Bei „Go with your Pro“ am Spielberg geben Vollgas-Gurus wie David Coulthard oder Patrick Friesacher Tipps, wie man ein Rennauto profimäßig über die Strecke jagt. Eine geniale Spielwiese für PS-Freaks, wie sich bei der SPORT-aktiv-Challenge herausstellt.
Es ist oft hilfreich, wenn jemand deine Gedanken erraten kann. Vor allem, wenn man sich in einer Notsituation wähnt. „Don’t worry“, sagt David Coulthard. „Wenn du erst einmal losgefahren bist, wird das Gefühl der Platzangst gleich vergehen.“ Wirklich? Bis jetzt dachte ich ja, man sitzt in einem Formel-Auto. Die Wahrheit ist: Man liegt, so festgeschnallt wie möglich, mit eng anliegendem Helm einem Ungetüm namens HANS auf den Schultern. Und spätestens, nachdem das abnehmbare Lenkrad angesteckt wurde, weiß man: In fünf Sekunden, wie es die Regeln besagen, kann man diese Sardinenbüchse, in die ich mich nur durch geschmeidiges Hineindrehen manövrieren konnte, nie und nimmer verlassen. „Fühlt sich cool an, oder?“, fragt Patrick Friesacher, nachdem er den Motor gestartet und meinen Hintern zum Vibrieren gebracht hat, und weil die Frage durch und durch rhetorisch gemeint war, signalisiere ich abgeklärt mit Daumen nach oben: Alles roger!
Dabei beschleicht mich das Gefühl, dass ich der Einzige bin, dem gerade etwas mulmig zumute ist. Denn meine Mitstreiter beim „Go with your Pro“ am Red-Bull-Ring sind so begeistert wie ein Ferrari-Mechaniker nach einem Sieg in Monza. „Ist das geil“, sagt Martin, der gerade schon ein paar Runden gedreht hat. „Ein Wahnsinnsgefühl“, bestätigt Matthias, „vor allem in den Kurven.“ Ich dagegen bin in erster Linie froh, von absoluten Profis bei diesem zweitägigen Crashkurs (Achtung: Wortspiel!) zum Rennfahrer angeleitet zu werden. David Coulthard, Vizeweltmeister, der 246 Grand-Prix-Rennen in den Füßen hat. Patrick Friesacher, einer von acht lebenden Österreichern, die es in die Formel 1 geschafft haben. Und sein Bruder Kevin, der es immerhin bis in die Formel 3 gebracht hat. Drei Benzinbrüder, die augenscheinlich eine Menge Spaß daran haben, einer kleinen Gruppe von PS-Gläubigen und mir ihren Sport näherzubringen.
Und das mit Erfolg. Während wir nach buchstäblichen Startschwierigkeiten („Ihr dürft die Kupplung ruhig 80 Meter schleifen lassen, Hauptsache, ihr lasst sie langsam kommen“) unsere Runden über den Ring drehen, haben sich David, Patrick und Kevin an verschiedenen Punkten aufgestellt, um über Funk Tipps zu geben. „Später einlenken“, sagt David. „Früher bremsen“, meint Patrick. „Vor Kurve 1 beim Zurückschalten langsamer auskuppeln“, ruft Kevin, als die blockierenden Reifen quietschen. Während mich das Multitasking von Runde zu Runde mehr überfordert, steigt bei meinen Mitstreitern der Speed äquivalent zu ihrer Begeisterung. Bei mir steigt dagegen in erster Linie der Puls, was auch daran liegt, dass man aus unserem Formel-4-Renner nicht wirklich viel von der durchaus schönen Umgebung mitbekommt. Durch die Bewegungsunfähigkeit und die tiefe Position ist das Sichtfeld eingeschränkt, die kleinen Rückspiegel helfen auch nur bedingt. An so etwas wie einen Schulterblick, wie in der Fahrschule gelernt, ist jedenfalls nicht zu denken.
Natürlich haben wir unsere Ausbildung zum Mini-Lauda nicht im Formel-Auto begonnen, sondern waren zunächst im X-Bow von KTM, der von 0 auf 100 in weniger als vier Sekunden beschleunigen kann, unterwegs. „Ein ehrliches Auto“, wie es Patrick nennt. „Keine Traktionskontrolle, kein ABS, kein Bremskraftverstärker, keine Servolenkung. Hier bekommt ihr ein unmittelbares Feedback.“ Der Vorteil: Dadurch, dass es ein Zweisitzer ist, kann man sich als Beifahrer von seinem Profi-Chauffeur etwas abschauen. Der Nachteil: Dadurch, dass es ein Zweisitzer ist, bietet David Coulthard mit wachsendem Vergnügen an, mit ihm ein paar Runden über den Ring zu drehen. Tipp unter Freunden: Wer einen nervösen Magen hat, sollte dankend ablehnen. Ansonsten bekommt man vor Augen geführt, dass die eigene Wahrnehmung nur eine von mehreren Optionen ist. „Ich dachte in jeder Kurve, dass wir gleich im Kiesbett landen“, sagt Claudia durchaus euphorisch. „Gigantisch!“
Und Martin schwärmt: „Er hat immer 50 Meter später gebremst, als man es erwartet hätte.“ Stimmt leider alles.
