SPORTaktiv-Geschäftsführer Alfred Brunner zieht es seit über 30 Jahren auf die legendären Rennradpässe. Über 120 atemberaubende Anstiege im Alpenraum stehen mittlerweile in seinem Lebensbuch. Im September 2024 ging es erstmalig in die Pyrenäen im Grenzgebiet Frankreich, Spanien und Andorra. Hier ein authentischer Reisebericht vom Atlantik ans Mittelmeer.

Alfred Brunner
Alfred Brunner

Legendäre Tour de France- und Vuelta-Pässe vereinen wir diesmal zu einem ganz speziellen Roadtrip unter dem Motto „From Coast to Coast“, konkret von Biarritz am Atlantik bis nach Perpignan am Mittelmeer. Gemeinsam mit Freund Arno Kronhofer definieren wir das Toursetting als Luxusvariante und organisieren mit Bruder Günter einen Begleiter im Ford Galaxy. Somit stehen warme Kleidung, Getränke und Sportnahrung jederzeit zur Verfügung und abends wird in normaler Kleidung sowie viel Geselligkeit und Spaß gespeist.
 

Nach der langen aber problemlosen Anfahrt nach Biarritz geht es bei noch kühlen Temperaturen auf Etappe 1, mit zahlreichen Hügeln aber noch keinen hohen Bergen. Wir starten direkt am Meer, wo coole Surfer chillen und die eine oder andere Welle reiten. Bei uns geht es erst flach entlang der „Nive“ Richtung Südosten. Nach 60 Kilometer gibt es in Saint-Jean Pied-de-Port die erste Pause. War es zuvor noch ruhig, so wuselt es in diesem Ort regelrecht vor Wanderern. Der Grund: Wir befinden uns direkt am Jakobsweg! Die ersten beiden Hügel mit je rund 400 Höhenmeter verstärken den Aufwärmcharakter für die kommenden Tage. Nach 128 km und knapp 6 Stunden stoppen wir in Oloron-Sainte-Marie, für eine Einrolletappe sind Arno und ich aber doch sehr müde. Das kurzfristige Hotelfinden vor Ort ist zu dieser Jahreszeit auf der ganzen Radreise kein Problem. Abends wird meist klassisch diniert - Frankreich wie auch Spanien stehen für eine ausgezeichnete Küche. Dazu genießen wir durchaus das eine oder andere Glas Rotwein, diesmal vorzugsweise aus dem Südosten Frankreichs: „Languedoc-Roussillon“, dem größten Weinanbaugebiet Frankreichs.

Etappe 2 hat mit dem „Col d`Aubisque“ den ersten Scharfrichter am Plan. Mit 1.709 m nicht besonders hoch, 18 km und 1.200 Höhenmeter reichen aber allemal. Auf der Passhöhe treffen sich Radfreunde aus der ganzen Welt. Fotos mit dem berühmten Stahlrädern in XL-Format werden geschossen, die Energiespeicher in der urigen Kneipe aufgefüllt. Die folgende Abfahrt ist spektakulär wie selten, es geht in riesigen Serpentinen runter und dann doch wieder rauf, weil ein kleiner Gegenanstieg auf den „Col Soulor“ auf 1.474m wartet. Von dort geht es knapp 25 km talwärts und dann 15 km leicht ansteigend nach Luz Saint-Sauveur, wo wir nächtigen. Dieser Ort liegt direkt am Fuße des Tourmalet. Man spürt die Geschichte des Ortes, Geschäfte florieren, die Restaurants sind gut besucht.

Etappe 3 bittet uns mit großem Respekt vor 3 Legendenpässen zum ausgedehnten Frühstück. Pass 1, der Gigant „Col du Toumalet“, ist mit 2.115 m einer von nur vier Pyrenäen-Pässe über 2.000 m Seehöhe. Der Mythos als meistbefahrenes Tour de France-Monument ist allgegenwärtig. 18 km mit 1.415 Höhenmeter und 7,5 % Durchschnitt sind ein dickes Brett, das wir heute bohren dürfen. Langsam - mit viel Reserve - erklimmen wir den Riesen, machen oben legendäre Passfotos und speichern jede Kurve ab. In der Passkneipe hängen uralte Räder und uralte Fotos an den Wänden: Tourmalet-Geschichte zum Anfassen! Die lange Abfahrt genießen wir volle, gehen aber im Unterschied zu den Profis nicht auf Vollgas. Mit den „Col Aspin“ auf 1.489m wartet Pass 2 an diesem Tag. Scheinbar leichte 13 km und 653 Höhenmeter sind dann doch etwas schwerer als gedacht, da die erste Hälfte des Berges leicht und die zweite Hälfte schwer ist; man soll sich nie von scheinbar leichten Durchschnittssteigungen (hier 5,1 %) täuschen lassen. Die Abfahrt vom Col Aspin Richtung Arreau ins Tal gehört zu den schönsten, die wir je fahren durften: perfekter Asphalt, grandiose Ausblicke und vor allem KEIN Verkehr. Wir kehren zur wohlverdienten Pause ein und genießen französische Tartes und Süßspeisen vom Feinsten. Der Tag wird aber noch lang, steht doch mit dem „Col Peyresourde“ auf 1.563 m Pass No.3 am Plan. Auch dieser Berg beginnt leicht und wird dann gefühlt immer schwerer, auf 17 km warten weitere 800 Höhenmeter. Auch hier wird kurz in der Passkneipe eingekehrt. Die Abfahrt nach Bagneres-de-Luchon ist perfekt, ein Hotel rasch gefunden. An diesem Samstag sind die Restaurants sehr gut besucht, auch wir genießen ein Entrecote und einiges an Vino. Die Königsetappe ist geschafft!

