Vom Dauerläufer zum Dauersegler. Christian Schiester segelt um die Welt. Gegen Osten, gegen den Wind. Er sucht nicht die schnellste Route, sondern die entferntesten und exklusivsten Plätze dieses Planeten. Erste Erfahrungen mit Walen und Piraten inklusive.
Interview: Christoph Heigl
Christian, du bist monatelang auf einem 18 Meter langen Segelschiff. Ist der Extremläufer mittlerweile Ex-Läufer?
Ich werde immer Läufer sein. Aber jetzt ohne diese gehasste Uhr. Das brauche ich nicht mehr. Keine Uhr, kein Pulsgurt. Jahrzehntelang gemacht, weg damit! Das ist ein Gefühl der Freiheit und unbeschreiblich gut. Ich renne jeden Tag, wenn ich kann. Und ich renne jedes Jahr den Wings for Life World Run, entweder irgendwo vor Ort oder mit der App. Und wenn wir drei Wochen ohne Pause am Boot sind, renne ich im Geiste oder trabe am Stand vor dem Masten.
Bis du noch stolz auf deine Laufleistungen?
Im Marathon habe ich 2:29 Stunden als Bestzeit und beim Halbmarathon 1:07. Aber worauf ich auch stolz bin – und was viele nicht wissen, die sagen, der Schiester kann nur lang und extrem – sind meine Zeiten auf den Kurzstrecken: 8:41 Minuten über 3000 Meter auf der Bahn – für einen Wald- und Wiesenläufer nicht übel. Oder die 15:07 auf 5000 und 31:12 über 10.000 Meter. 1000 Meter unter drei Minuten? Viele wissen nicht, wie da die Wadeln brennen.
Hast du für dich als Läufer alles erreicht?
„Erreicht“? Ich habe intensiv gelebt, aber „erreichen“ hat für mich etwas mit einer Ziellinie zu tun. Ja, vielleicht bin ich jetzt schon angekommen. Ich bin bereit zu sterben, nur weiß ich nicht, wann und wie. Ich habe vieles erlebt und schaue relativ gelassen zurück, viele Fehler, viel gelernt. Das ganze Training, der ganze Scheiß. Es war knüppelhart und knüppeldick. Viele wissen nicht, was da dahintersteckt. Und die Neidgesellschaft! Eh klar, er kriegt einen Haufen Geld! Das wirkt wie eine Handbremse. Wie wichtig wird da der Plan B! Ohne den bist du verloren.
Wie hast du dich immer motiviert?
Ich habe mir für den Kopf immer Themen mitgenommen, in die Antarktis, in die Wüste. So quasi: Wo läufst du überhaupt hin? Denn die Gefahr ist groß, dass du dir die Birn´ weich rennst. Je weiter du rennst, schwimmst oder radelst, umso gefährdeter ist der Kopf. Du musst mit beiden Beinen auf dem Boden bleiben. Egal, ob Politiker, Olympiasieger oder Lottogewinner. Da tun sich viele schwer. Auch ich bin da gefährdet, das gebe ich zu. Auch ich habe geglaubt, dass es kein Ende gibt. Jetzt bin ich geerdet und habe viel gelernt in den letzten Jahren. Ich habe mich neu erfunden.
Was verbindet Segeln und Laufen?
Das Durchhalten. Wir müssen durchhalten. Das zelebrier ich jeden Tag. Wir segeln ja nicht locker die Küste entlang, sondern quer über den Ozean. Bei einem Fehler gehst du drauf.
Was war bislang die schlimmste Erfahrung beim Segeln?
Das Gefährlichste ist nicht die Natur, sondern der Mensch. Etwa die politische Situation in Eritrea. Um einen Sturm zu umfahren, sind wir in ein militärisches Sperrgebiet hinein und dann haben sie uns um 6 Uhr früh die Kalaschnikow an die Stirn gehalten. Wenn der mit dem Zeigefinger zuckt, bin ich tot. Oder die Piraten! Vor Somalia haben Piraten zwei Öltanker mit Raketenwerfern überfallen und wir sind mit dem Segelbooterl zwischen durch. Ein japanisches Kriegsschiff hat uns angefunkt, wir sollen das Licht ausschalten und schön still sein. Zu diesem Zeitpunkt waren wir sechs Tage im Sturm, da ist dir fast alles wurscht, Tag und Nacht nur Wellen. Und dann diese Piraten-Warnung. Aber ganz ehrlich: Sie hätten uns erlöst.
In deinem Blog erwähnst du eine Ratte namens Ferdinand…?
Zwölf Tage hat er uns am Boot gequält. Ein unglaublich intelligentes Tier: Er hat Staniol-Kugerl auf die Fallen geworfen und sie damit ausgelöst. Er hat den Strom bei meiner 230-Volt-Käsefalle gerochen. Hab ich den Strom abgedreht, war der Käse plötzlich weg. Er hat alles angeknabbert und sogar das Bugstrahlruder kurzgeschlossen. Wenn er das falsche Kabel angebissen hätte, wären wir abgebrannt. In der letzten Nacht vor den Seychellen hab ich ihn erwischt. Dort hätten sie uns sonst bei der Hygienekontrolle in Quarantäne gesteckt.
Und warum Ferdinand?
