Er ist der amtierende Slalom-Weltcupsieger: Im Interview erzählt Atomic-Athlet Manuel Feller vom Flow zwischen den Toren, vom Überleben im Steilhang und von Momenten, die alleine ihm gehören.
Manuel, wie erinnerst du dich an deine Kindheit im Schnee von Fieberbrunn?
Wir hatten meterweise davon! Ab Dezember konnte man vom Hausdach springen. Mit meinem Vater und Freunden waren wir viel im Tiefschnee unterwegs. In dieser Zeit habe ich mir wohl das instinktive Skifahren angeeignet. Mit zehn Jahren bin ich die Marokka runter, ein Face, das von der Freeride World Tour bekannt ist. Das waren echte Highlights abseits des Stangenwalds.
Wann wurde aus dem kindlichen Spaß professioneller Ernst?
Als ich mit zehn Jahren entschied, auf die Ski-Hauptschule in Neustift zu gehen. Es war nicht einfach, weil ich ein wunderbares Zuhause hatte. Abends haben wir für eine Stunde unsere Handys bekommen, um unsere Eltern anzurufen. Das erste halbe Jahr sind jeden Abend Tränen geflossen.
Woher wusstest du, dass du das Richtige tust?
Ich hatte den Traum, dort runterzufahren, wo Athleten wie Hermann Maier unterwegs waren. Wobei man sich nicht sagen kann: Ich will Weltcupfahrer werden. Ich wollte einfach so gut wie möglich werden. An diesem Weg habe ich nicht gezweifelt, auch wenn es körperlich und seelisch immer wieder wehgetan hat.
Wie erinnerst du dich an deinen Bandscheibenvorfall als junger Athlet?
Ich war neunzehn. Das Skifahren wurde zur Nebensache. Es ging darum, mir wieder alleine die Unterhosen anziehen und ohne Hilfe duschen zu können. Ich hatte fantastische Betreuer und konnte mich zurückkämpfen. Aufgeben war nie eine Option. Darüber bin ich heute sehr glücklich.
Junge Fahrer haben häufig Probleme, zwei gute Läufe runterzubringen. Irgendwann kommt die Konstanz: Ist das dann Kopf oder Können?
Das Können gehört dazu, aber die Routine musst du dir erfahren. Im ersten Durchgang gewinnst du kein Rennen, weder im Riesenslalom noch im Slalom. Im Slalom hast du 60 Tore, die dir einen Strich durch die Rechnung machen können. Du fährst Radien mit acht bis zwölf Metern, der Druck ist in jedem Schwung so hoch, du kannst dauernd einfädeln. Der Slalomsport kann brutal sein. Umso größer ist die Genugtuung, wenn du deinen Flow gefunden hast.
Welcher Lauf ist schwieriger: der erste ins Ungewisse oder wenn klar ist, worum es geht?
Im ersten Lauf fahre ich zwei, drei Tore und schaue, wie mein Set-up funktioniert. Das ist immer das große Fragezeichen. Wie viel Gegendruck kommt zurück? Wie löse ich mich von der Kante? Wie viel Grip habe ich auf Eis? Im zweiten Lauf kann man sich einen Plan zurechtlegen. Bin ich Zwanzigster und setze alles auf eine Karte? Oder bin ich vorne dabei, kann gewinnen, aber auch viel verlieren?
Wie kalkulierst du das Risiko?
Auf jeder Piste anders. In einen Steilhang in Adelboden oder Wengen brauchst du nicht voll reinradieren. Da geht’s ums Überleben, um konstante, genaue Schwünge. Mit der Zeit kennst du die Passagen, in denen du ein Rennen für dich entscheiden kannst – und da haust du alles rein.
Lieber als Führender oder mit Blick aufs Podium?
Von hinten anzugreifen, kann dankbar sein. Aber ich habe nichts dagegen, als Führender in den zweiten Lauf zu gehen. Dann weiß ich: Heute passt viel zusammen und den ersten Schritt habe ich bereits gemacht.
