Diesmal im SPORTaktiv-Bikecheck: Das Razorblade SL der Vorarlberger Bike-Manufaktur Simplon. Und nach der Rasur drängt sich die Frage auf: Können Race-Hardtails überhaupt noch besser werden?

Von Christoph Heigl


Race-Hardtails sind eigentlich Old-School und schrecklich 90’s. Ja? Was sind wir in den Anfangsjahren nicht alles auf störrischen Hardtails (wenn nicht überhaupt noch ganz starr und ungefedert) durch die Wälder und über die Rennkurse gebrettert. Zwar leicht und steif, aber halt wenig Federweg, Grip und Komfort. Mit reichlich plüschiger Vollfederung und fetten Reifen haben uns später die Bikes der Neuzeit in Verzückung versetzt. Jetzt das E-Mountainbike als vermeintliche Krone der Schöpfung und alles ist nur noch turbo-enduro-flow-bikepark-shred-mäßig. Ja?

Und das Hardtail? Am Friedhof der Erinnerungen? Gleich neben den Kuscheltieren?

An dieser Stelle: Danke, Simplon. Danke, lieber Vorarlberger. Danke, dass die DNA in euren Genen so viel Rennsport enthält, dass trotz aller Trekking-, Enduro- und E-Bike-Schwerpunkte – neben fantastischen Rennrädern – auch noch Produkte wie das Razorblade mit Liebe und Leidenschaft gefüllt werden. Das muss an dieser Stelle einmal nach Hard geschickt werden. Das puristische Renn-Hardtail ist die Speerspitze der Raceabteilung. Aber wie kommen wir Endverbraucher in Zeiten von Flowtrails und Motorisierungshype überhaupt klar mit so einem sportlichen Geschoß? Oder anders: Wie fühlt sich ein Soft-SUV-Fahrer am Steuer eines Formel-1-Boliden?

Der erste Eindruck
Auftritt Simplon Razorblade III SL 29. Das Bike ist mattschwarz und betört mit einer eleganten Aggressivität, die schon im Stand Attacke schreit. Produktbeschreibung? Später. Pedale ran und raus in den Wald!

Der All-Mountain-verwöhnte Testredakteur kriegt das Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht. Ist der (etwas eigenwillig geformte) Sattel erst mal richtig in Position, gibt es kein Halten mehr. So schaut also Hardtail-Vortrieb im Jahr 2019 aus. Superleicht, superflink, supereasy fühlt sich heute alles an. Habe ich etwa abgenommen? Heute ist alles leicht, na endlich. Mit Pedalen und versenkbarer Sattelstütze (von uns so geordert) hat das Razorblade nur schlanke 9,8 Kilogramm auf unserer Waage, ein starker Wert. Die Ausstattung unseres Testbikes war aber gar nicht aus dem Top-Regal. Klickt man online im Simplon-Konfigurator alles an, was schön und leicht (und teuer) ist, kann man das Gesamtgewicht bis auf 8,65 kg drücken. Da können kaum noch Serienbikes mithalten. Den Rahmen des SL-Modells (aka Super-Light) in Large gibt Simplon mit rekordverdächtigen 850 Gramm an, noch einmal 250 Gramm weniger als der normale Razorblade-Rahmen. Ab 3299 Euro geht es im Modelljahr 2020 mit SLX-Ausstattung los, im Konfigurator kommt man mühelos auf mehr als 7000 Euro.

Der Sitzwinkel ist steil, man sitzt sehr weit vorne am Bike und kann die Kraft wunderbar in die Kurbeln wuchten. Wiegetritt? Ab geht die Post! Dieses Gefühl der Beschleunigung aus eigener Muskelkraft kann kein E-Bike der Welt bieten. Vorne im Cockpit greift man auf ausgezeichnete Griffe mit Simplon-Logo, auch der Vorbau ist hausintern gebrandet. Apropos: Der Vorbau in Negativstellung (-17°) bringt das Bike in eine geduckte Angriffsstellung, wie ein Bergpuma kurz vor dem Sprung. Ein Clou ist Simplon in Zusammenarbeit mit Acros beim Steuersatz gelungen: Die spezielle Kabelführung leitet Brems- und Schaltkabel sowie die Leitung der versenkbaren Sattelstütze in (!) den Steuersatz und dann durch den Rahmen, nichts führt außen vorbei. Das wirkt sehr aufgeräumt und clean und spart zudem ein paar Gramm ein. Der Schriftzug am Oberrohr motiviert dazu, noch ein paar Watt zusätzlich zu drücken: „You can do it!“ steht dort. Thank you for pushing, Simplon.

