Wenn es länger finster ist und Mountainbiker nicht am Ergometer und auf der Walze strampeln wollen, fahren sie mit Powerflutern durch die Nacht. Ein nicht unumstrittenes Vergnügen, wenn es in sensibles Gelände geht. Was nun? Ein Zwiegespräch zwischen Herz und Hirn über die Faszination Niteride.

Christoph Heigl
Christoph Heigl


Die Tage werden kürzer, die Finsternis greift Raum und Biker kriegen ein Problem. Das Tageslicht geht uns aus. Für viele Radfahrer endet spätestens jetzt die Saison. Wenn es dunkel, nass und ungemütlich wird. Das Bike kommt in den Keller und wird am ersten sonnigen Aprilsonntag wieder rausgeholt. Oder? Wer sich nach dem Arbeitstag noch etwas abstrampeln will, kann sich jetzt im Wohnzimmer auf den Ergometer setzten oder auf der Walze im Stand fahren. Na ja, Biken ist das nicht. 
Mach das Magazin kurz zu. (Und wieder auf). „Matsch Moor Fun II“ steht bei uns auf dem Cover. Also raus aus der Komfortzone, rein in diese Natur, in der es gerade schmutzig, ungemütlich, finster wird. 

Spätestens an der Waldgrenze gibt es aber ein Dilemma: Mountainbiken in der Nacht mit starken Lampen spaltet die Gemüter selbst unter Enthusiasten und Hardcore-Bikern. „Geht gar nicht“, sagen die einen. „Warum denn nicht?“, ätzen die anderen. Wir lassen Herz und Hirn sprechen und hören in uns hinein.

? Herrlich, die Niteride-Saison beginnt. Mountainbiken bei Nacht und Nebel eröffnet eine neue Dimension, das schärft die Sinne, öffnet die Augen für das Unsichtbare. Was gibt es Schöneres, als nur im Licht seiner eigenen Lampe auf den Berg zu kurbeln? Stille, nur dein Schnaufen, ein Traum! Und dann die Singletrails wie in einem Lichttunnel heruntersurfen, super nice. Hirn, was willst du mehr?

? Geht’s noch? Bei Finsternis hast du im Wald nix mehr verloren. Das ist sensibelster Naturraum, da haben andere ihre Ruhe verdient. Wenn du Wild verschreckst, hat das schlimmste Folgen. Das weiß doch jedes Kind!

? Ach Hirni, nimm nicht alles gleich so ernst. Wir brettern ja nicht mitten durch die Fütterungsstellen. Ich muss dir ja nicht sagen, dass es auch in der Nacht normalen Verkehr gibt: Autos, Busse, Lkw, Pistenraupen, Forstarbeiten, Züge. Auch sie fahren in der Nacht durch bewaldetes Gebiet, über Passstraßen, durch einsame Landschaften. Motorenlärm und LED-Lichter des Verkehrs müssen Tiere also gewohnt sein, da kann ein einsamer Mountainbiker alle heiligen Zeiten ja wohl kein Problem sein.

? Wie naiv, Herzchen. Dann frag einmal einen Jäger oder Förster!

? Hab ich!

? Und?

? Na ja ...

? Was?

? Also. Ich habe da einen coolen Jäger kennengelernt, ein super Typ. Und der ist auch leidenschaftlicher Mountainbiker. Ja, so was gibt es! Ich sage seinen Namen nicht. Nennen wir ihn Andi. Der kennt sich aus. Der sagt: Beim Wild muss man unterscheiden. Da gibt es das schlaue, das sich längst an den Menschen und seine blöden Autos und Marotten gewöhnt hat. Die schauen kurz auf, wenn tagsüber ein Mountainbiker auf bekannten Strecken unterwegs ist, kriegen keinen Stress und fertig. Tagsüber null Problem …

? Und in der Nacht?

? (Ganz leise) Mein Jägerfreund Andi sagt, seit er Mountainbiker und Jäger ist, sind Niterides für ihn tabu. Das macht er nicht mehr.

? Siehst du?! Und du emotionengeleitetes Organ findest diesen völlig richtigen Grundsatz nicht vernünftig? Erstens gibt es ein Forstgesetz und zweitens gibt es so was wie Hausverstand. Der Andi sollte dir ein Vorbild sein.

