Das Geheimnis von „Fascial running“, Teil II: Nach der Vorbereitung der Bindegewebsstrukturen auf den energiesparenden Faszienlaufstil in unserer letzten Ausgabe geht es mit dem Experten Markus Strini diesmal auf die Laufstrecke.
Zur Erinnerung: Ein „faszialer“ Laufstil funktioniert nur, wenn das Bindegewebsgeflecht, also die Faszien, entsprechend trainiert sind: Das haben wir euch in der letzten Ausgabe mit dem Faszientrainings-Experten Markus Strini gezeigt und gleich passende Übungsbeispiele geliefert. „Nach jeder Laufeinheit dehnen oder mit der Faszienrolle arbeiten“, empfiehlt Strini. Wer die Story nicht gesehen oder nicht mehr im Kopf hat: Im E-Paper ist sie nachzulesen auf magazin.sportaktiv.com (Ausgabe Nr. 6 2019/20, ab Seite 46). Ein Kernsatz daraus: Ein gut trainiertes Fasziengewebe – im Mittelpunkt steht die Achillessehne – lässt sich im Laufen vorspannen wie eine Feder, die gespannt wird, oder ein Bogen, der einen Pfeil abfeuert. Die gespeicherte Energie wird dann beim Abdruck freigesetzt und in Vortrieb umgewandelt. Die körperlichen Voraussetzungen sind aber nur die eine Seite. Diesmal wollen wir euch mit Markus Strini zeigen, wie man das fasziale Laufen tatsächlich auf die Straße bringt. Die Bildfolge oben zeigt den annähernd idealen Laufstil dafür, biomechanisch zerlegt in vier Phasen, wie sie die Sportwissenschaft verwendet. In der rechten Spalte die Erklärung dazu und wie die Faszienstrukturen in jeder Phase mitwirken.
Wer übers fasziale Laufen spricht, muss aber auch über Laufschuhe sprechen. Unsere gedämpften Laufschuhe sind wesentlich mitverantwortlich für den bremsenden Fersenlaufstil: Barfuß läuft jeder automatisch vorfußlastiger. Andererseits verkraftet das dauerhafte Vorfußlaufen heute kaum ein menschlicher Körper, schon gar nicht der von mäßig trainierten Hobbysportlern. Der Hype um „Natural Running“-Schuhe vor einigen Jahren ist nicht umsonst wieder abgeflaut. Experte Strini empfiehlt zum Laufschuh: „Er sollte nicht zu viel Sprengung haben: 4 bis 8 mm Höhenunterschied zwischen Vorfuß und Ferse sind ideal.“ Der Wert ist bei jedem Laufschuh angegeben. „Zweitens sollte der Schuh nicht zu viel Torsionsteifigkeit haben“ – Strinis Tipp dazu: Schuhe im Shop in die Hand nehmen und versuchen, sie um die Mittelachse zu verdrehen. So bekommt man ein Gefühl für relativ steife und relativ bewegliche Schuhe. Drittens: Zu gestützten Schuhen nur greifen, wenn sie nach einer professionellen Laufanalyse empfohlen wurden.
Zurück zum Laufstil: „Einfach seinen Laufstil ‚künstlich‘ zu verändern, funktioniert nicht“, sagt Markus Strini. Wer versucht, einfach den Fußaufsatz, Hüftstreckung oder Kniehub bewusst zu ändern, verfällt unweigerlich in alte Muster zurück, sobald man nicht mehr daran denkt. So einfach lässt sich unser Gehirn nämlich nicht umprogrammieren. Was stattdessen funktioniert, ist eine Verbesserung mittels Lauf-ABC-Übungen. Dieses altbekannte Übungsrepertoire (wie Skipping, Kniehebelauf etc.) gilt auch hier. Ein paar weniger bekannte Varianten, die besonders das fasziale Laufen unterstützen, zeigen wir euch auf dieser Seite. Schließlich und endlich gilt auch: Möglichst viel Abwechslung ist im Laufen gefragt. „Beobachtet euch selbst: Sobald die Schritte schwer und laut werden, ist es an der Zeit, eine Variation einzubringen“, sagt Strini. Das kann eine der gezeigten Übungen sein, aber auch die Schrittlänge betreffen. Besonders gut wirken auch Gehpausen bei längeren Läufen: Die Faszienstrukturen ermüden nämlich, können sich aber sehr rasch (30 Sekunden bis 1 Minute Pause reichen dafür) erholen und sind dann wieder belastbarer.
Der ideale Laufstil
Das Technikleitbild des Laufens lässt sich in vier Phasen zerlegen. Worauf es ankommt, was die Bindegewebsstrukturen im Körper jeweils leisten und warum der Laufstil wichtig für das energiesparende fasziale Laufen ist:
1. vordere Schwungphase
Das Stützbein (hier: das linke) befindet sich unter dem Körperschwerpunkt. Hüfte, Knie und Sprunggelenk des Schwungbeins (das rechte) sind gebeugt, was die Vorspannung in der stärksten und größten Sehne, der Achillessehne, ermöglicht. Die Vorspannung setzt sich über Wade, Oberschenkelrückseite und Gesäßmuskulatur bis hinauf in den Rücken fort. Wie der Bogen, der gespannt wird, bereit den Pfeil abzufeuern.
2. vordere Stützphase
Die Phase beginnt mit dem Bodenkontakt des Fußes. Das Aufsetzen soll unter dem Körperschwerpunkt, direkt unter der Hüftachse, und möglichst mit dem ganzen Fuß erfolgen (man spricht – anatomisch nicht korrekt – vom „Mittelfuß“, im Bild: der rechte). Wer wie viele Freizeitläufer mit der Ferse aufsetzt, muss den Körper energieraubend gegen die Erdanziehungskraft über den eigenen Schwerpunkt hieven. Reines Vorfußlaufen wäre besser: Markus Strini würde aber niemandem raten, auf einen echten Vorfuß-Laufstil umzustellen: „Da sind die Probleme vorprogrammiert“.
3. hintere Stützphase
Diese Phase reicht vom Verlassen der ausbalancierten Mittellinie bis zum Verlassen des Bodens. Hüfte, Knie, Sprunggelenk (im Bild wieder: des rechten Beins) gehen in eine starke Streckung über und profitieren von der zuvor erwähnten faszialen Vorspannung, die Vorspannungsenergie wird in Vortrieb umgewandelt. Der Pfeil wird sozusagen abgefeuert. Die Hüftstreckung setzt Beweglichkeit voraus und gelingt nur, wenn Muskeln und Faszien entsprechend trainiert sind.
4. hintere Schwungphase
In der Rückholphase wird das Knie stark gebeugt, der Fuß kommt somit nach oben. Durch die ausgeprägte Beugung des Knies kann in der ersten Phase wieder ein ausgerpägter Kniehub gelingen. Generell gilt: Schleicht sich in einer der Phasen ein Fehler ein, wirkt sich dieser immer auch auf das Bewegungsbild der Folgephasen aus.