Etappe 4 beginnt noch in Frankreich, geht aber nach 10 km beim „Col du Portillon“ auf 1.293 m nach Spanien. Der Asphalt wird eine Spur ruppiger, die herrliche Landschaft der Pyrenäen bleibt atemberaubend schön. Die Tierwelt ist seit dem Tourbeginn angreifbar nahe, uns begegnen direkt auf der Straße zahlreiche Esel, Pferde, Zottelrinder und Schafe. Falken und Geier kreisen majestätisch schön ihre Runden. Der Col du Portillon ist mit 663m Höhenmeter und 10km vergleichsweise kurz, zum ambitionierten Aufwärmen reicht er allemal. Nach der kurzen Abfahrt folgt ein ewig langer Anstieg auf den „Port de la Bonaigua“ auf 2.072 m, zuerst rund 20 km leicht ansteigend im Tal, dann 22,7 km bergwärts. 1.100 Höhenmeter bei warmen Temperaturen bringen mich erstmalig voll ans Limit. Ich kämpfe brutal, auch weil mich an den Tagen 3 bis 5 eine schwere Verkühlung plagt. Arno ist hingegen am Gipfel regelrecht „high“, er schafft den Bonaigua am großen Kettenblatt und damit mit hohem Tempo. Respekt vor diesem Kerl, der Talent und Kampfgeist in sich vereint. Der echten Abfahrt über 20 km folgen weitere 30 km leicht abwärts und das bei Rückenwind. Der Radgott meint es also doch noch gut mit mir. Im Etappenzielort Sort wartet nicht nur ein tolles Hotel, ein Spitzenrestaurant mit einer Tapaskarte, die wir von oben bis unten durchprobieren, sondern auch eine Massage, um die supermüden Beine ein bissl zu lockern.

Etappe 5 geht sofort auf den Berg. Mit dem „Port del Canto“ auf 1.725 m warten 20 km und 1.000 Höhenmeter auf uns. Meine Beine spüren die kumulierten Anstiege der Vortage und schalten auf Eco-Modus. Dieser Tag wird ja noch sehr lang werden. Nach der Abfahrt mit einem sensationellen Ausblick geht es nach La Seu d`Urgell und dann 48km (!) durch Andorra auf den „Port d`Envalira“ auf 2.408 m. 1.730 Höhenmeter ergeben somit die wahre Königsetappe. Arno und ich fahren gemeinsam durch Andorra, es ist kurzweilig, da wir diesen Zwergstaat zum ersten Mal bereisen und aus dem Staunen nicht herauskommen. Die Hauptstadt Andorra la Veilla hat supernette Plätze und ist sehr belebt. Je höher wir kommen, desto mehr ist die Bedeutung des Wintertourismus spürbar, Seilbahnen auf beiden Seiten des Tals und zahlreiche Hotels und Appartements säumen die Straßen. Da steppt im Winter sicher der Bär. Ich steppe an diesem Tag nur bis Soldeu auf 1.800m, bis hierher geht es mir gut, die letzten 10 Kilometer mit 600 Höhenmeter auf den „Envalira“ dem Dach unserer Tour fahr ich nur mehr mental, meine Beine sind vollkommen leer. Trotzdem herrscht am Envalira große Freunde, immerhin haben wir das Ärgste geschafft. Eine superlange Abfahrt über unfassbar lange 40 km inklusive dem kleinen Gegenanstieg „Col Puymorens“ führt uns über Frankreich zurück nach Spanien, wir nächtigen in Puigcerda, wo eine traditionelle Paella „Mar y Montana“ unserer Speicher füllt.

Die abschließende Etappe 6 führt uns auf eine Hochebene mit letzten 500 Höhenmetern bis Mont-Louis, ehe wir dem engen Tal talauswärts – erstmalig mit viel Verkehr und engen Straßen – rausrollen. Nach der 30 km langen Abfahrt genießen wir in Villefranche de Conflent die tolle Stimmung des netten Orts und ein gutes Mittagessen ehe es Richtung Osten nach Perpignan und Canet-en-Roussillon ans Mittelmeer geht. Ich empfinde die letzten Kilometer als absolute Triumph-Fahrt und sorge mit einem lauten Freudenschrei für erstaunte Gesichter der Beobachter in Canet. Mit dem obligaten Sprung ins Meer sowie dem Besuch im edlen „Pub del Mar“ lassen wir die spektakuläre Pyrenäen-Durchquerung auf uns wirken. Unfassbar, was man in 6 Tagen mit dem Rennrad schaffen kann. Mein Körper ist supermüde, mein Kopf ist superstolz. Mit 681 Kilometer, 13 Anstiegen und kumulierten 12.830 Höhenmeter ist das Pyrenäenprojekt „Coast to Coast“ ein Leben lang abgespeichert. Ein großes Danke gilt meinem Freund Arno und meinem Bruder Günter, fürs Begleiten am Rad und mit dem Auto. Mit diesem „Dreamteam“ vereint man Anstrengung mit viel Spaß und gegenseitiger Motivation, eine wahre Weltklasse-Kombination!