? Wer sagt, dass ein Herz keine Ratio kennt? Aber beim Abwägen der Argumente pro und contra kommen mir halt immer ein paar Emotionen in die Quere. 

? Ach, du immer mit deinem Flow und deinen Bikeremotionen. Was bringst du vor, was gegen Vernunft und gesetzliche Regelungen spricht?

? Hör zu, Spaßbremse. Als Mountainbiker verstößt man in Österreich fast auf jedem Meter gegen irgendein Gesetz, zumindest im Osten. Die Tiroler sind da eh besser dran. Was bei Tag schon illegal ist, wird bei Nacht nicht verbotener.

? Bravo, Herz, willst du den Rechtsstaat untergraben?

? Nein, im Ernst. Ich sehe nicht ein, dass man andere Sportarten in der Nacht erlaubt und das Radfahren nicht. Skitourengeher starten auch mit Stirnlampen los oder fahren über Pisten ab, Trailrunner und sonstige Läufer genauso, auch Wanderer, Schwammerlsucher und Geo-Cacher. Und der Biker darf nicht? Also Schluss mit der Scheinheiligkeit. Erklär mir das und komm mir nicht mit dem Forstgesetz aus 1975.

? Doch. Vurschrift is Vurschrift, daran kannst du nix ändern.

? Eh nicht, aber ich weiß auch, dass ich kein Kapitalverbrechen begehe, wenn ich über die eine oder andere rot-weiße Verbotstafel hinwegsehe, mich fit halte und eben nicht mit Chips und Bier auf dem Sofa Germany’s Next Heulkrampf schaue. Denn weißt du, was ich erlebe?

? (Gähnend) Erzähl.

? Mein bestes Niteride-Erlebnis ever: Ich mit meinen drei Kumpels auf 1000 Meter Seehöhe, 20 Zentimeter frischer Pulverschnee, 21.30 Uhr. Beim Runterfahren über die Wiese hat es im Licht der 2000-Lumen-Lampen aufgestaubt wie beim Tiefschneefahren unter Discokugeln. Überall Glitzer und Feenstaub, märchenhaft, unvergesslich. Du fahrst heim, gehst duschen und bist für die nächsten drei Tage energiegeladen bis unter den Deckel. Volksgesundheit, du verstehst?

? Nicht einmal im Ansatz. Was sagt der Grundbesitzer?

? Gut, dass du fragst. Wir fahren in der Nacht nur in Stadtnähe, meiden Problemzonen. Wenn ein Bauer sagt, bei Tag stören ihn die Biker nicht, bei Nacht will er uns nicht erwischen, wird das respektiert. Alles schon erlebt. Man kann sich ja alles ausreden. Außerdem gibt es sogar legale Angebote, wo etwa auf beleuchteten Rodelbahnen und Pisten gefahren werden kann. 

? Du bist ein Freak, Herz!

? Nein, nur leidenschaftlich. Du musst das einmal erlebt haben. Im Finstern radeln schärft die Sinne. Du schaust nicht auf Puls, Watt, Uhrzeit, Ganganzeige oder sonst was am Display. Man sieht nur mit dem Herzen gut. Kennst du den Spruch? Dieser Antoine muss ein Niterider gewesen sein. Die erleuchteten 30 Quadratmeter vor dir, du achtest auf jede Wurzel, versuchst zu spüren, ob sie rutschig und eisig oder nur rutschig ist oder spielst dich damit, im Schnee am Fatbike das Gleichgewicht zu halten. Gar nicht leicht, wenn rundherum alles finster ist …

? und das Hirn nicht mitspielt….

?… und du vielleicht unten die Lichter der Stadt siehst. Du riechst besser, du hörst besser, weil alle Sensoren auf 100 Prozent sind. Und das reine Bikeerlebnis ist beim Niteride ja sowieso fantastisch. Mit gutem Licht schafft man auch schwere Trails. Ja, auch wenn das Vergnügen nur halblegal ist, dieses bisschen Mikro-Abenteuer hat noch keinem geschadet.

? Ich versteh’s trotzdem nicht.

? Ich hab noch einen Spruch: Hör auf dein Herz, dein Verstand wird dich niemals glücklich machen.

? Noch so ein Spruch: Rahmenbruch.

? Ach was, ich nehm dich einfach einmal mit.