Die Skandinavier nennen es die „Friluftsliv“-Bewegung, in unseren Breiten ­pusht man es flotter als „Nature Fitness“. Und geht es nach den Mediziner ist es einfach gesunder „Bergsport“. Trailrunning, Speed Hiking - egal, wie die Bewegung auch heißen mag – Fakt ist: Immer mehr Menschen entdecken den Berg als Sport- und als Fitnessarena.

Für die ältere Generation steht der 26. Oktober noch als Synonym für einen Wanderausflug, für Knickerbockerhose, Rucksack und „Fit mach mit“- Medaille. In den 70er-Jahren begann mit der Kampagne des „wanderbaren Österreichs“ tatsächlich ein richtiger­ Wanderboom – nicht nur „Wickie, ­Slime und Paiper“ prägten diese Zeit, sondern auch die familiären sonntäg­lichen Wanderausflüge.
Warum dieser Boom Ende der 80er-Jahre wieder ziemlich abflaute, hat vielfältige Gründe. Der immer größer werdende Leistungsdruck, verbunden mit immer weniger Zeitressourcen; das Verlangen, auch in die Freizeit mehr „Action“ zu packen; das Entdecken neuer, „trendiger“ Sportarten – das und vieles mehr verpasste­ dem klassischen Wandern nach und nach ein etwas verstaubtes Image mit wenig sportlichem Touch. Statt ihren natürlichen Bewegungsdrang in der freien Natur auszuleben, trieb es immer mehr fitnessbewusste Menschen an die Maschinen – in den künstlich beleuchteten Hallen der Fitnessstudios ...
Das Entdecken, Erleben und Erfahren des Körpers im Zusammenhang mit den Wetter- und Klimareizen ist ja ein genetisch gespeichertes Muster. / Bild: KKAber halt, da war doch noch was? Dank der menschlichen Intelligenz und wohl auch gesteuert von den (wenn auch meist verkümmerten) Spuren der Evolution gibt es wieder einen ganz starken Drang zur Wiederentdeckung natürlicher Sinnes- und Erlebniswahrnehmung in der Natur. Das Entdecken, Erleben und Erfahren des Körpers im Zusammenhang mit den Wetter- und Klimareizen ist ja ein genetisch gespeichertes Muster. Im Bestreben, der Bewegungsfalle unserer Hektomatik-Welt zu entkommen, erobern nun die Menschen wieder den Berg. Und zwar nicht nur als Sport-, sondern vor allem auch als „Fitnessarena“. Wandern wird zu Nature Fitness.

DEFINITION DES WANDERNS
Gedanken über das Wandern haben sich schon viele Köpfe gemacht. „Wandern ist Gehen in der Landschaft“, lautet die Definition des deutschen Wanderverbandes. „Dabei handelt es sich um eine Freizeitaktivität mit unterschiedlich starker körperlicher Anforderung, die das mentale und physische Wohlbefinden fördert.“ Und damit auch die sportliche Anforderung klar ist: „Charakteristisch für eine Wanderung ist eine Dauer von mehr als einer Stunde, sowie eine entsprechende Vorbereitung, Nutzung spezifischer Infrastruktur und eine Wanderausrüstung.“ Eine andere, auch nicht unlustige Definition bezeichnet das Wandern als „freiwillige, zielgerichtete und zweck­orientierte Fortbewegung zu Fuß in freier Natur, aus eigener Kraft und ohne weitere Hilfsmittel, wobei mindestens ein Fuß am Boden bleibt“.
Was aber oft durch den Verweis auf den „Natur-Erlebnisfaktor“ ins Hintertreffen gerät, beweisen viele wissenschaftliche Studien: Wandern ist in erster Linie auch ein genialer Fitnesssport! Sowohl in der Prävention als auch in der Rehabilitation wird immer wieder die Bedeutung von moderatem Ausdauertraining betont, bei dem Herz-Kreislauf, Stoffwechsel, Atmung, passiver und aktiver Bewegungsapparat gestärkt werden. Lauter Kriterien also, die der Fitnesssport Wandern nahtlos erfüllt: Er fördert und trainiert unseren körperlichen Zustand, stärkt Kondition, Koordination, Beweglichkeit, Geschicklichkeit, regelmäßiges Wandern wirkt sich positiv auf Herz-Kreislauf-Risiko­faktoren und auf das Immunsystem aus.
Und nicht zu übersehen in unserem Stresszeitalter: Wandern hat absolut positive Auswirkungen auf die Psyche! Menschen gewinnen an psychischer Stabilität, wenn sie sich regelmäßig in natürlicher Umgebung körperlich betätigen. Letztlich ist der Mensch selbst nichts anderes als ein Teil der Natur.

