Ja, beim Bouldern stimmt's! So vorschnell vieles zu einem Trend hochgelobt wird – im Fall dieses Klettersports trifft es zu 100 Prozent zu: In ganz Österreich wird drauflos gekraxelt, vom Knirps bis zum Senior haben immer mehr Menschen Spaß daran, nicht nur die Wand, sondern auch Körper und Geist in den Griff zu bekommen. Ein Phänomen, das erklärt werden will.


Fast muss sich Stefan Kleinhappl selbst wundern, warum er in einer 1.200 Quadratmeter großen Halle mit viereinhalb Meter hohen Wänden steht, in die tausende bunte Griffe geschraubt sind
„Warum Bouldern derzeit so extrem im Trend liegt, kann ich auch nicht erklären“, sagt der Geschäftsführer des „Boulderclubs“, der Anfang Oktober im Süden von Graz eröffnet hat. Sogar zeitgleich mit einer weiteren neuen Boulderhalle in der steirischen Metropole. „Vielleicht ist es, weil viele Sportartikelfirmen das Bouldern entdeckt haben. Vielleicht aber auch, weil dieser tolle Sport immer öfter im Fernsehen zu sehen ist.“
Wie auch immer: Feststeht, dass ein regelrechter Boom auf die Boulderwände eingesetzt hat. An starken Tagen hat Stefan Kleinhappl schon mal 100 Leute gleichzeitig in der Halle. „München ist das Epizentrum dieser Bewegung, dort gibt es fünf, sechs riesige Hallen. Und es werden schon neue geplant“, weiß der Grazer. „Aber auch in den USA oder in Saudi-Arabien gibt es Hallen in denen nach Herzenslust gebouldert wird.“

Auch ein Grund für den Megatrend: Beim Bouldern haben alle ihren Spaß, quer durch alle Altersschichten. / Bild: Boulderclub Graz„ABSTÜRZE“ OHNE FOLGEN
Den Auslöser für den Trend mag er nicht verstehen – den Grund, warum die Leute von dem Hallenklettern in Absprunghöhe begeistert sind, kennt Kleinhappl sehr wohl. „Es macht einfach riesig Spaß, zuerst vom Boden aus an einer Route nach oben zu tüfteln – und dort dann auch tatsächlich hinaufzukommen.“ Und zwar völlig gefahrlos, egal, wie schwierig die Kletterroute auch sein mag: Im Bereich von Boulderwänden fängt immer ein dicker Schaumstoffboden etwaige Abstürze sanft ab.
Auch ein Erfolgsrezept: Damit auch alle ihren Spaß haben, vom Anfänger bis zum Profi, gibt es unterschiedliche Schwierigkeitsgrade. Und das gut sichtbar: Die gelben Griffe markieren zum Beispiel die leichteste Route. Da sind noch keine speziellen Bewegungen nötig und die Griffe sind gut zu fassen. Ab Grün wird es dann immer schwieriger, die Tritte und Griffe werden immer kleiner und glatter, die Abstände größer und komplizierter zu erreichen.

STEIGEN STATT ZIEHEN
Rücken, Unterarme, Bizeps. An diesen drei Stellen gräbt sich die Erinnerung an eine intensive Boulder-Einheit ein. Vor allem bei Anfängern, weil denen die richtige Technik fehlt. „Bouldern ist Klettern am langen Arm“, erklärt Alexander Pabst, der im Grazer Boulderclub als Trainer arbeitet. „Das soll heißen: Arme ausstrecken, dann wegsteigen und mit Schwung den nächsthöheren Griff schnappen. Dadurch spare ich Kraft im Oberkörper, die ich gegen Ende einer anstrengenden Route noch gut brauchen kann.“ Der Selbstversuch zeigt: So geht es tatsächlich leichter als mit der Laienmethode, bei der man automatisch dazu neigt, zu viel mit dem Oberkörper und mit den Armen zu ziehen, statt mit den Beinen wegzusteigen. Kraft sparen ist oberste Boulder-Tugend.
Die körperliche Anstrengung, das Ausreizen der Muskeln bis zur Maximalkraft, ist die eine Seite. Beim Bouldern ist aber auch der Kopf gefragt. Denn nicht jede der farblich nach Schwierigkeitsgrad markierten Routen lässt sich ohne weiteres durchsteigen. Da ist volle Konzentration gefragt. „Genau das macht auch den Entspannungseffekt aus. Sobald du in die Route einsteigst, denkst du nur noch an den nächsten Griff und sonst nichts.“, sagt Kleinhappl.
Umso wichtiger ist es, schon vom Boden aus den Weg nach oben zu studieren und sich zu überlegen, wie die schwierigen Stellen zu überwinden sind. „Da stehen die Leute oft in Gruppen zusammen und versuchen, das Problem, also den ,Boulder‘, zu lösen“, weiß Kleinhappl. Und das quer durch alle Alters- und Leistungsstufen. „Das macht den Sport auch zu einem Gruppenerlebnis. Anders als beim Seilklettern, wo zwei Leute miteinander verbunden sind, kann man das hier super mit mehreren Freunden oder auch mit der Familie machen.“ Und mit Familie meint der Boulderclub-Chef wirklich die ganze Familie: „Wir haben Dreijährige, die schon klettern. Und wir haben hier auch einen Herrn, der bereits 76 Jahre alt ist.“ Groß, klein, dick, dünn, stark, schmächtig, erfahren oder blutiger Anfänger – alle haben sofort Spaß an der Wand. „Mitbringen braucht man zum Bouldern nur eine bequeme Hose“, sagt Alexander Pabst. Kein Seil, keine teure Kleidung, ja nicht einmal eigene Kletterschuhe muss man haben – die kann man sich in der Halle ausborgen.


Video: Boulder Weltcup-Finale 2014 in Innsbruck



DAS PERFEKTE TRAINING

Neben dem Spaß und der Entspannung ist Bouldern aber auch das perfekte Ganzkörpertraining. Durch die vielfältigen Bewegungen werden Rumpf, Arme, Beine und Oberkörper gestärkt. „Die Physiotherapeuten jubeln“, weiß Pabst, „denn Bouldern ist der ideale Ausgleichssport für alle, die im Beruf hauptsächlich sitzen.“ Angenehmer Nebeneffekt: Die Koordination wird ebenfalls trainiert. Dazu kommen die komplexen Bewegungen, durch die man auch einen positiven Effekt auf andere Sportarten ausüben kann. „Bouldern ist wie ein Fitnessstudio“, sagt Stefan Kleinhappl – „nur viel lustiger“.
Stimmt. Auch wenn man als Anfänger schnell vor Problemen steht, sobald die Griffe etwas weiter auseinander sind. „Aber wenn du eine Bewegung zehn Mal nicht schaffst und dann geht sie plötzlich, dann ist das ein super Gefühl“, sagt Alexander Pabst. Eines, das süchtig macht.


Dr. Stefan Kleinhappl, Boulderclub GrazDER BOULDER-EXPERTE
Dr. Stefan Kleinhappl ist Geschäftsführer des Boulderclubs in Graz. Der Sportwissenschafter leitet auch die Nordicfit Academy, eine Weiterbildung für Sporttrainer. „Der Reiz, etwas Neues zu erschaffen, ist für mich etwas unglaublich Motivierendes“, sagt Kleinhappl über seine Tätigkeit im Boulderclub.

Weitere Infos findest du auf www.boulderclub.at


Zum Weiterlesen: