Von der schlaffen Vorwölbung bis zum knackigen „Waschbrett": Der Bauch signalisiert wie kein anderer Körperteil zumindest auf den ersten Blick den Fitnesslevel seines Trägers. Dementsprechend groß ist daher gerade zu Beginn der Freiluftsaison die Trainingsintensität, mit der unser Mittelstück in Form gebracht werden soll. Die Frage ist nur: Wer weiß schon, wie richtiges Bauchtraining tatsächlich funktioniert?
Spätestens seit den Rambo-Filmen kennt fast jeder die Szenen, in denen sich stöhnende US-Soldaten unter dem Gebrüll eines sadistischen Sergeants zum 100. Sit-up hochquälen und so ihre überlebenswichtige Fitness für den Dschungelkampf demonstrieren. Und springen wir von der Leinwand in die Realität, dann zeigt sich: Tatsächlich gelten bis zum heutigen Tag in vielen Drillprogrammen diese „Klappmesser"-Übungen als das angeblich effektivste Bauch-Fitnesstraining.
„Auch wir haben früher im Training exzessiv Sit-ups und auch Crunches geübt, mit und ohne Rotation, mit Gewichten und mit Schwung", erinnert sich Karin Albrecht, die international anerkannte Expertin und Autorin zum Thema „intelligentes Bauchmuskeltraining". „Am damaligen Lehrsatz, dass ein starker Bauch den Rücken schützt, hat sich ja bis zum heutigen Tag nichts geändert. Sehr wohl geändert aber hat sich das Wissen, was bei einem sogenannten Bauchtraining tatsächlich sinnvoll ist und was nicht", sagt die Schweizerin, die mit Genugtuung zur Kenntnis nahm, dass mittlerweile selbst die US-Army die berühmt-berüchtigten Sit-ups aus ihrem Trainingsprogramm gestrichen hat, weil sie in Sachen Fitnesswirkung ins Leere schießen!
Die Erklärung für diese (späte) Erkenntnis liefert bereits einfaches anatomisches Grundwissen. Punkt 1: Unsere Rumpfmuskulatur (und da spielt der Bauch hinein) ist in drei Schichten übereinander gelagert. Punkt 2: Die tiefste Schicht dieser drei Lagen, die sogenannte Core-Muskulatur, ist nicht nur für die Stabilität der Wirbelsäule, sondern auch für die Körper- und Bauchform ausschlaggebend.
KRAFT IM "KERN"
Für alle, die es genau wissen wollen: Zur Core-Muskulatur gehören ...
- ... der Musculus transversus abdominis (lat. für „querverlaufender Bauchmuskel"). Dieser tiefste Bauchmuskel sorgt für das Zusammenpressen des Bauches, für das Absenken der Rippen und er ist beteiligt an der Ausatmung. Dieser „Transversus" ist entscheidend für die Gesundheit des Rückens und des Rumpfes;
- ... die Musculi multifidi (lat. für „viel gefiederte Muskeln". Das sind die kurzen, ebenfalls tief liegenden und strangförmigen Skelettmuskeln, die unsere Wirbelsäule auf segmentaler Ebene stabilisieren;
- ... Anteile des Beckenbodens
- ... und das Zwerchfell.
„Diese tiefste Muskelschicht ist der Schlüssel", weiß Karin Albrecht. „Ist dieses Core-System stark und stabil, dann halten auch Rumpf und Rücken den Belastungen im Sport und im Alltag stand." Heißt im Umkehrschluss: Ein wirkungsvolles Rumpf- bzw. Bauchtraining ist nur dann gegeben, wenn tatsächlich dieses Core-System angesteuert wird. Und das passiert mit Sit-ups und den normalen Crunches genau – nicht. Denn mit diesen beiden Übungen wird ausschließlich nur die oberflächliche Schicht unserer Bauchmuskeln („Rectus abdominis") trainiert – und die ist hauptsächlich für die Beugung zuständig, hat praktisch aber keinerlei Auswirkung auf die so wichtige Stabilität und Beweglichkeit unserer Rumpf- bzw. Bauchmuskulatur.
