Echt stark! Julie, Neuzugang bei den TRI OUT girls, kauft sich ein Rennrad und fasst den Beschluss, ein Jahr darauf den Ötztaler Radmarathon zu fahren. Am 1. September 2019 war es dann so weit – hier erzählt Juli von ihren Erlebnissen im vergangenen Jahr.

Julie Forcher
Julie Forcher

Sonntag, 1. September 2019, 6:40 Uhr: Der 39. Ötztaler Radmarathon kurz vorm Start ... über 4.000 Radsportler präparieren sich für das Rennen – darunter ich. Ich habe meine Brille dabei, den Helm auf, das Wasser aufgefüllt, Riegel und Gels habe ich in die Taschen gepackt. Unnötigen Ballast und die wärmende Kleidung werden am Start gelassen. Die Regenjacke bleibt auch hier. Das Wetter ist uns hold und soll bis zum Abend trocken bleiben. In fünf Minuten wird der Startblock geöffnet. Die Aufregung steigt und ich werde nervös. 5.500 Höhenmeter erwarten mich auf einer Strecke von 238 Kilometern. Was um Himmels Willen habe ich mir nur dabei gedacht, bei diesem wahnsinnigen Rennen mitzufahren?

Begonnen hat alles vor etwas mehr als einem Jahr. Aus einer Rennrad-fanatischen Familie stammend, haben mein Cousin und ich beschlossen, uns radsporttechnisch so vorzubereiten, um in drei Monaten Teil des familiären Radausflugs von Osttirol nach Lignano zu sein. Was gemütlich anklingt, wurde zu einer Herausforderung, zumal wir beide noch nie am Rennrad gesessen hatten und sich unter unseren Verwandten sechs Ötztaler-Finisher befinden. Mit meinem Schwager als Trainer und der zunehmenden Begeisterung für den Sport konnte ich die 184 Kilometer und 1.400 Höhenmeter zur oberen Adria ohne Probleme zurücklegen. Diesem ersten Erfolg entstammte meine Idee, meine Schwester zu überreden, noch einmal am Ötztaler Radmarathon teilzunehmen, um das Rennen zusammen zu bestreiten und die Lignano-Fahrt wurde zum ersten Training für das Großevent in Nordtirol.

Erneut mit meinem Schwager als Trainer verlief das Trainingsjahr größtenteils reibungslos. Bis auf den ein- oder anderen grippalen Infekt und ein paar Urlaubswochen konnte mich nichts vom Training abhalten. Sehr zum Verdruss meiner Freunde verbrachte ich die meiste Zeit im Sattel. Die Ausfahrten wurden in der Anzahl mehr und vor allem immer länger. Obwohl ich mich stetig verbesserte, kamen vor allem in der ersten Hälfte meiner Trainingszeit Zweifel auf. Nach meinen ersten 1.000 Höhenmetern auf einer Trainingsfahrt mit viel zu hohem Puls und der Erschöpfung, die sich in meinem Körper breit machte, hatte ich Bedenken, ob es schaffbar und realistisch ist, ein so großes Rennziel gewählt zu haben. Normalerweise ist der Ötztaler Radmarathon ein heißersehntes Ziel routinierter, erfahrener Rennradfahrer und nicht das einer Sportlerin mit einem Jahr Rad-Erfahrung. Rennsituationen sollte ich im Frühjahr bei zwei kleinen Radrennen kennenlernen, an denen ich wetterbedingt aber nicht teilnehmen konnte. So wurde die Radstaffel beim Fürstenfeld Triathlon mit den Tri Out girls zu meiner ersten und einzigen Wettkampf-Erfahrung und der Ötztaler zu meinem ersten Radrennen.

Was mir an Renn-Routine fehlte, wollte ich durch eine Streckenbesichtigung gewinnen. Nachdem meine Schwester und mein Schwager in Innsbruck leben, war ich oft zum Trainieren dort. Die Strecke führt von Sölden über Ötz übers Kühtai durch Innsbruck über den Brenner, den Jaufenpass und das Timmelsjoch zurück nach Sölden. Ich hab die Strecke mit den Bergen im Training kennengelernt. Die Meinungen dazu gehen weit auseinander, ob es sinnvoll ist, eine Rennstrecke vorher abzufahren. Manche sagen, dass es bei einem so langen Rennen besser sei, nicht zu wissen, was noch vor einem liegt. Ich habe meinem Trainer vertraut und empfand es als Vorteil ungefähr zu wissen, wo man auf der Strecke gerade unterwegs ist. Vor allem ist es gut, gefährliche Stellen zu kennen, um sich auf enge Kurven, Baustellen, Schlaglöcher und Kanaldeckel einstellen zu können. Vor allem aber gewann ich bei dieser Trainingsfahrt an Bewusstsein für die Länge und die Höhenmeter, die mit dem Rad zu bezwingen waren – einfach irre.

Einige Tage vor dem Rennen machte ich mich auf den Weg nach Innsbruck, um in Ruhe anzukommen. Den Samstag verbrachten wir schon in Sölden. Mit den Startsackerln am Rücken spazierten wird durch den Ort, nahmen die Rennstimmung auf, flanierten an den Sportstandln vorbei und haben uns bei der Nudelparty unter das Radvolk gemischt. Durch die vielen Menschen und die Vorbereitungen für den kommenden Tag wurden wir aber schon langsam und nicht wenig nervös. Mein Rad war in einem guten Zustand, trotzdem sollte mir mein Onkel – selbst doppelter Ötztaler-Finisher –  nochmal theoretisch erklären, wie Pannenschaum und Pannenspray funktionieren. Die vorletzte Nacht vor dem Rennen soll bekanntlich die wichtigste sein. Da habe ich sehr gut geschlafen. Auch in der letzten Nacht habe ich trotz Nervosität und Spannung ausreichend und tief geschlafen.

