Dominik Paris ist regierender Sieger auf der Streif. Im SPORTaktiv-Interview spricht der Südtiroler über die Auszeit auf der Alm, den Tod seines Bruders und wann er Vollgas gibt und wann nicht.

Thomas Polzer
Thomas Polzer


Die Skifans lieben ihn, weil er auf den Abfahrten den „wilden Hund“ gibt, der sich ständig im Grenzbereich bewegt. Die Medien lieben ihn, weil er bei den Interviews sein Herz ganz spontan auf der Zunge trägt. Aber beim Treffen von SPORTaktiv mit Dominik Paris bei seinem Ausrüster Nordica entpuppte sich der Südtiroler als ruhiger, ausgeglichener und sogar nachdenklicher Mensch. Einer, der es offenbar gelernt hat, beim Skifahren und im Leben die Balance zu halten.

Dominik, du wirkst so „geerdet“. Täuscht dieser Eindruck oder gibst du den „wilden Hund“ wirklich nur mehr bei den Rennen?
Na ja, ganz so ist es nicht, es kann ab und zu schon auch abseits der Abfahrtspisten passieren, dass es bei mir rundgeht. Aber die Zeiten aus jungen Jahren, in denen ich praktisch keine Party ausgelassen hab, die sind endgültig vorbei.

Für solche Veränderungen braucht es ja meist ein Schlüsselerlebnis. Was ist da bei dir passiert?
Es war die Erkenntnis, dass Talent allein bei Weitem nicht ausreicht, um im Skisport vorn mit dabei zu sein.

Diese Erkenntnis kam von einem Tag auf den anderen?
Nein, eigentlich hat dieser Prozess 100 Tage gedauert. Denn so lange hab ich nach einer schlechten Saison als Hirte auf einer Alm gearbeitet. Ich war ziemlich fertig mit der Welt und dem Skisport.
 

Talent allein reicht nicht aus, um im Skisport vorn mit dabei zu sein. man  muss für seine Ziele auch hart arbeiten.

Dominik Paris, Skirennläufer & Kitzbühel-Sieger

Was genau ist da mit dir passiert?
Ich glaub, ich bin in dieser einsamen Zeit auf der Alm erwachsen geworden. Ich habe plötzlich verstanden, dass ich für meine Ziele auch hart arbeiten muss und mich nicht nur auf mein Talent verlassen kann.

Diese „Auszeit“ ist  zwar ein Jahrzehnt her, aber hilft sie dir heute noch, dein inneres Gleichgewicht zu halten?
Diese Zeit war zwar ein entscheidender Knackpunkt in meinem Leben, aber mittlerweile habe ich viele andere Sachen, die mich im Gleichgewicht halten. Man könnte sagen, ich fühl mich sehr gut ausbalanciert.

Aber wenn man auf zwei wackligen Brettern mit 140 km/h ins Tal schießt – steht dir da diese innere Balance manchmal nicht im Weg? Weil sie dich einbremst, weil du vielleicht an deine Frau und an euer kleines Kind denkst …
Nein, ich denke beim Training und bei den Rennen eigentlich nicht darüber nach, was alles sein könnte. Aber klar, es gibt auch bei mir Tage, an denen man nicht ganz bei der Sache ist. Und dann bewegt man sich auch nicht so am Limit, wie es für den Erfolg notwendig wäre.

Es wird erzählt, dass du bei deinem ersten Auftritt auf der Streif in Kitzbühel vor der Mausefalle zwei Bremsschwünge eingelegt hättest. War das tatsächlich so – Dominik Paris und zittrige Knie?
Ja, das stimmt! Beim ersten Runterfahren auf der Streif war ich nicht überzeugt, dass das tatsächlich gut gehen kann. Ich hab mir gedacht, lieber mal bremsen und probieren, anstatt gleich alles zu riskieren.

Heuer im Jänner hast du die Abfahrt auf der Streif gewonnen, hattest deine erfolgreichste Saison im Weltcup. Man hat den Eindruck: Egal, wie wild es auf der Piste zugeht – den Paris haut so schnell nichts um.
Schön, wenn das so rüberkommt. Das ist wie im Leben: Wenn man sich topfit fühlt, wenn alles rundherum passt, dann hat man auch eine gute Balance. Und im speziellen Fall steht man dann eben auch viel sicherer am Ski.

Aber jede Abfahrt, jeder Super-G ist doch stets ein Abwägen zwischen Risikobereitschaft und Vernunft. Wie gehst du mit diesem Balanceakt um?
Die Leute glauben oft, ich kenn nur „Vollgas“. Aber tatsächlich probiere ich immer, die verschiedenen Situationen gut einzuschätzen. Ich weiß genau, wo ich Vollgas gebe und wo ich versuche, taktisch gut durchzukommen.

