Als fast schon Spätberufener kam Marc Lehmann zum sportiv bewegten Fahrrad, drängt dafür seitdem vorwärts, als gäbe es kein Morgen. Ein kurzer Blick hinter die abenteuerlichen Kulissen des umtriebigen Focus-Brandmanagers.
Staubbedeckt von Kopf bis Fuß, von Sand und Schweiß fast schon paniert, sitzen zwei Gravel-Bikepacker und Ultracycling-Neulinge nachmittags in einer namenlosen Ortschaft, rund 140 ruppige Kilometer von ihrem Ziel entfernt. Fünf harte Tage und acht zähe Stunden haben die beiden bereits in den Knochen. Ob der anspruchsvollen Routenführung, auf der 100 Kilometer gerne mal 12 Stunden in Anspruch nehmen, hatte bisher keiner laut über eine Zielzeit gesprochen. Innerlich gab es für beide aber immer diese Sechs-Tage-Marke. Jetzt, da die Uhr beim Atlas Mountain Race zu ticken begann, brachen Marc Lehmann und sein Kumpel Alex Bethge das Schweigen. 1145 selbst versorgte Kilometer, 20.000 Höhenmeter, alles auf anspruchsvollen, teils kaum fahrbaren Routen durchs marokkanische Atlas-Gebirge in unter sechs Tagen – für beide der heimliche Plan. „Im Endeffekt bedeutete dies, die Nacht durchzufahren und so im besten Fall mit der letzten Kurbelumdrehung doch noch unter der magischen Grenze zu finishen“, erklärt Lehmann die unscharfe Rennstrategie des Teams Terrible Heaven anno 2020.
Fünf Tage, 23 Stunden und 45 Minuten sollten es am Ende des Abenteuers sein. Ein Abenteuer unter vielen, die Lehmann, heute von Berufs wegen Brandmanager beim deutschen Fahrradhersteller Focus, zur erfrischend authentischen Figur im zunehmend weniger von Emotionen, sondern nackten Zahlen gelenkten Fahrradbusiness formten. Unkonventionell wie er selbst gestaltet sich auch sein Weg zum leidenschaftlichen Radfahrer. Weder BMX-Vergangenheit noch eine harte Querfeldein- und Rennradjugend, auf die der heute 37-Jährige zurückblickt. Stattdessen: Ausbildung zum Motorradmechaniker, Studium der Fahrzeugtechnik, ganz klar Benzin im Blut.
Wenn man so will, war es Zufall und eine Katzenhaarallergie, die ihn 2011 zum Fixie brachten. Ein Studienkollege hatte beides, Katze und Fixie, Lehmann zu Beginn nur die Allergie. Darum fuhr Ersterer stets zum gemeinsamen Lernen zu Lehmann. Fasziniert von der simplen Technik hatte er bald selbst einen alten Stahlrenner umgebaut, die Motorräder mussten weichen.
Ein Umzug nach Stuttgart ließ schließlich alle Dämme brechen. „Viele fitte und coole Leute, die sonntags Ausfahrten mit über 100 km/1000 hm mit nur einem Gang wagten. Das wollte ich auch“, schwärmt Lehmann vom Fahren mit starrem Gang. Abenteuer wie Sao Paulo – Rio de Janeiro mit den Hardbrakern aus Hamburg, Genf–Nizza oder 358 Kilometer in einem Rutsch von Mittenwald nach Riva, stets serviert mit einem Gang, sollten folgen. In Spitzenjahren sammelte er so stolze 10.000 km und 90.000 hm.
Die junge Liebe zur puristischsten Form des Radfahrens ließ in Marc Lehmann gemeinsam mit seinem Studienkollegen Marc Frey – der mit der Katze – die Idee zur eigenen Bike-Gang nach Vorbild der Serie Sons of Anarchy wachsen. Ein erfrischend stylisher, junger Gegenpol zur damals ziemlich verstaubten Rennradszene wollte man sein. Noch 2011 entstand so der mittlerweile legendäre „Heaven and Hell Cycle Club“, eine Interessengemeinschaft für die urbane Fixed-Gear-Szene. Beim ebenfalls von Lehmann losgetretenem Weekly Spin jeden Dienstagabend rollen mittlerweile 50 bis 60 Leute an den Start, ein Fixpunkt der Stuttgarter Bike-Szene, der sich mittlerweile selbst organisiert.
2017 vollzog er auch den beruflichen Shift weg vom Automobilsektor und hin zur Bikebranche, entdecke die Vorzüge der Gangschaltung. Mit dem Fuhrpark wuchsen die Herausforderungen. Auf Rennrad folgte Cyclocross, bald Gravel. Freundin Conny brachte ihn schließlich sogar aufs Enduro und in den Bikepark, aktueller Neuzugang: ein Pumptrack-Rad. Jedes Einzelne davon gut für ein Abenteuer. Wieso er mittlerweile bei Focus als Brandmanager arbeitet? „Im Grunde“, erklärt Marc Lehmann lächelnd, „ist es für mich die Möglichkeit, das an den Radsport zurückzugeben, was mich bis hierher getrieben hat. Menschen mit Kampagnen zu inspirieren und aufs Rad zu bringen.“ Sein nächstes großes Abenteuer: Dolomiten fixed.