Airbagrucksäcke haben sich in den letzten Jahren stark etabliert und gehören mittlerweile fix zur Sicherheitsausrüstung vieler Skitourensportler. Eine positive und nachvollziehbare Entwicklung – doch gleichzeitig ist es wichtig, den Lawinenairbag im Kontext alpiner Gefahren richtig ­einzuordnen und seinen Nutzen realistisch einzuschätzen.

von Niko van Hal

Airbagrucksäcke sind in ihrer Funktionalität für Wintersportler einzigartig, können sie doch bei Lawinenunglücken eine Verschüttung aktiv verhindern. Kein anderes Notfallgerät ist dazu im Ernstfall in der Lage und die Wirksamkeit der Airbags ist auch wissenschaftlich bestätigt. Die wohl bekannteste und am häufigste zitierte Studie zu diesem Thema stammt von Pascal Haegeli aus dem Jahr 2014. Eine wichtige Erkenntnis daraus ist, dass die Lawinenrucksäcke ein wertvolles Notfallgerät sind, jedoch nicht ein Überleben garantieren können. Und dass ihre Verwendung keinesfalls dazu führen sollte, mehr Risiko einzugehen – denn sonst ist der Sicherheitsvorteil bald wieder zunichtegemacht.

WAS BERGPROFIS DENKEN
Sich der Grenzen seines potenziellen Lebensretters am Rücken bewusst zu sein, ist wichtig. Das sieht auch der Skiführer und Alpinausbildner Stephan Skrobar aus dem steirischen Ramsau am Dachstein so, der zunächst festhält: „Jahr für Jahr bewegen sich mehr Menschen im freien Gelände. Dadurch kommt es naturgemäß häufiger zu gefährlichen Situationen, wobei die Anzahl an Lawinentoten nicht im gleichen Ausmaß steigt. Diese Entwicklung würde ich durchaus auch als Resultat der zunehmenden Verbreitung und Anwendung von Airbagrucksäcken sehen – neben anderen Gründen wie zunehmender Aufklärung, gestiegenem Risikobewusstsein oder technologischen Fortschritt.“ Eine wahrnehmbar steigende Risikobereitschaft bei Besitzern von Lawinenrucksäcken beobachtet Skrobar nicht; er betont aber dennoch, dass vor allem Wissen und Erfahrung im freien Wintergelände wichtig sind und der Besitz dieses relativ jungen Ausrüstungsteils keinesfalls zu Selbstüberschätzung verleiten sollte.

Einer, der den Trend zum Airbag­rucksack differenziert betrachtet, ist Lawinenprognostiker Arno Studeregger vom Lawinenwarndienst Steiermark: „Es ist auf jeden Fall notwendig, sich sowohl mit der Topografie im Gebiet, in dem man unterwegs ist, als auch mit der Funktionalität seines Airbags auseinanderzusetzen, um im Ernstfall richtig und schnell reagieren zu können.“ Abhängig von Gelände und Lawinengröße könne das Betätigen eines Lawinenairbags nämlich auch kritisch sein, merkt Studeregger an: „Gerade in den Ostalpen gibt es viele offene Waldbereiche, die im Falle einer Lawine ein zusätzliches Risiko bergen. Mit einem ausgelösten Airbagrucksack wird man von der Lawine leichter erfasst und es steigt die Gefahr mit Bäumen zu kollidieren.“ Wichtig sei hier die gute Vorbereitung auf Touren und Abfahrten, damit man im Ernstfall auch richtig reagiert und die Situation entsprechend einschätzt.
Eine Airbagpflicht für ihre Mitglieder im Einsatz oder in einer Übung hat dagegen seit einigen Jahren bereits die Bergrettung der Ortsstelle Eisenerz, ebenfalls in der Steiermark, ausgerufen. Ortsstellenleiter Gerhard Edelbauer erklärt den Gedanken dahinter: „Der Airbagrucksack stellt eine der wenigen Möglichkeiten dar, das eigene Überleben zu sichern.“ Obwohl die Rucksäcke zum großen Teil von den Rettern privat finanziert wurden, habe es dagegen nie Widerstand gegeben. „Im Gegenteil: Die Rucksäcke werden auch privat immer verwendet.“ Für Stephan Skrobar ist es klar, dass er beim Führen einer Gruppe eine zusätzliche Verantwortung hat und es somit für ihn dann noch wichtiger ist, einen Lawinenrucksack zu verwenden. Gleichzeitig ist unbedingt zu beachten, dass ein Airbagrucksack eben ausschließlich der persönlichen Sicherheit dient; während LVS-Gerät, Schaufel, Sonde, Erste-Hilfe-Paket, Biwaksack sowie Handy unverzichtbar sind, um anderen Menschen helfen zu können. Dementsprechend soll diese altbekannte Standard-Sicherheitsausstattung in der Prioritätenliste immer klar an erster Stelle stehen. Ein Lawinenrucksack kann und soll ergänzend zum Einsatz kommen, aber noch einmal sei beotnt: Er soll nie dazu führen, auf andere Teile der Sicherheitsausrüstung zu verzichten.

