Nicht nur wandern, sondern sich verausgaben, dabei aber nicht in den Wettkampfmodus schalten, sondern sich an Felsen, Gämsen, Bächen erfreuen – das ist Speed Hiking. Ausflug in eine Bergsport-Nische.
Wandern ist ja wieder voll im Trend. Immer mehr Junge entdecken die Bewegung in der Natur. Und eben nicht unbedingt das Klettern oder das hochalpine Abenteuer, sondern tatsächlich über Almwege, Steige, Wanderwege zu gehen. Also über kein schwieriges, technisch anspruchsvolles Terrain. Natürlich, in der Snapchat-Instagram-Generation ist der Begriff „Wandern“ zu wenig hip. „Speed Hiking“ heißt das heute. Schnelles Wandern also. Grund genug, das einmal auszuprobieren.
Tiers in den Südtiroler Dolomiten. Ein kleines Bergdorf oberhalb von Bozen. Hier soll das Speed-Hiking-Abenteuer beginnen. Es beginnt aber etwas anderes: zu regnen nämlich. Aber trotzdem: Muass auffi. Also Regenjacke raus und rauf auf den Wanderweg Richtung Grasleitenhütte, dem Basislager der Veranstaltung. Und schlechtes Wetter gibt es bekanntlich ja ohnehin keines.
Vom charakteristischen Dolomitenpanorama mit den schroffen, steil aufragenden Kalkfelsen ist nichts zu sehen. Regen und Nebel haben einen Vorhang vor die Rosengarten-Gruppe gezogen. Sattelspitze, Rotwand, Tschaminspitze, Rosszähne – nichts von alledem zeigt sich. Immerhin, nach knapp zweieinhalb Stunden hat der Regen genug und stellt kurz vor der Grasleitenhütte die Arbeit ein.
Trotz der Geschwindigkeit gibt es keinen Wettbewerbsgedanken - Die Ruhe & der schnelle Atem werden dennoch gespürt
Der Weg Nummer drei vom Parkplatz Weißlahnbad zur Grasleitenhütte eignet sich indes perfekt zum Speed Hiking. Kleine Wegerln wechseln sich im unteren Teil noch mit Forststraßen ab, dann geht es über Almwiesen und Steige nach oben. Das Gelände ist – was den Tritt betrifft – nicht anspruchsvoll. Geübte Geher finden hier also mit Speed-Hiking-Schuhen das Auslangen. Die sind nur Halbschuhe, ein wenig steifer als Trailrunningschuhe, und haben ein besseres Profil. Die Geschwindigkeit kommt aber nicht nur aus den Beinen. Trekkingstöcke sorgen beim Speed Hiking auch für Schub aus den Armen.
Das zeigt sich dann speziell am zweiten Tag. Von der Grasleitenhütte geht es weiter aufs Tierser Alpl. Die Stöcke geben dabei neben der Geschwindigkeit auch Halt, denn nach einem sanften Start windet sich der Weg durchs Bärenloch steil nach oben. Arme und Beine werden jetzt beansprucht, es ist Berg-Sport im wahrsten Sinne. Trotzdem: Der Wettkampfgedanke fällt hier weg, es ist immer noch Wandern, also bleibt auch Zeit, endlich die Aussicht zu genießen, die Ruhe, den schnellen Atem bewusst zu spüren.
Bergführer Egon hat als Erster wieder Luft. Und erzählt vom Hüttenwirt auf dem Tierser Alpl. „Als der die Hütte da heroben gebaut hat, habens ihn alle für verrückt gehalten.“ Das ganze Material hat er allein hochgeschleppt auf 2440 Meter. Sogar die Baumstämme über mehrere Hundert Höhenmeter nach oben gezerrt. „Heute lacht keiner mehr über ihn, denn die Hütte ist eine Goldgrube.“
"Die Nachfrage nach Speed-Hiking besteht, auch wenn es eine Nische ist."
In knapp zwei Stunden haben wir rund 600 Höhenmeter bewältigt und sind oben angekommen. Aber war das jetzt Wandern, Speed Hiking oder Trailrunning? Oder ist das nur eine Nische, die Ausrüster bewusst besetzen, um ihre Produktpalette zu erweitern? „Natürlich macht das nicht die breite Masse, aber eine Nachfrage nach speziellen Schuhen gibt es tatsächlich“, bestätigt Sebastian Schaller von Salewa, der als Technical Sales Manager Bindeglied zwischen Entwicklung und Verkauf ist. „Viele junge Leute wollen wieder in die Berge. Weil sie aber nicht im schwierigen Gelände unterwegs sind, reicht ihnen ein leichter Schuh, der trotzdem ausreichend stabil ist und eine gute Sohle hat.“
Scharfe Abgrenzung zum Trailrunning oder Wandern gibt es keine. Wo die einen schon Trailrunning sagen, heißt es bei den anderen noch „Speed Hiking“.
So kann man das Material getrost auch für beide Sportarten verwenden – und natürlich auch noch in der Fußgängerzone ein Statement abgeben, dass man Bergsportler ist.
Inzwischen sind wir über den Molignonpass wieder auf dem Weg nach unten. Ein steiles Geröllfeld mit Schneefeldern wartet auf uns. Da geben die Stöcke nun Sicherheit und Stabilität - und sie entlasten die Gelenke deutlich. So bleibt es auch nach fünf Stunden bei der Lust am Berg.
Speed Hiking oder Trailrunning – die Begrifflichkeit mag unterschiedlich sein, das Erlebnis bleibt dasselbe. Das Bewegen in den Bergen, das nicht nur Naturerlebnis bietet, sondern auch das angenehme Gefühl, den Körper in die Nähe des Grenzbereichs geführt zu haben.