Petra Thaller macht Sport mit Menschen, die an Krebs erkrankt sind. Weil sie selbst erfahren hat, wie gut Bewegung in schwierigen Zeiten tut, hat sie auch die Bewegung „Outdoor against Cancer" gegründet.
Die Parabel von ihren Kindern gibt einen guten Einblick in den Menschen Petra Thaller. „Ich wollte immer zwei Kinder", sagt sie, „weil, wenn ich mit ihnen allein bin, kann ich eines am linken Arm tragen und eines am rechten." Mute dir nur so viel zu, lade dir nur so viel auf, wie du alleine schaffen kannst – danach richtet die Münchnerin ihr Leben aus. Immer schon. Und erst recht, seit einem Arztbesuch vor ein paar Jahren. Thaller war gerade zurück aus Papua Neuguinea, von einer Expedition auf die Carstensz-Pyramide. Von 4884 Metern Seehöhe zurück an den Tiefpunkt. „Brustkrebs", hat der Arzt damals gesagt, als Thaller ihn wegen der Schmerzen aufgesucht hat, die sie nach einem Ausrutscher auf der Expedition hatte. Und plötzlich: Chemo statt Carstensz, Operation statt outdoor.
Aber schon am Tag nach der ersten Chemotherapie war sie mit einem Freund auf Skitour und stellte fest: geht doch. „Also hab ich weiter Sport gemacht. Bin laufen gegangen, walken, wandern", erzählt Thaller. Auch die Arbeit als Chefredakteurin in ihrem Magazin „mountains4u.de" hat sie nicht aufgegeben. „Ich hatte schon immer viel Energie", sagt die 56-Jährige mit einem Blitzen in den Augen. Und ein Talent für das Ausblenden von negativen Dingen hat sie auch. „Als ich keine Haare hatte und vom Cortison aufgeschwemmt war, hab ich gewusst, dass ich scheiße ausschau. Da schau ich dann halt einfach nicht in den Spiegel oder betrachte mich nicht im Schaufenster."
Die Bewegung tat ihr gut. Tut ihr gut. Darum hat sie auch weitergemacht damit. Die ganze Therapie ließ sich besser damit verkraften. Bis der besagte Skitouren-Freund gesagt hat: Nimm doch andere Patienten auch mit auf die Tour. „Meine Antwort war: niemals. Das soll ja keine Selbsthilfegruppe werden", sagt Thaller. Der Samen für „Outdoor against Cancer" war aber gesät. „Ich wollte was Richtiges machen. Menschen motivieren, ihnen zeigen, dass das Leben mit der Diagnose nicht zu Ende ist." Die Namensfindung für ihr Projekt ging dann ganz pragmatisch vonstatten. „Outdoor" ist ein sehr beliebter Suchbegriff bei Google. „Krebs" wollte sie auf keinen Fall im Namen haben. Also: Outdoor against Cancer. Kurz darauf hat sie die ersten Sporteinheiten in München angeboten. Walken, dehnen, ein bisschen laufen, Kraft-Ausdauer-Übungen im Freien.
PROJEKT WÄCHST UND WÄCHST
Dabei bleibt es nicht. Erste Zeitungen berichten über sie, im Bayrischen Rundfunk läuft ein Beitrag über die Frau, die Krebskranke zur Bewegung motiviert. Die Sportgruppen werden größer. Einer der Sportler ist Rocco, ein junger Mann mit Kopftumor. Keine Operation möglich, keine Chemotherapie kann das Gewächs unter seiner Schädeldecke eindämmen. Zaghaft absolviert er die ersten Einheiten, kommt wieder, bleibt dabei. „Irgendwann ist er zu mir gekommen und hat gesagt: Petra, der Tumor ist um 60 Prozent zurückgegangen".
Im Juli 2017 ist er einer von sieben Staffelläufern, die für Outdoor against Cancer den Großglockner-Berglauf absolvieren. Knapp 1500 Höhenmeter auf 13 Kilometern Länge von Heiligenblut hinauf bis zur Kaiser-Franz-Josefs-Höhe auf 2369 Meter. Ein Filmteam begleitet die Staffel, viele Läufer rufen Rocco und den anderen aufmunternde Worte zu, zollen Respekt. Solche Emotionen treiben Thaller an. „Klar werden Schulmediziner sagen: die Chemo wirkt. Tut sie sicher auch. Ich würde auch nie, nie, nie jemandem davon abraten. Aber die Psyche ist auch wichtig. Diese Leute, die in unsere Einheiten kommen, richten ihren Fokus auf etwas anderes als nur auf die Krankheit. Sie wollen sich aufraffen, einmal die Woche Sport zu treiben, dann zweimal, viermal."
Es kommen aber nicht nur mehr Menschen zu den Trainings. Das ganze Projekt wird größer. Thaller wird von der Europäischen Kommission nach Brüssel eingeladen und spricht zum Thema „The fight against cancer is a team sport". Sie stellt Kooperationen mit deutschen Universitäten auf und bringt ab 2018 ihr Programm aus Sport und Aufklärung über die Naturfreunde auch nach Österreich. Ein gedrucktes Magazin hat sie auch in der Pipeline. „Geh raus" heißt es. Erstauflage: 260.000 Stück. „Du bist verrückt", haben Leute gesagt, als sie mit Outdoor against Cancer begonnen hat. Sie aber sagt: Das pack ich. Wie ihr ganzes Leben. Das Elternhaus war – vorsichtig ausgedrückt – nicht das Beste. Nach der Trennung von ihrem Mann hat sie gearbeitet, wenn die Kinder im Bett waren, hat Sport gemacht, bevor Tochter und Sohn aufgestanden sind. Thaller hat immer schon gewusst, dass sie etwas machen, was anpacken will. Und unabhängig sein.
Wer Petra Thaller das erste Mal trifft, ahnt die bewegte Geschichte im Hintergrund nicht im Entferntesten. Er sieht: eine lebensfrohe Frau mittleren Alters. Cooler Parka, Jeans mit Löchern. Eine, die sich auf gut Deutsch nix pfeift. „Ich bin immer noch derselbe Mensch wie mit 20, 30. Die Hülle ist anders und das Selbstvertrauen ist Gott sei Dank größer." 2018 will sie mit Krebspatientinnen auf den Kilimandscharo. „Es ist nicht gesagt, dass wir alle noch lange leben. Aber dann waren wir wenigstens auf diesem Gipfel." Nicht dem Leben mehr Jahre geben, sondern den Jahren mehr Leben.
Aber Thaller hat nicht endlos Energie. Sie hat nur gelernt, mit ihr hauszuhalten. „Ich muss nicht überall dabei sein. Schon gar nicht, um gesehen zu werden", sagt sie. Lieber besucht sie ihre erwachsene Tochter in Bayreuth und spielt mit ihr eine Runde Basketball. Es war auch bei Outdoor against Cancer nicht immer alles eitel Wonne. Als eine junge Frau gestorben ist, hat ihr der Vater ein Bild geschickt, aufgenommen drei Tage vor dem Tod. „Das haut dich um. Da hat es mir plötzlich überall weh getan, ich hab drei Nächte nicht geschlafen." Dann hat sie dem Vater geantwortet. Mit Kontakten einer Trauerbegleitung. Trifft „immer positiv denken" auf sie zu? „Hm. Das sagt sich so leicht", sinniert sie. „Ich würde eher sagen: Sich von den negativen Dingen nicht überrollen lassen."