Apnoe-Taucher halten minutenlang die Luft an, um mit einem einzigen Atemzug im blauen Nirgendwo zu versinken. SPORTaktiv-Mitarbeiter Axel Rabenstein ist eingetaucht in die Welt der Freediver. Und hat dort den tieferen Sinn einer faszinierenden Sportart entdeckt.

Axel Rabenstein
Axel Rabenstein

Eines vorweg: Freediven ist gefährlich! Auf dem Weg zum Wasser habe ich mir so vehement die Fußsohlen verbrannt, dass meine Haut am Abend Blasen geworfen hat. Der Asphalt war schwarz. Die 300 Meter bis zum Strand barfuß zurückzulegen, war deshalb keine gute Idee. Wenig später nehme ich die Sonne nur noch verschwommen wahr. Ihr Licht bricht sich im Wasser und strahlt mir wie ein Stroboskop aus der Tiefe entgegen. Bis auf 60 Meter geht es hier. Der Grund ist nicht zu sehen. Ich halte die Luft an und ziehe mich an einem Seil nach unten. Hinein ins blaue Nichts.

Mein Einsteigerkurs im Freediven findet bei Apnea Canarias statt, einer Tauchschule in Radazul, im Norden Teneriffas. „Nach drei Tagen wirst du in der Lage sein, mit einem Atemzug zwischen 10 und 20 Meter tief zu tauchen", sagt Lehrerin Dunia Quintero. Nachdem ich auf einer Yoga-Matte liegend mit reichlich Mühe für 1:10 Minuten die Luft angehalten habe, erklärt mir Dunia auch, dass der Drang zu atmen nicht durch einen Mangel an Sauerstoff ausgelöst werde; sondern durch die zu hohe Konzentration an Kohlendioxid (CO2) im Blut. Unser Körper signalisiert uns damit, dass wir das giftige CO2 demnächst mal loswerden sollten. Der Sauerstoff reicht aber noch für ein Weilchen. Die Tatsache, dass mein Zwerchfell (unser auch „Diaphragma" genannter, wichtigster Atemmuskel) unruhig wird und auf einen Atemzug pocht, bedeutet also keinesfalls den bevorstehenden Exodus. Mit diesem Wissen im Rücken bleibe ich viel ruhiger und verbringe im nächsten Versuch problemlos 1:50 Minuten ohne zu atmen auf meiner Matte. Gemeinsam mit anderen Schülern verschiedener Level werden dann Übungen zum essenziellen Druckausgleich im Mittelohr absolviert. Noch ein wenig Stretching für den Brustkorb. Dann geht's mit Neoprenanzug, Flossen und Tauchermaske in den Atlantik. An einer Boje, etwa 200 Meter vom Ufer entfernt, werde ich nochmals instruiert: Mit einigen entspannten Atemzügen den Puls beruhigen. Nach drei tiefen Atemzügen die Luft anhalten – und abtauchen!

LERNEN, SICH WOHLZUFÜHLEN
Ich bin aufgeregt. Mein Herz schlägt heftiger als mir lieb sein kann, denn so verbrauche ich deutlich mehr Sauerstoff. Kopfüber ziehe ich mich am Seil nach unten. Alle zwei Armlängen erfolgt ein Druckausgleich mit zugehaltener Nase. Erst knackt es. Dann knarzt es. Schließlich knirscht es. Aber egal ... es funktioniert. In etwa acht Meter Tiefe signalisiert mir Dunia, zu stoppen. Reflexartig will ich sofort wieder hoch. Bis zum Aufstieg an die Oberfläche soll ich aber noch warten. Einige quälend lange Sekunden verharren wir an Ort und Stelle. „Du musst dich an das Gefühl gewöhnen, unter Wasser zu sein", erklärt Dunia später. „Es ist reine Kopfsache. Der ganze Tauchgang hat nur 30 Sekunden gedauert." Dort unten im tiefen Blau fühle ich mich gleichzeitig frei und bedrängt. Der Druck des Wassers lastet auf mir und meinen Ohren. Die Taucherbrille drückt gegen den Schädel. Mit jedem weiteren Versuch fasse ich aber mehr Zutrauen in die ungewohnte Umgebung. Ich werde ruhiger. Und tauche auf 14,6 Meter. An den kommenden beiden Tagen lerne ich, ohne Seil und mit Flossenschlägen abzutauchen. Ich lerne, dass ich über meine Eustachische Röhre auch mit Zunge oder Gaumen einen Druckausgleich herbeiführen kann – was mir allerdings nicht gelingt. Und ich lerne, dass es Sinn macht, sich den Oberlippenbart zu rasieren, weil dann kein Wasser mehr in den Nasenschutz meiner Tauchermaske läuft.