Damit jeder weiß, wovon genau bei Sit-ups und Crunches die Rede ist: Bei beiden Übungen liegt man in der Grundposition auf dem Rücken und winkelt die Beine an. Bei den Crunches wird mit Hilfe der Bauchmuskulatur die obere Rückenpartie inklusive der Schulterblätter vom Boden abgehoben und wieder gesenkt. Die untere Rückenpartie bleibt konstant in Bodenkontakt. Bei den Sit-ups dagegen sind die Beine fixiert und der Rumpf wird komplett angehoben. Die Bewegung findet also im Hüftgelenk statt, der Körper muss dadurch weitere Muskelregionen (wie Hüftbeuger) beanspruchen.
Klar: Wem es beim Fitnesstraining in erster Linie auf die Optik ankommt, der pumpt ruhig weiter ausschließlich seine Sit-ups und Crunches – denn das ist Fact: Die plakativen „Sixpacks" lassen sich mit diesen simplen Übungen tatsächlich wunderbar modellieren.
SIT-UPS SIND KEIN FETTKILLER
Die schlechte Nachricht dazu sollte man aber auch kennen: Diese heiß begehrten, oberflächlich definierten „Bauchmuskeln" zeigen sich leider erst, wenn der Körperfettanteil bei unter 14 Prozent liegt! Ein Wert, den der durchschnittliche Fitnesstrainierer nur mit viel Disziplin erreichen kann. Und das schon gar nicht mit exzessivem Bauchmuskeltraining: Jeder halbwegs in der Trainingslehre Bewanderte weiß, dass mit dieser doch kurzfristigen Belastung bei Weitem nicht so viel Körperfett verbrannt wird wie zum Beispiel mit Ausdauer- oder Kraftausdauertraining. Dazu kommt noch die Tatsache, dass unser Körper ausgerechnet am Bauch das meiste Fett speichert. Soll dieses wieder verschwinden, hilft kein noch so intensives Sit-up-Pumpen, sondern wie immer nur das einzig wahre Abnehmrezept: Mehr Kalorien verbrauchen als zuführen!
Fassen wir also für die Anhänger von Sit-ups und Crunches nochmals kurz zusammen: 1. Mit diesen „Bauchübungen" wird nichts für die so wichtige Rumpfstabilität getan. 2. Auch das Bauchfett kann damit nicht gezielt abgebaut werden. Und 3.: Für die erhoffte baldige „Sixpack-Ausstellung" braucht es den Körperfettanteil eines Models. Karin Albrecht hat aber noch eine vierte Hiobsbotschaft: „Wer diese einseitigen Beugeübungen forciert, sollte wissen, dass damit die Bandscheiben und der Beckenboden stark belastet und womöglich auch geschädigt werden können." Wenn eben – und damit schließt sich der Kreis – das Core-System nicht stark genug ist!
BAUCHTRAINING IST KOPFSACHE
Nachdem wir jetzt lang genug erklärt haben, was nicht funktioniert, liefert SPORTaktiv natürlich in gewohnter Weise – und diesmal mit Hilfe unserer Expertin Karin Albrecht – auch die Lösung, wie ein intelligentes Rumpftraining für ein starkes, stabiles Core-System gelingen kann. „Entscheidend ist, dass beim Training zuerst ganz gezielt die tiefe Core-Muskulatur angesteuert und dann erst die entsprechende Übung durchgeführt wird. Bauchtraining ist also vor allem auch Kopfsache, denn ihr müsst selbst ein gutes Gefühl für euren Körper entwickeln", sagt die Schweizerin, die zu diesem zugegeben nicht ganz einfachen Thema mit ihrem erfolgreichen Buch „Intelligentes Bauchmuskeltraining" (erschienen im Haug-Verlag) einen professionellen Leitfaden mit vielen Tipps und konkreten Übungen geschaffen hat.
Einen kleinen Auszug daraus liefern wir hier: Intelligentes Bauchtraining: 3 Übungen für eine starke Mitte. Unter anderem mit der Anleitung, warum es dabei sogar zu einem „Comeback" der viel zitierten Crunches kommt.