.

Für uns kommt es nicht infrage, dass wir auf Kosten anderer erfolgreich sind.

Christian Bezdeka, Woom-Gründer und Geschäftsführer

Alles außer Waffen
Für Kambodscha ist eine Änderung in Sicht: Die EU gewährte 2001 den 49 schlechtest­entwickelten Ländern der Welt das Handelsabkommen „Everything But Arms“ (EBA, wörtlich: Alles außer Waffen), das arme Länder mit zollfreiem Warenexport in die EU fördern soll. Kambodscha war darunter, machte aus Europa in der Folge den größten Handelspartner und das Land für chinesisch-taiwanesisch-europäische Radproduzenten erst interessant. Jetzt droht das Land diesen privilegierten Status zu verlieren. Wegen anhaltender Berichte über Menschenrechtsverletzungen und politische Zensur hat die EU Kambodscha die gelbe Karte gezeigt und gedroht, das Königreich aus dem Abkommen auszuschließen. Aus Kambodscha kamen Proteste und der Hinweis, dass das drastische Auswirkungen hätte, speziell auf die ärmste Schicht und im Besonderen die Frauen. In Kambodschas Fabriken arbeiten fast ausschließlich Frauen, Schätzungen zufolge in Summe eine Million. Größter Exportpartner des 16-Millionen-Einwohner-Landes ist Deutschland, wichtigstes Segment die Bekleidungsindustrie (z. B. mit Adidas). Neue Entscheidungen seitens der EU in der Causa Kambodscha sind für Ende Februar angekündigt. Fällt das Land aus dem EBA-Programm, lohnt sich das Geschäft wohl nicht mehr. Die Fahrradindustrie wartet gespannt. Das Rad wird sich weiterdrehen.

Das Rad dreht sich weiter: Grüne Mobilität trifft Fernost-Produktion