Der innere Schweinehund ist unser Begleiter und ständig bei Fuß. Wie er uns schadet, wie er uns schützen will und wie wir ihn austricksen können. Eine Expertenrunde mit dem Sportpsychologen Alois Kogler und echten Schweinehund-Experten aus unserer Sportlerszene.

Christoph Heigl
Christoph Heigl


Jetzt ist die Zeit. Die Zeit des schlechten Wetters, der unwirtlichen Umstände und die Zeit, hoch motivierte Neujahrsvorsätze abzufeuern. Und damit hat auch der innere Schweinehund Hochsaison. Denn dieser Hundling säuselt dir ins Ohr, dass du es eh nicht schaffst (so wie voriges Jahr), dass deine Motivation sicher nicht ausreicht, dass du nikotinsüchtig bleibst und ein Loser bist und das Wetter draußen sowieso die nächsten Wochen zum Vergessen ist. Danke, Schweinehund!

„Der Schweinehund ist wirklich ein Hundling“, lächelt Sportpsychologe Alois Kogler beim Gedanken an dieses Getier. Der Grazer befasst sich schon lange mit dem Phänomen, das es sprachlich nur im Deutschen in dieser tierischen Ausprägung gibt, im Fachjargon der Verhaltensforschung aber in den Kapiteln der inneren Sprache, des inneren Befehls und der automatisierten Gedanken vorkommt. In der Schaltzentrale Gehirn kennt man so was wie das „menschliche Quadrat“ und jeweils Wechselwirkungen zwischen Gedanken, Gefühlen, unserem Handeln und unserem Körper. Oder wie es Kogler ausdrückt: „Wir können nicht denken ohne Gefühle.“ Jeder Gedanke erzeugt bei uns unweigerlich und automatisch ein Gefühl, ein positives oder ein negatives oder ein emotional neutrales Gefühl.

Wer ist der Schweinehund? Wo sitzt er?
„Der Schweinehund ist die personifizierte Figur unserer ständigen inneren Widerstände und Widersprüche“, mein Kogler, „letztlich sogar die symbolische Gestalt unseres Lebens.“ Denn unser Leben sei ein ständiges Auf und Ab, eine Abfolge aus Kriegen, Krisen und Konflikten. Wo er sich befindet, ist medizinisch gut erforscht. Das Phänomen Schweinehund sitzt im limbischen System unseres Gehirns, das Emotionen wie Liebe, Angst und Hass steuert, genauer gesagt in der Amygdala, nach ihrem Aussehen zu Deutsch „Mandelkern“, die nur etwa so groß wie ein Daumennagel ist, aber für unsere Emotionen, ihre Ausprägung und ihre Filterung verantwortlich ist. Während unser Großhirn extrem plastisch ist und lebenslanges Lernen und Wachsen ermöglicht, ist die Amygdala im Alter von etwa 14 Jahren bereits fertig ausdifferenziert – und der Schweinehund damit fertig abgerichtet.
 

Geht raus und bewegt euch. Der Rest kommt von selbst.
 

Dr. Alex Kogler, Sportpsycholge, Arbeitspsychologe, Verhaltenstherapeut, Autor.

Schwei | ne | hund 
Die Bezeichnung umschreibt – oft als Vorwurf – die Allegorie der Willensschwäche, die jemanden daran hindert, unangenehme Tätigkeiten auszuführen (Quelle: Wikipedia). Der Begriff kommt aus der Jagd und geht auf den zur Wildschweinjagd eingesetzten „Sauhund“ zurück, dessen Funktionen das Hetzen, ­Ermüden und Festhalten der Beute war. 

Botschafter der Komfortzone

Ist der Schweinehund nur negativ? Kann er auch nett sein?
Der renommierte deutsche Hirnforscher Gerhard Roth geht davon aus, dass unser Gehirn grundsätzlich träge ist, erzählt Kogler, immer also einen gewissen Anstoß und Motivation braucht. Und da kommt auch die (wie im namensgebenden Jagdjargon übrigens) positive Funktion des Schweinehundes zum Tragen. „Wenn die Stimme in uns sagt, geh nicht raus, es ist kalt und grauslich, ist es auch die schützende Funktion des Schweinehundes, der uns vor einer Verkühlung oder Verletzung bewahren will“, erzählt Kogler. „Angst ist immer ein Warnfaktor, so haben wir in dieser gefährlichen Welt überlebt. Es ist Evolution.“ Wenn unser Gehirn also grundsätzlich faul ist, braucht es Motivation von außen („extrinsische Motivation“), um sich aufzuraffen und aktiv zu werden. Der Schweinehund wacht quasi über unseren Zustand in Ruhe, er ist unser Botschafter der Komfortzone und will nicht, dass wir sie verlassen. „Dabei ist es so wichtig, dass wir die Komfortzone verlassen. Unser Extremorgan Gehirn ist so konzipiert, dass es mit seinen 100 Milliarden Nervenzellen nur dann wächst, wenn wir uns bewegen“, weiß Kogler. „Jeder Gang hinaus in die Kälte ist eine neue Verknüpfung, eine neue Synapse.“ 