Ich hab ihn gerufen, auf alle Arten, mit allen Schimpfnamen. Und dann hieß er einfach Ferdl. Wir haben ihn erwischt und ihn per Seebegräbnis verabschiedet. So ein Viecherl ist vielleicht ein Symbol für alles, was dir das Leben schwer machen kann.
Das schönste Erlebnis?
Wir waren 300 Seemeilen östlich von Somalia, totale Flaute, das Meer spiegelglatt. Plötzlich tauchen vor uns schwarze Rückenflossen auf. Delfine? Zu groß. Ganz langsam sind wir hingekommen. Da waren 20 oder 30 riesige Wale, die an der Oberfläche getrieben sind. Sie haben sich ausgerastet und wir haben sie schnaufen gehört. Das war der einprägendste Moment. Diese wuchtigen Körper, atemberaubend.
Wie seid ihr technisch ausgerüstet?
Wir haben für Notfälle alles mit und sind völlig unabhängig. Mit Solarpanelen und Windgeneratoren erzeugen wir Strom. Und der Watermaker macht aus Salzwasser bestes Trinkwasser. 200 Liter in einer Stunde, ein technisches Wunder. Auf einigen Inseln haben wir für die Einheimischen Trinkwasser gemacht und dafür Kokosnüsse, Ananas oder Mangos bekommen.
Du bist mit deiner Lebensgefährtin Daniela Bärnthaler unterwegs. Wie ist diese Zweisamkeit in der Einsamkeit?
Da sehen die meisten die größte Gefahr (lacht). Aber Dani denkt und spricht wie ich, wir streiten nie. Ohne sie kann ich es mir nicht vorstellen. Ich hätte es sonst alleine und nonstop gemacht, aber dann wär ich an den schönsten Plätzen vorbeigesegelt. Und so kann ich die Augenblicke mit ihr teilen. Wir genießen und wir philosophieren über Sinn und Unsinn, machen eine TV-Doku und schreiben jedes Jahr ein Buch.
Warum soll die Weltumsegelung genau sieben Jahre dauern?
Sieben Jahre sind nur Eckdaten, ein ungefährer Zeitplan, wir segeln ja quasi zickzack. Vielleicht haben wir 2018 schon die Nase voll und lassen es bleiben. Oder wir sind in 20 Jahren noch nicht fertig. Es gibt so viele sagenhaft schöne Plätze, vielleicht bleiben wir irgendwo picken. Auf den Seychellen hätten wir gleich bleiben können, in La Digue zum Beispiel, dort ist das Paradies. Du verkaufst das Boot, kaufst dir eine Hütte im Busch, baust Mangos und Bananen an und: Danke, Wiederschauen. Vielleicht bekommen wir aber Heimweh? Dann sind wir wieder in Österreich.
Wie ist das Jahr geplant?
Von Mitte November bis Ende Jänner waren wir zu Hause für Vorträge und Buchpräsentationen. Danach sind wir zwischendurch nur für ein, zwei Wochen in Österreich. Aber meine zwei Kinder oder unsere Verwandten kommen an besondere Plätze nach, wo wir uns treffen können. Rund zehn Monate pro Jahr wollen wir segeln.
Du bist jetzt 50 Jahre alt. Hat dich der runde Geburtstag nachdenklicher gemacht?
Wenn die gute Fee kommt und mich auf 20 Jahre zurückzaubern könnte, müsste ich sie fragen, ob sie mir die Erfahrung auch mitnimmt. Sonst bleibe ich lieber 50. Das ewige Entsprechen und Ins-System-Passen, ist ein Druck, den wir doch alle nicht brauchen. Jeder will alt werden, aber keiner will alt sein. Jetzt schminken sich schon Männer, damit man die Falten nicht sieht, eine Katastrophe. Ich war in Ländern, wo alte Menschen mit Respekt behandelt werden. Je mehr Falten, umso mehr Leben haben sie gesehen.
Wie stellt sich ein Extremsportler seine Zukunft vor?
Ein Ziel wäre, im Altersheim zu sitzen und den Leuten zu erzählen, wie die Wale sind. Aber ich glaube nicht, dass ich einmal in einem Heim bin. Vielleicht kaufe ich in Griechenland ein kleines Häuschen auf einer Insel, fange Fische und mache mir Erdäpfel dazu. Aber noch bin ich viel zu neugierig. Wäre ich nicht so neugierig, würde ich das jetzt schon machen.
Christian Schiester Er war Raucher und Trinker. Mit 20 Jahren hatte er 100 kg und rauchte bis zu 60 Zigaretten am Tag, Ruhepuls 93. Sein Hausarzt warnte: „Mit 30 bist du tot.“ Dann wurde Schiester Extremsportler, lief Rennen durch die Sahara, den Amazonas-Dschungel, durch die Antarktis, den Himalaya und war ab 2007 Profisportler – Ruhepuls 32. Jetzt Abenteurer, Weltumsegler, schreibt Bücher und hält Motivationsseminare. Seit Oktober 2016 segelt er mit seiner Lebensgefährtin Daniela Bärnthaler um die Welt, immer gegen Osten. Start war 2016 in Griechenland, nach rund 10.000 km haben sie mittlerweile die Seychellen erreicht. Dort geht es jetzt weiter. |