Zwift statt Zimmerrad. Früher schaute man beim Radtraining auf der Walze in die Wand, jetzt ins Internet. Und kann dabei die Tour de France fahren, seinen Kumpels oder Profis wie Bernhard Eisel virtuell zuwinken.
Winter-Radtraining bei Hobbysportlern schaute in grauer Vorzeit etwa so aus: Irgendwo im Keller sitzen, oder im Wohnzimmer und starr an die Wand schauen, während man auf einem Hometrainer in die Pedale tritt und Schweiß in Strömen vergießt. Aus den altmodischen Zimmerrädern wurden dann Ergometer, manche stellten ihr Rennrad auf eine Walze oder strampelten im Fitnesscenter bei „Spinning-Kursen". Was man auch versuchte: Lustig war es ohne Fahrerlebnisse und frische Luft wie im Freien nie. Und die Stoppuhr schien sowieso nur in Zeitlupe die Minuten herunterzuzählen, bis man endlich vom dann schon verhassten Rad oder aus der Folterkammer durfte. Dem Frust und Mief konnte das Wintertraining nie davonfahren.
Dann kam das Internet. Und damit öffneten sich ungeahnte Möglichkeiten. Jetzt zum Winterstart hüpfen viele Radfahrer mit Vorfreude im Keller und Wohnzimmer auf ihre Räder und steigen nach der Einheit mit einem breiten Grinsen wieder ab. „Realistischer geht es fast nicht mehr. Aus diesem Grund macht es einfach unglaublichen Spaß, und die Minuten vergehen wie im Flug", erzählt Donata Schörkmaier von den „TRI OUT Girls" im Blog-Beitrag „So funktioniert das Training mit Zwift". „Da man sich wirklich komplett reinsteigert, merkt man gar nicht, wie schweißtreibend dieses Training ist."
WAS WAR PASSIERT?
Heute sind viele Walzen und Rollentrainer mit dem Internet verbunden und sogenannte „Smart Trainer", z. B. von Wahoo, Elite oder Tacx. Das Hinterrad ist wie gehabt in einem kleinen Standgerät mit regelbarem Widerstand eingespannt und das Vorderrad steht normal am Boden. Auch ein Direktantrieb per Kette und Kassette ohne komplettes Laufrad ist möglich. Via Apps, Bluetooth oder ANT+ übernehmen Computer und Tablet (es funktioniert sogar mit Handys) die Steuerung des Tretwiderstandes und passen die Wattzahlen automatisch an. Jetzt kommt der Clou: Am mit dem „Smart Trainer" verbundenen Bildschirm oder Fernseher sieht sich der Radfahrer in einer Grafik in einer virtuellen Landschaft auf einer Straße fahren, über Brücken, durch Tunnels, gemeinsam mit anderen.
Heißestes Thema unter Radsportlern ist derzeit die Onlineplattform Zwift, die mit einer sehenswerten Umsetzung der Daten und unglaublicher Liebe zum Detail glänzt. Hier kann der Radfahrer sein Abbild (Avatar) selbst designen und auch sein Rad 1:1 virtuell übertragen. Im Sinne von „Gamification" muss man sich die Bonusfeatures aber mit Kilometern erst verdienen. Am Bildschirm sieht man alle Leistungsdaten und fährt normale Straßen durch verschiedene Welten. „Watopia" heißt eine Fantasiewelt, es geht aber auch durch die Straßen von London (England) und Richmond (USA). Das Grundprinzip: Führt die Straße am Bildschirm bergauf, wird der Tretwiderstand höher, bergab wird es leichter. Das Tempo hängt von der tatsächlich getretenen Leistung und dem Körpergewicht ab. User, die im Profil ein höheres Körpergewicht stehen haben, tun sich am Berg schwerer und fallen eher hinter Leichtere zurück. Fährt man knapp hinter einem anderen Radfahrer, verspürt man den „Windschatten", der Tretwiderstand wird leichter. Es ist wie echtes Radfahren, nur Lenken muss man nicht.
Zwift bietet fixe oder frei konfigurierbare Work-outs, Trainingspläne, normale Ausfahrten und sogar Rennen in vier Leistungsgruppen an. Spannend und unterhaltsam ist das, denn man kann sich mit auf der ganzen Welt verstreuten Usern virtuell zum Radfahren treffen. Die Kollegen sind mit Namen versehen, wenn sie am Bildschirm auftauchen oder vorbeihuschen. Man kann mit seinen (und unbekannten) Kumpels chatten, ihnen ein „Daumen hoch" schicken und ihnen virtuell zuwinken. Die „TRI OUT Girls" etwa trainieren auch virtuell miteinander. Zudem bekommt man Infos wie „Fahre für vier Minuten mit 20 Watt mehr und du holst die Gruppe vor dir ein" auf den Bildschirm. Die Daten kann man auf anderen Plattformen wie Strava vergleichen, wo in den einzelnen „Segmenten" zigtausende Fahrten abgespeichert sind.
VOM ZIMMER INS PROFITEAM?
Selbst Profis und Weltklasse-Teams benützen Zwift. Der Steirer Bernd Eisel ist immer wieder auf Zwift anzutreffen und erkundigt sich dann, ob noch andere Österreicher im virtuellen Feld strampeln. Sein Team Dimension Data und Canyon Sram nutzen die Zwift Academy sogar, um Talente zu suchen. Die Besten werden in der „echten" Welt zu Trainingslagern eingeladen, bekommen Trikots und sogar Profi-Verträge winken. Auch die Apps von Sufferfest und TrainerRoad bieten virtuellen Spaß beim realen Schwitzen. CycleOps wählt einen anderen Ansatz: Hier wird auf Videos geschaut, die auf ausgewählten Tour-de-France-Strecken von einer Kamera aufgezeichnet wurden, etwa am Col de la Madeleine, am Galibier oder Croix de Fer. Hunderte Strecken stehen (auch via Google Earth) weltweit zur Auswahl oder können von den Usern selbst hochgeladen werden.
360-GRAD-BLICK
Auf der Eurobike in Friedrichshafen präsentierten die Italiener von TinBob die „Hero VR Experience", ein auf einer Plattform installiertes Mountainbike. Der Fahrer bekommt eine 3-D-Virtual-Reality-Brille und ist mittendrinnen im Sellaronda-Hero-Rennen – mit den beim echten Rennen 2016 aufgenommen Bildern und Geräuschen und einem 360-Grad-Rundumblick. Blickt man nach unten, sieht man seine „eigenen" Hände am Lenker. Selbst die Bewegungen der Federgabel werden auf das Gerät übertragen.
„NUR EIN NOTPROGRAMM"
Im harten Alltag der Straßensportler spielen Zwift und Co. aber nur eine untergeordnete Rolle. „Indoor- und Walzentraining sehe ich nur als Notprogramm", sagt Richard Kachlmaier, der Trainer des österreichischen Jugend-Nationalteams. „Für kurze Zeit kann man es machen, aber viel besser ist, wenn man Dinge wie Langlaufen und Skibergsteigen ausprobiert. Das ist im Vergleich eine noch intensivere Belastung." Und dabei braucht man auch das nicht, was beim Walzentraining unabdingbar ist: ein Ventilator für den nötigen „Fahrtwind" und die frische Luft.