Am dritten und letzten Tag meines Kurses fühle ich mich wohl unter Wasser. Auf Beschwerden meines Zwerchfells reagiere ich mit Gelassenheit. Und tauche in aller Ruhe auf 17 Meter. Inzwischen visualisiere ich in der aktiven Entspannungsphase vor jedem Tauchgang ein Bild, das ich mir in meiner mentalen „Mediathek" zurechtgelegt habe: morgendliches Kuscheln im Bett. Ein anderer Teilnehmer des Kurses, ein Koch aus San Sebastián, verrät mir, dass er vor dem Tauchgang zur Beruhigung an ein saftiges T-Bone-Steak denkt. Welches Bild es auch sein mag: Es ist erstaunlich, wie effektiv man mit dieser einfachen Maßnahme seine Pulsfrequenz und somit den Sauerstoffverbrauch schlagartig reduzieren kann.

EINTAUCHEN IN DIE STILLE WELT
Das Herz eines Babys schlägt übrigens automatisch langsamer, sobald seine Gesichtshaut mit Wasser in Berührung kommt. Ein Relikt aus unserer Zeit im Mutterbauch. Und eine Analogie, die sich gar nicht so weit hergeholt anfühlt: Je mehr Routine ich bekomme, desto intensiver empfinde ich das Abtauchen als Reise in eine eigenartig vertraute Geborgenheit.

Bei den Tauchern in unserer Gruppe scheint es auch genau darum zu gehen. Niemand posaunt eine erreichte Tiefe heraus. Keiner drängt den anderen. Jeder taucht für sich ein – in seine stille, blaue Welt. Natürlich besteht beim Apnoe-Tauchen die Möglichkeit, dass man es übertreibt und der Sauerstoffgehalt im Blut zu weit absinkt. Die Folge sind zunächst unkontrollierte Muskelzuckungen („Samba"), da dringend benötigter Sauerstoff aus den Gliedmaßen in die lebenswichtigen Organe verlagert wird. Kurz darauf zieht der Körper den Stecker vom Gehirn, um noch mehr Sauerstoff zu sparen. Nun tritt ein Black-out ein.

In so einem Fall müsste der stets präsente Tauchpartner eingreifen und einen so schnell wie möglich an die Oberfläche holen, was regelmäßig geübt wird. Im Gegensatz zum Flaschentauchen müssen beim Freediven vor der Rückkehr an die Oberfläche keine Dekompressions-Stopps eingelegt werden. Zurück an der frischen Luft, fährt der Körper dann (normalerweise) die Systeme wieder hoch.
ganz nah bei mir

Mir persönlich erscheint das freie Tauchen nicht nur unkomplizierter, sondern vor allem authentischer und spannender als das Abtauchen mit schwerer Flasche und blubberndem Mundstück. Das bestätigt mir auch Kimmo Rauhala, der als Dive Master im Flaschentauchen auf der Nachbarinsel La Palma arbeitet: „Beim Freediven hast du viel mehr Möglichkeiten, dich weiterzuentwickeln", erklärt mir der Finne. Hier auf Teneriffa absolviert er gerade eine Ausbildung zum Apnoe-Tauchlehrer: „Du lernst eine Menge über deinen Körper. Und erhältst neue Motivation, auf einen gesunden Lebensstil zu achten. Beim Freediven spüre ich nicht nur das Bierchen vom Vortag. Sondern sogar, wenn ich zu fett gegessen habe ..."

Diese extrem enge Beziehung zum eigenen Körper ist es, was mich während meiner drei Tage Tauchkurs am meisten fasziniert hat. Ich kann es nur jedem empfehlen! Ob als neu entdeckte Sportart oder einmalige Erfahrung, die einem viel über einen selbst verrät.
In einigen Wochen werde ich jedenfalls wieder auf Teneriffa sein. Und ich werde wieder eintauchen. In diese magisch blaue Welt. Ganz nah bei mir.