WAS DER MARKT BIETET
Lawinenrucksäcke sind also angekommen – beim Kunden und bei der Industrie. Denn anders als in den „Pionierjahren“ gibt es mittlerweile viele verschiedene Anbieter von Lawinenrucksäcken auf dem Markt. Jeder Hersteller rückt dabei etwas unterschiedliche Schwerpunkte in den Fokus seiner Überlegungen und somit kommt man bei einer Neuanschaffung kaum daran vorbei, sich mit den verschiedenen Systemen auseinanderzusetzen, um den idealen Rucksack für den eigenen Gebrauch zu finden. Zu unterscheiden ist grundsätzlich zwischen Rucksäcken mit mechanischer Auslöseeinheit (z. B. Snowpulse/Mammut, Avabag/Ortovox, Alpride/Scott, BCA), pneumatischer Auslöseeinheit (ABS) oder akkubetrieben mit einem Industrieföhn (Jetforce). Zu den jeweiligen Systemen gibt es dann wiederum oft mehrere Rucksackhersteller: So wird das Jetforce-System von Pieps und Black Diamond verwendet; das ABS-System von Herstellern wie Millet, Deuter, Vaude oder The North Face eingebaut; und das System von BCA beispielsweise auch von K2 verwendet.

Auffallend ist, dass nahezu jeder Hersteller in den letzten Jahren versuchte, die Auslöseeinheiten in punkto Größe und Gewicht zu optimieren, was besonders Scott, Ortovox und Mammut bereits sehr gut gelingt. Außerdem gehen die Hersteller dazu über, mechanische Auslöseeinheiten zu verwenden, um einerseits die Mitnahme im Flugzeug zu erleichtern und andererseits auch ohne Kartusche die Auslöseeinheit testen zu können. Wirklich abheben von den anderen Systemen kann sich in Sachen Auslösung das Jetforce System: Vor allem zu Schulungszwecken ist es durch die Möglichkeit, mit einer Akkuladung bis zu viermal auslösen zu können, sehr geeignet. Allerdings kommt durch die Technologie auch ein etwas höheres Gewicht zustande. Eine auffällige Neuerung war jüngst auch das P.RIDE-System von ABS: Erstmalig wurde hier eine Funkverbindung verbaut, die Partnerauslösungen ermöglicht. Dieser Schritt war auch der Tatsache geschuldet, dass bei Lawinenunglücken mitunter Airbags nicht rechtzeitig ausgelöst werden. Was noch einmal verdeutlicht, wie wichtig es ist, einen Airbag-Rucksack nicht nur zu besitzen und mitzutragen – sondern im Umgang damit auch geübt zu sein.

DER CHECK VOR DEM WINTER
Grundsätzlich empfehlen alle Hersteller regelmäßige Testauslösungen, um wirklich mit dem Rucksack vertraut zu sein. Nach der Sommerpause ist es auf jeden Fall wichtig, seinen Rucksack auf Funktionalität zu überprüfen. Insbesondere der Auslösemechanismus sollte gecheckt werden.

  • So geht’s: Bei mechanischen Auslöseeinheiten schraubt man dazu die Kartusche ab und zieht anschließend den Auslösegriff. Vernimmt man ein Klicken bzw. sieht man anschließend die herausgekommene Nadel (wo sich eigentlich die Kartusche befindet), ist alles in Ordnung und man kann die Feder mit dem mitgelieferten Werkzeug erneut spannen.
  • Ein weiterer Punkt ist das Wiegen der Kartusche – das Ergebnis anschließend mit den Angaben des Herstellers vergleichen und gegebenenfalls, bei zu großer Abweichung vom Normgewicht, die Kartusche je nach Möglichkeit neu befüllen oder ersetzen.
  • Bei ABS Rucksäcken ist eine Überprüfung des Auslösemechanismus ohne Kartusche nicht möglich – allerdings ermöglicht ABS einmal jährlich kostengünstig eine Testauslösung.
  • Die einfachste Überprüfung bietet das Jetforce System, da man beliebig viele Testauslösungen durchführen kann und somit im Ernstfall auch sicher sein kann, dass der Airbag richtig gepackt ist und alles einwandfrei funktioniert.

Alle Hersteller stellen online genaue Infos zu ihren einzelnen Modellen bereit.