Muss man den Schweinehund „bekämpfen“? Warum so aggressiv?
Kogler nennt drei Schritte im Umgang mit dem inneren Schweinehund. Als Erstes braucht es ein gewisses Maß an Aggression, also – wenn man so will – den Kampf: Geh raus! Mach Training! Hör zu rauchen auf! Beweg dich! Danach braucht es als Zweites die Disziplin, dem natürlichen Drang („Komfortzone“) nicht nachzugeben. „Emotionskontrolle“ nennt Kogler diesen Schritt. Nach der Disziplin kommt Phase drei: die Freude, die Belohnung. „Das kann die soziale Anerkennung sein, etwas geschafft zu haben, ein Ziel erreicht zu haben, die Traumfigur, die neue 10-km-Bestzeit, rauchfrei zu sein oder auch – wie in der Profiwelt – die monetäre Entlohnung in Form von Preisgeld und Siegerschecks. „Welche Motivation stärker zieht, ist von Typ zu Typ unterschiedlich“, sagt Kogler. Seine besten Tipps haben wir im Infokasten rechts zusammengefasst.

Einer, der sich stunden-, tage-, ja, monatelang mit seinem Schweinehund befasst haben muss, ist Michael Strasser. Der Niederösterreicher hat mit dem Rennrad Russland und Afrika durchquert (in Rekordzeit) und 2018 einen neuen Weltrekord durch Nord- und Südamerika aufgestellt, als er in 84 Tagen von Alaska nach Patagonien geradelt ist („Ice2Ice“). Auf den 22.600 Kilometern musste er viel verarbeiten: Eis und Schnee, Grenzkontrollen, Bürokratie, Gegenwind, Unfälle, Erschöpfung, ­Lebensgefahr. „Das Wort gefällt mir zwar nicht, aber der Schweinehund ist mein inneres Ich. Ich spreche mit dieser inneren Stimme, frage, wie es so geht und wie sehr ich uns belasten darf“, erzählt Strasser. „Ich habe gelernt, auf meinen Körper zu hören. Wenn ich krank bin, trainiere ich nicht mehr – das habe ich auch erst lernen müssen. Der Körper ist eben keine Maschine, meiner zumindest nicht.“

Ein Beispiel, wie er den Schweinehund austrickst, hat der studierte Architekt aus seinem Trainingsalltag parat. „Ich mag Stabi-Übungen und Core-­Training nicht besonders. Also habe ich mich am USI Wien gleich als Übungsleiter einteilen lassen. Wenn du der Instruktor bist und 150 Leute kommen wegen dir, kannst du nicht absagen“, lacht er. Wobei Strasser auch das Wort „Training“ nicht sonderlich mag. „Ich habe einen starken inneren Antrieb für Bewegung und durfte das schon als Kind lernen, wie gut es tut, sich bewegen zu können. Die Menschen sollten nicht immer von ,Training‘ sprechen. Sie sollten davon sprechen, wozu wir eigentlich gebaut sind – und das ist sicher nicht, zehn Stunden pro Tag vor dem PC zu sitzen. Geht raus und bewegt euch, der Rest kommt von selbst.“ Das kennt auch Sportpsychologe Kogler. „Freude an der Bewegung“ bzw. „Bewegungslust“ nennt er diesen starken Motivator, wenn es uns einfach Freude bereitet, in Bewegung zu sein und eine sportliche Betätigung auszuüben.

Noch ein paar Tipps aus der Praxis? Der Chefredakteur von SPORTaktiv, Name und Anschrift der Redaktion bekannt, motivierte sich einst zum Start seiner Laufkarriere, indem er sich mit sündhaft teuren Laufschuhen unter Druck setzte. Hat funktioniert. Ein schöner Rat kommt auch via Facebook von Userin Bianca. „Mein Schweinehund heißt Rainer. Und seit ich ihn mit Namen ansprechen kann, ist er viel netter, nicht mehr so dominant und viel einsichtiger.“ Also, jetzt ist die Zeit.

Klaus Höfler

"Mein Schweinehund ist vieles – nur sicher kein Zwitter aus Schwein und Hund. Schweine finde ich in ihrem Mix aus tolpatschig wirkender Neugier und gatschverliebter Faulheit viel zu sympathisch und gegen Hunde kann man sowieso nichts haben. Die zweifelnde, zaudernde Stimme im Kopf kommt eher von einem rachitischen Giftzwerg mit nasalem Kreissägentimbre, der irgendwo zwischen Mittelohr und Kleinhirn herumhüpft, als hätte er sich gerade in einen Ameisenhaufen gesetzt. Also: ein Mann. Und er sagt selten Nettes.
 
Was mir im Training oder Wettkampf hilft? Raus aus dem Gedankengefängnis, rein in die Freiheit des Augenblicks. Ein bewusster Blick auf wuchtige Gipfelpanoramen, funkelnde Bergseen oder verlaubte Waldwege lässt den Bleib-doch-stehen-Wicht im Kopf noch lächerlicher wirken. Ein Filetieren des großen Ziels in kleine, erreichbare Etappen und damit die Dichte an Erfolgserlebnissen maximieren. Oder einfach das Hirn abschalten, den Blick zwischen die Schulterblätter des Vordermanns einhaken, die letzte Kraft für ein Nach-oben-Ziehen der Mundwinkel verschwenden – und locker weiterlaufen.“

Alois Kogler
Dr. Alois Kogler

Sportpsychologe in Graz, betreut viele Spitzen- und Freizeitsportler.

Web: www.teamspirit.at