Du hast einmal gesagt, früher wärst du bloß ein guter „Geradeausfahrer“ gewesen. Heute zählst du auch auf den technisch schwierigsten Strecken zu den Besten. Was war dein Erfolgsrezept für diese Entwicklung?
Ich war früher in den technischen Kurven wirklich nicht gut. Aber ich denke, mein Ehrgeiz und vor allem mein Fleiß, den ich nach der Zeit auf der Alm entwickelt habe, haben sich bezahlt gemacht, denn seither habe ich jede Saison versucht, mich als Skifahrer weiterzuentwickeln.

Stichwort Entwicklung: Du hast mit Nordica ja einen Ausrüster, bei dem die Leidenschaft für die individuelle Produktentwicklung, aber auch der Zusammenhalt zwischen Mitarbeitern und Rennfahrern fast einzigartig ist.
Ja, für mich ist Nordica eine tolle Marke und genau die enge Zusammenarbeit im Bereich der Entwicklung macht mir großen Spaß. Es ist wichtig für einen Athleten, dass er seine Ideen einbringen kann, wenn es bei Ski und Schuh um Innovationen und Verbesserungen geht, die letztlich auch Hobbyfahrern nützen.

Wenn man dich so hört, klingt das ungekünstelt, direkt und „naturbelassen“. Machst du vor Rennen Entspannungsübungen oder meditierst du?
Nein, ich bin immer gleich: Ich höre meine Musik und konzentrier mich dabei auf das Rennen.

Apropos Musik: Du bist ja Sänger der Death-Metal-Band „Rise of Voltage“. Aber Heavy Metal wird’s wohl nicht sein, was du vor einem schweren Rennen hörst, oder?
Doch! Ich höre Musik, von dem Moment an, wenn ich vom Hotel wegfahre, bis kurz vor dem Rennstart. Und natürlich höre ich nur Metal! Das bringt mich so richtig in Stimmung und lenkt mich gleichzeitig ab. Übrigens für alle, die es nicht wissen: Wir haben 2018 unser Debütalbum rausgebracht. Da solltet ihr mal reinhören.

Bei all deiner Offenheit und Direktheit,  bist du eigentlich ein nachdenklicher Mensch. Nicht zuletzt, seit dein Bruder vor sechs Jahren bei einem Motorrad­unfall ums Leben kam. Woher hast du damals deine Stärke genommen, dich wieder mit voller Leidenschaft ins Abenteuer Skirennen zu stürzen?
Natürlich war das eine ganz harte Zeit für mich und meine Familie. Aber ich habe probiert, einfach weiterzumachen, weil ich auch wusste, mein Bruder hätte das sicher so gewollt. Und mit der Zeit konnte ich dann die Trauer verarbeiten und die dunklen Gedanken vom Skifahren trennen.

Weil wir so viel über Balance gesprochen haben: Wie sehr schreckt es dich als bekennenden Naturliebhaber, dass unsere Umwelt offenbar immer mehr aus dem Gleichgewicht gerät?
Alles, was man so sieht und liest, hört sich wirklich nicht gut an. Aber ich versuche, nicht so viel darüber nachzudenken, was alles passieren wird. Ich probiere einfach, mit meiner Familie umweltbewusst zu leben, so wie wir Südtiroler es immer schon gemacht haben. Aber ganz ehrlich. Ich glaube, es ist schon zu spät. Das ist das Gleiche wie bei einem Sonnenbrand: Hat man ihn, hilft das Eincremen auch nicht mehr. Aber man kann zumindest versuchen, dass es nicht noch schlimmer wird.

Was wünscht du dir persönlich, damit du sagen kannst: „So wie es ist, ist mein Leben für mich absolut im Gleichgewicht.“
Ich hab keine Sonderwünsche! Wenn es so weitergeht wie jetzt, bin ich mehr als zufrieden und ein glücklicher Mensch: Bei mir daheim sind alle gesund und ich kann mit Spaß Ski fahren. Alles andere ist dann nur Zugabe.

Wild war gestern: Kitzbühel-Sieger Dominik Paris im Interview
Dominik Paris

wurde am 14. April 1989 in Meran geboren. Lebt mit seiner Frau und einem Kind in Ulten in Sütirol.

Ist Sänger der Death-Metal-Band Rise of Voltage, die im Sommer 2018 ihr Debütalbum Time veröffentlichte.

Die letzte Saison 2018/2019 war bis jetzt seine erfolgreichste Saison. Weltmeister Super-G, Super-G-Gesamtsieger, Abfahrt gesamt 2., gesamt-WC 4., Kitzbühel Abfahrt 2019, gesamt 4x, Bormio 2x 2018, Kvitfjell 2x 2019, Soldeu 2x 2019.