Du hattest weitere Bandscheibenvorfälle. Wie kann man damit auf diesem Level Ski fahren?
Mein Rücken bedeutet Extra-Trainingsarbeit. Damit muss ich leben. Es geht aber auch um die Akzeptanz, dass gewisse Umfänge bei mir nicht mehr machbar sind. Deshalb trainiere ich weniger und versuche trotzdem besser zu werden. Im Riesenslalom habe ich Angst vor der Kompression, die auf meinen Körper drückt. Meine Wirbelsäule muss das wegstecken. Ganz ehrlich: Manchmal fühle ich mich so verletzlich, als wäre ich aus Styropor. Da geht es dann auch viel um mentale Stärke.
Ist dein Umfeld deshalb umso wichtiger?
Wenn man mit Schmerzen aufsteht und hart trainiert, ist man schon mal leicht reizbar. Das kriegen meine Trainer und meine Familie immer wieder ab. Sie schenken mir ihre Geduld und ihre Nachsicht. Umso dankbarer bin ich, dass ich diese Menschen um mich haben darf.
Das Material wird immer extremer. Sollte man Regeln einführen, um die Körper der Athleten nicht noch näher an ihre Grenzen zu bringen?
Man wollte längere Radien über breitere Ski bewirken, damit extrem kurze Schwünge nicht so stark auf die Kreuzbänder gehen. Über Anpassungen an Schuh, Bindung und Platte hat man das so kompensiert, dass die Radien so eng sind wie vorher. Am Ende ging der Schuss nach hinten los, der höhere Druck hat bei vielen zu Rückenproblemen geführt. Der Athlet, der Servicemann und der Skihersteller werden immer versuchen, den kürzestmöglichen Schwung zu realisieren. Wichtiger als neue Regeln ist das Steuern des Trainingspensums. Dann fahre ich eben keine zehn Läufe mehr, sondern nur noch fünf.
Von hinten anzugreifen, kann dankbar sein. Aber ich habe nichts dagegen, als Führender in Lauf zwei zu gehen.
Fragst du dich manchmal, ob’s das alles wert ist?
Nein, ich bin 32 Jahre alt und fühle mich besser als mit 20! Was in den Fokus rückt, ist der Weltcupkalender: Wir fliegen nach Finnland, zurück nach Gurgl, rüber in die USA nach Beaver Creek, dann nach Val-d‘Isère und weiter nach Alta Badia. Jetlag, stundenlange Reisen – es wird immer wichtiger, die richtige Entscheidung zu treffen, ob ein Tag Regeneration nicht mehr bringt als das nächste Training.
Februar 2025 ist deine Heim-WM in Saalbach-Hinterglemm. Bist du anders als sonst in die Saison gestartet?
Nein, die Vorbereitungen waren wie immer. Wir haben aber dazu gelernt und werden mehr Auszeiten einbauen, um Abstand vom Skizirkus zu kriegen. Ich werde während der Saison weniger Riesentorlauf trainieren, mich nach Weihnachten und zwei Wochen vor Saalbach noch einmal ausklinken.
In der Öffentlichkeit geht es um den sportlichen Erfolg. Was ist dein Ziel für dich als Person?
Manche Leute fliegen nach Thailand ins Kloster, um beim Meditieren ihren Ist-Zustand zu finden. Ich erlebe Woche für Woche einen Tunnel vom Start bis ins Ziel. Da schreien ein paar Tausend Leute und du kriegst es gar nicht mit. Das sind Momente, die allein dir gehören. Ich fühle mich privilegiert, dieses Leben führen zu können. Wir sind mit der Skifamilie unterwegs, reisen um die Welt und können voneinander lernen. Natürlich suche ich nach dem schnellsten Schwung, nach dem perfekten Rennen – aber das größte Ziel ist und bleibt: niemals den Spaß zu verlieren.