Aufgeben ist keine Option
Sonntag 4:45 Uhr aufstehen, gut frühstücken, ein letztes Mal alles durchchecken und auf zum Start. Mit über 4.000 anderen hieß es jetzt 238 Kilometer und 5.500 Höhenmeter durchbeißen. Es war nie abgemacht, dass wir zusammen fahren, deshalb verlor ich meine Schwester und meinen Trainer recht schnell. Nach ca. 15 Kilometern stand an der Seite ein Radfahrer, offensichtlich schon mit einem Loch im Reifen. Von oben bis unten voll mit Pannenschaum tat er mir unglaublich leid. Ich wusste genau, dass ich – trotz der eingehenden Erklärungen meines Onkels – genauso am Straßenrand stehen würde. Das ganze Rennen lief für mich bis zum Timmelsjoch reibungslos. Das Wetter war perfekt, ich hatte keine Krämpfe oder Schmerzen und ich fand unterwegs immer wieder Leute, an die ich mich für eine Weile anhängen konnte. Ohne Frage – es war dennoch unglaublich anstrengend und es kommen Fragen durch den Kopf wie: „Warum tue ich mir das an?“ Da heißt es dann entweder ablenken mit Musik, Land und Leute beobachten oder einfach den Kopf reinstecken und versuchen, nicht darüber nachzudenken, sondern weiterzutreten. Mein großes Ziel für mich war es, sicher durchzukommen. Ich wollte keinesfalls irgendwo liegen bleiben und mit dem Besenwagen ins Ziel fahren zu müssen. Ich kam zu einer Zeit über den Jaufenpass und dann zum Timmelsjoch, zu der schon einige auf der Seite standen und kurz vorm Aufgeben waren. Das war nicht schön zu sehen und nicht förderlich, wenn man selbst schon gegen einige Beschwerden und vor allem gegen den eigenen Kopf ankämpft. Aufgeben war jedoch nie eine Option für mich. Ich wollte mit eigener Kraft über die Ziellinie fahren, dass mich selbst der Besenwagen, der am Timmelsjoch seine Runden drehte, nicht einschüchtern konnte. Oben angekommen musste ich im Tunnel vor Erleichterung so laut schreien, dass der Radfahrer neben mir fast vom Sattel gefallen wäre.

Ich wusste genau, dass ich nur noch den Gegenanstieg zur Mautstelle überwinden musste und dann nach Sölden ausrollen konnte. Leichter gedacht, als getan. Kaum war ich über die Zeitnehmung am Timmelsjoch gefahren, begann es wie aus Kübeln zu schütten. Meine Regenjacke, in der Früh noch unhandlich und überflüssig, war in der Unterkunft in Sölden – ich war nach ein paar Metern durchnässt und schnell unterkühlt. Ich blieb kurz stehen, um mir Weste und Ärmlinge überzuziehen und fuhr den ersten Teil ab. Ich hätte mir nie gedacht, dass ich mich so auf den Gegenanstieg freuen würde. In dieser Höhe hatte es um die fünf Grad, durch den Regen und den Gegenwind wirkten es auf mich wie Minusgrade. Durch die paar letzten Höhenmeter wurde mir zumindest wieder kurz warm, aber die Abfahrt nach Sölden wurden zum absoluten Horror. Der Regen ließ nicht nach und die Kälte wurde unerträglich. Ich zitterte am ganzen Körper und hatte Mühe mich auf ein sicheres Abfahren zu konzentrieren, zumal ich meine Finger auf der Lenkstange kaum noch spüren konnte. In meinen Schuhen stand das Wasser und ich konnte durch den starken Regen kaum was sehen. Ich musste mich fassen und gegen die Tränen ankämpfen. Da ich sonst schon nicht die schnellste Abfahrerin bin, habe ich auf diesen nassen letzten Kilometern doch um einiges mehr gebremst, als ich es vorgehabt hatte. Ich wollte keinesfalls noch etwas riskieren.

Die Einfahrt in Sölden nach 12:11.21 war so emotional, dass ich die Tränen nicht mehr zurückhalten konnte. Einerseits wegen der Erleichterung, gesund im Ziel zu sein, und andererseits wegen der unglaublichen Freude um das Erreichen meines ersehnten Traums. Im Zielgelände warteten schon seit einiger Zeit ungeduldig meine Freundin und meine Familie, darunter mein Bruder aus Amerika und als Überraschung war auch meine beste Freundin an diesem Tag sieben Stunden von Graz angereist. Sie alle haben mich in diesem Trainingsjahr in jeder Hinsicht unterstützt. Sie in meine Arme zu schließen, machte meinen ersten Ötztaler zu einem unglaublich aufregenden und facettenreichen Erlebnis – einfach perfekt.

Wie man das schaffen kann? Hier ist die Antwort …
Für den Ötztaler Radmarathon in einem Jahr fit zu werden, ist mit viel Disziplin, großartiger Unterstützung, mit einigen Tuben Popocreme, vielen Erdnussbutter-Riegeln, einem hervorragenden Trainer und einer starken Schwester zum Vorbild auf jeden Fall möglich. Damit bin ich auch für den nächsten Ötztaler gerüstet – dann aber mit Regenjacke.

TRI OUT girls
TRI OUT girls

ist der Blog für Mädels, die bereits Erfahrungen im Triathlonsport gesammelt haben – aber auch für jene, die diesen Sport ganz neu für sich entdecken wollen.

Web: www.trioutgirls.com