Um ein besseres Gefühl für das Auto zu bekommen, üben wir im Driver’s Center, eine Art Mini-Übungs-kurs im Infield des Rings, das Driften. In der Theorie ein Kinderspiel. „Wenn man in der Kurve im richtigen Moment einlenkt und genau in der Sekunde, wenn das Auto hinten ausbricht, voll ins Gas reinlatscht, macht man es richtig“, erklärt Kevin. Eindeutig eine Frage der Überwindung, bei der sich der eine mehr, der andere weniger leicht tut. Um das Ganze auf die Spitze zu treiben, brennt David zur Veranschaulichung ein paar Donuts in den Asphalt. Das Quietschen der Reifen ist ohrenbetäubend, der Rauch, in dem das Auto komplett verschwindet, riecht extrem nach Gummi. Drei Kreuze, dass ich in dem Moment nicht sein Co-Pilot bin. „Wie geil ist das denn“, fragt Matthias, der meine Bedenken ganz offensichtlich nicht teilt.
Fast so gut wie Sex.
So gerüstet geht es auf den Ring, wo ein paar Porsche Cayman S auf uns warten, mit denen wir die Strecke abfahren, um sie uns einzuprägen. Ich klemme mich auf Coulthards Beifahrersitz, um den Meister erste Reihe fußfrei beobachten zu können. Eine Hand am Steuer, in der anderen das Funkgerät, gibt DC Einblicke in das Racer-ABC. „Ihr fahrt die Kurve immer ganz außen an, gebremst wird in Turn 3 beim Schild 150 (Anm.: Meter vor der Kurve), zieht dann Richtung innerer Kerbs und ab dem Scheitelpunkt gebt ihr wieder Vollgas.“ Während der gebürtige Schotte so dahinerzählt, wird er jedes Mal etwas schneller. Am Ende krachen wir mit einer Geschwindigkeit von jenseits der 200 km/h aus der Kurve, mich und meinen Magen reißt es von rechts nach links und wieder zurück. Als David meine Schweißperlen sieht, fragt er fürsorglich: „Do you like it?“ Aber sicher, alles bestens!
Bei aller Mulmigkeit fühle ich mich neben DC trotz allem so sicher wie in Abrahams Schoß. Der mittlerweile 49-Jährige wuchs im Süden Schottlands im Transportunternehmen seines Vaters auf und wurde von Kindesbeinen mit motorisierter Fortbewegung konfrontiert. So schaffte er es bis in die Königsklasse des Motorsports, wo er an der Seite von Mika Häkkinen oder Mark Webber fuhr und es bis zur Vizeweltmeisterschaft 2001 brachte. Dass es nie zum Titel reichte, nimmt der Wahl-Monegasse gelassen: „Ich wusste immer, dass sich die Welt auch drehen würde, wenn ich nicht in der Formel 1 fahre.“ Den Fanatismus, für einen Sieg bis ans Äußerste zu gehen und die Regeln zu brechen, hatte er nie, erzählt er auf der Start-Ziel-Geraden. „Wie soll man stolz auf einen Sieg sein, wenn man ihn durch Betrügen errungen hat?“
Als ich von ihm wissen will, wie man es als Rennfahrer bis ganz nach oben schafft, gönnt er sich eine Runde zum Nachdenken. Dann sagte er: „Neben Talent, Speed, Begeisterung ist das Allerwichtigste deine Einstellung, die Arbeitsethik. Nur wenn du bereit bist, dich 24/7 mit dem Thema Motorsport zu beschäftigen, ist der Weg nach oben frei. So wie es Michael Schumacher immer getan hat.“ Spannende Einsichten in die Gedankenwelt einer Rennikone, der man den Superstarstatus nur dadurch anmerkt, da er regelmäßig um ein Selfie gebeten wird.
Als der Tag zu Ende geht, gibt er uns vor der letzten Ausfahrt ein paar salbungsvolle Worte mit auf den Weg. „Ihr seid jetzt so gut, dass ihr das Auto am Limit über den Kurs bewegen könnt. Wohlgemerkt an eurem Limit, nicht darüber hinaus. Also fahrt raus und habt noch mal so richtig viel Spaß.“ Ein Motto, das sich jeder zu Herzen nimmt, wie nicht zuletzt die verklärten Gesichter zeigen, die nachher unter den Sturmhauben zum Vorschein kommen. Die Autos werden in die Box geschoben, die Rennoveralls abgestreift. „Manche sagen, einen Formel-Wagen am Limit zu bewegen, ist fast so gut wie Sex“, sagt Kevin mit einem breiten Grinsen. Aus dem leisen Gemurmel, dem kein Wort des Widerspruchs zu entnehmen ist, kann man schließen, dass er damit für die meisten wohl nicht allzu falsch liegt.
Immer was los am Spielberg
Wer Lust bekommen hat, selbst einmal ein Training mit dem früheren Formel-1-Fahrer David Coulthard zu absolvieren, hat im Laufe des Jahres am Red-Bull-Ring die Gelegenheit dazu. Das Format gibt es übrigens auch für zwei Räder, wenn beispielsweise der aktuelle Moto-GP-Fahrer Miguel Oliveira eine Session übernimmt.
Alle Infos und Updates unter www.projekt-spielberg.com.