Born and Raised hinterm Arlberg? Oder davor?
Weiter unten und knapp hinter der namensgebenden Rasierklinge im Lack steht mit „Born and Raised in Austria“ an der Kettenstrebe der nächste Slogan. Dort wird die Karbonschicht links und rechts von einem Kettenstrebenprotektor in Stainless-Steel-Optik geschützt. So können Schlamm und Steinchen keine Kratzer ins edle Kohlefaserchassis schmirgeln.

Zurück zum Uphill: Das Razorblade lässt sich dank großer Steifigkeit speziell im Tretlagerberich kraftvoll bergwärts treten. Die rennmäßige Einfach-Sram passt super zum reduzierten Design, Simplon bietet aber auch den Aufbau mit zwei Kettenblättern an. Das lassen mittlerweile nicht mehr viele Race-Hardtails zu - sehr zum Missfallen vieler steilstückgeplagter Racer. Die Federgabel hat eine Lockout-Funktion, die blieb ungenutzt (samt etwas klobig wirkender Hebelkonstruktion am Lenker), weil für uns nicht nötig.

So schnell und angriffslustig waren wir noch nie oben am Berg. Doch was bringt die Abfahrt? Wie verhält sich das Leichtgewicht im wurzeligen Singletrail?  Dank versenkbarer Sattelstütze und breitem Lenker muss man kaum Hindernisse fürchten, die rennmäßigen Reifen und die zarte 100-mm-Forke bieten gerade noch genug Grip, um Wurzeln und kleine Stufen zu meistern. Wie ein 150mm-All-Mountain bügelt es zwar nicht über die Trails, das ist klar, aber die Leichtigkeit der Richtungsänderungen und das erstklassige Handling sorgen für genug Fahrspaß. Schon erlebt, wie man ein 9kg-Bike mit einem Hüftknick lenken kann? Beim Schieben, bei Tragepassagen und beim Heben über Absperrungen möchte man sowieso fast jubeln. Was uns nicht so gefallen hat? Wenig. Die Federgabel fühlte sich nur weit unter den Luftdruckempfehlungen fluffig an, der Lenker zeigte im Downhill etwas viel ungewohnten Flex und mit dem X-LR-Sattel wurden wir bis zum Schluss nicht ganz warm.

Das SPORTaktiv-Fazit
In der Ebene und auf Asphalt rollt das Razorblade dank der schnellen Schwalbes wie der Wind. Als angenehmer Trainingseffekt stellt sich ein, dass man motiviert vom leichtfüßigen Vorarlberger noch eine Extraschleife an die Runde dranhängt. Ein Hügel geht noch. Noch ein Trail, weil’s grad so geil ist. Danke, Simplon, diese Gier nach Mehr hatten wir und unsere Oberschenkel schon lange nicht mehr. Als Fazit steht für uns fest: Puristische Hardtails sind noch lange nicht tot. Erstens als trotzige Gegenbewegung zur wuchtigen E-Mountainbikewelle, und zweitens weil Hardtails einfach die Ur-Form des Mountainbikens sind. Und damit auf ewig auch Kultstatus haben werden.

Nachsatz zum Design: Simplon wurde für das Razorblade mit dem Red Dot Award für seine hervorragende Gesamtgestaltung ausgezeichnet. Wir gratulieren.

Simplon Razorblade SL

Ausstattung – Testbike Simplon Razorblade 29 SL III

Rahmen:Simplon Carbon, Vibrex-Rahmentechnologie, 850 g (Testbike Large)
Antrieb:Sram GX Eagle 1 x 12
Bremsen:Magura MT8 Carbon
Laufräder:DT Swiss XM 1501 mit Tune-Steckachse hinten
Reifen:Schwalbe Racing Ray Addix und Racing Ralph Addix in 2,25 Zoll
Federgabel:Rock Shox SID Ultimate RLC 29, mit Lockout, 100 mm Federweg
Sattelstütze:Kindshock LEV Integra, 100 mm Hub
Sattel:Selle Italia X-LR Superflow
Steuersatz:Acros Blocklock
Vorbau:Simplon Zero II 70 mm, -17°
Lenker:Simplon Carbon 720 mm
Griffe:Simplon Shark Lock
Gewicht:9,8 kg mit Pedalen
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