Eigentlich müsste man ihn Hollywood-like „Bike-Flüsterer“ nennen. Schließlich schafft es Hannes Czeitschner, bis in die Seele eines Fahrrades vorzudringen. SPORTaktiv verspürte am eigenen Rad die Künste des Kärntner „Bike-Fitters“.
Radfahren ist im Prinzip eine recht einfache Sache. Wer auf ein Rad, festen Untergrund und ein wenig Gefühl fürs Gleichgewicht zurückgreifen kann, ist bereits dabei. Ein guter Trainingszustand hilft, das Ganze noch spaßiger zu machen als es ohnehin ist.
Ja, und ein schönes Rad kann man eigentlich zu verträglichen Preisen erstehen. Eigentlich. Denn tatsächlich gilt die beliebte Frage aus der Wurstabteilung im Supermarkt: Darf’s ein bisschen mehr sein? Wenn man alles zusammensammelt, was gut und teuer ist, sind bald Preissphären eines guten Gebrauchtwagens der Mittelklasse erreicht. Es gibt allerdings einen feinen Unterschied zwischen Auto- und Radkauf: Wenn du ein Auto kaufst, nimmst du es nicht, ohne es zur Probe gefahren zu sein. Beim Radkauf? Wählst du die Rahmengröße, stellst den Sattel rauf oder runter – und das war’s meistens.
Es kann also gut sein, dass du gerade die Katze im Sack gekauft hast und dir das Rad schlichtweg nicht passt. Das trübt natürlich die Freude am Gerät und erst recht den Spaß am Radeln.
Aber diesen Worst Case kannst du vermeiden, indem du jemanden suchst, der dir sagt, welches Rad zu dir passt – und dich dann auch noch richtig draufsetzt: einen sogenannten Bike-Fitter. Wir haben auch gesucht – und haben Hannes Czeitschner gefunden. Der Mann lebt in Villach und arbeitet dort – als Bike-Fitter.
Hannes, was ist Bike-Fitting eigentlich?
Hierzulande versucht man meist den Körper an die Geometrie eines Fahrrads anzupassen. Eigentlich sollte genau das Gegenteil passieren: Bei einem Bike-Fitting passt man ein Fahrrad der Biomechanik, also den individuellen Körpermaßen und somit den Bedürfnissen der jeweiligen FahrerInnen an. Diese Methode trägt wesentlich dazu bei, Verletzungen vorzubeugen und eine Maximierung der Effizienz in der Kraftübertragung und bei der Aerodynamik zu erreichen. Eine optimale Position am Fahrrad bringt außerdem höheren Komfort und mehr Spaß beim Radfahren.
Idealerweise sollte ich aber VOR dem Kauf eine Vermessung machen. Wie geht das ohne Rad?
Dafür gibt es ein sogenanntes Fitbike. Das ist ein verstellbares Rad, mit dem die Vermessung gemacht wird. So kann ich genau herausfinden, welcher Rahmen, welche Größe, oder sogar welche Marke am besten geeignet ist. Gleiches gilt für wichtige Details wie Länge der Tretkurbel oder des Vorbaues.
Verglichen mit klassischen Vermessungsmethoden wirkt das Retül-System, mit dem du arbeitest, doch viel technologischer.
Der Grundgedanke ist eine dynamische Vermessung des Fahrers. Während eine klassische Vermessung meist in statischer Position geschieht, kann das Retül-System die Position des Fahrers in Bewegung aufzeichnen und so ein realistisches Bild der Position und der Bewegungen zeichnen. So, wie der Fahrer sich eben draußen auf der Straße oder im Gelände bewegt. Dabei arbeitet das System millimetergenau, denn selbst kleinste Ungenauigkeiten können dramatische Veränderungen der Einstellungen bewirken.
Und wie genau läuft das ab?
Die Vermessung findet in drei Ebenen gleichzeitig statt. Die Durchschnittswerte aus 15 Vermessungssekunden werden von der Software blitzschnell verarbeitet und auf dem Bildschirm in Echtzeit als radelndes Strichmännchen angezeigt. Eine herkömmliche Videovermessung nimmt den Fahrer von vorne, von hinten und von der Seite auf. Die gewonnenen Daten müssen dann erst miteinander in Einklang gebracht werden. So entsteht eine Fehlerquelle, die es beim Retül-Fitting nicht gibt.
Welche positiven Effekte darf man sich am Ende erwarten?
Das Resultat dieses Fittings ist ein True Fit, also eine echte Anpassung an das Fahrrad. Für den Kunden bedeutet das: die ökonomischste Art, die Kraft einzusetzen, dazu Verletzungsvorbeugung und Hilfe bei Knie-, Hüft-, Gesäß- und Rückenbeschwerden; auch Taubheitsgefühl an Händen oder Füßen kann wirkungsvoll vorgebeugt werden. Ein Bike- Fitting ist außerdem ein wirkungsvoller und ökonomischer Weg, die Leistung zu steigern. Und davon profitieren alle – egal, ob sie Hobbyradler sind oder Profi.
Was kostet ein Bike-Fitting?
Egal, ob man ein neues Rad kaufen oder bloß die Position auf dem eigenen Rad verbessern will – ein Bike-Fitting ist eine Investition, die sich allemal auszahlt. Man muss sich lediglich ein paar Stunden Zeit und, je nach Vorgabe, 100 bis 200 Euro in die Hand nehmen. Die meisten Radsättel kosten mittlerweile mehr. Und mit Sicherheit hast du noch nie überlegt, ohne Sattel zu fahren.
DER BIKE-FITTER
HANNES CZEITSCHNER lebt in Villach. Der aktive Radsportler und Teilnehmer am Ironman Hawaii beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Sitzpositionsoptimierung am Rad. Seit der Ausbildung in Boulder, Colorado, bietet er das Retül Motion-Capture Bike-Fitting in Österreich an.
Kontakt: hannes.czeitschner@gmail.com, www.retul.com