AUSDAUERSPORT WANDERN
Als Ausgleich zum Alltag scheint das Wandern also ideal zu sein. Es erfüllt soziale, gesundheitliche sowie psychische Funktionen – lauter Faktoren, die verdeutlichen, warum diese Freizeitbewegung unter Sportmedizinern längst als optimaler Gesundheits- und Fitnesssport gilt. Die Sportwissenschafter sind es auch, die den Sport Wandern mittels der Geschwindigkeit vom normalen „Spazierengehen“ abgrenzen. Demnach sprechen sie bei einem Fußmarsch ab zwei Stunden und einer Mindestgeschwindigkeit von 4 bis 6 km pro Stunde vom „Wander-Sport“. Spätestens mit dieser Erkenntnis, dass Wandern Sport ist, sollten sich auch alle Hobbyjogger und -Radler, die (mit mehr oder weniger Lust) ihre Trainingsrunden in erster Linie ihrer Gesundheit und Fitness wegen runterspulen, mit dem Wandern als ernstzunehmendes Alternativ-Ausdauertraining auseinandersetzen. Schließlich weiß man: Gerade beim Ausdauertraining ist ja das Switchen zu anderen Sportarten ein Erfolgsgarant in der Trainingsplanung. Und wer ab und zu einen 10-km-Lauf durch eine mehrstündige flotte Bergtour ersetzt, kann nicht nur den gleichen Trainingseffekt verbuchen, sondern hat auch den Kopf freigeschalten.

VOM WANDERN ZUM SPEED HIKING
Die Kennzeichnung als Bergsport ist wohl auch mitverantwortlich dafür, warum das klassische Wandern als die Bewegungsform, die jahrzehntelang überwiegend der Altersgruppe 50plus zugeordnet wurde, zunehmend immer­ mehr jüngere Menschen in die Berge­ lockt. Sie sind erst recht fitnessorientiert und heben sich durch ihr Gehtempo und auch durch ihre Motivation vom klassischen Wanderpublikum ab. Auch Skitourengeher und Langläufer­ haben das sportlich-schnelle Bergmarschieren als perfektes Sommerausgleichstraining entdeckt.
Dadurch hat sich in der routinierten Bergwanderszene der Begriff des „Tempo-Wanderns“ für schnelle Wanderpassagen fest verankert. Und zugleich wurde ein neuer Trend losgetreten, dem sich alljene anschließen, die zwar mit jeder Faser des Körpers die Natur genießen wollen, aber denen das herkömmliche „Wandern“ doch zu langweilig ist. Speed Hiking heißt dieser Trend, entstanden vor fünf, sechs Jahren in den USA, der in seiner rasanten Eigenheit nunmehr auch die heimische Bergwelt erobert.

Diese dynamische Form des Wanderns­ begeistert vor allem die sportlichen Typen – ausgerüstet mit Stöcken und Rucksack ... / Bild: ernst-wuktis.de / LekiDIE NEUE GANGART
Diese dynamische Form des Wanderns­ begeistert vor allem die sportlichen Typen – ausgerüstet mit Stöcken und Rucksack hirschen sie auf und ab durch das Gebirge, entscheiden dabei selbst, ob sie den Schwerpunkt mehr auf Speed oder auf Naturgenuss setzen. Was zählt, ist einzig die eigene­ Dynamik in der Bewegung und der Natur. Wer Speed Hiking als einen kurzfristigen sportmodischen Trend abqualifiziert hat, muss mittlerweile den Irrtum eingestehen: Sportlich schnelles­ Gehen hat sich als Gangart in den Bergen fix etabliert.
Mitverantwortlich dafür ist sicher auch die Nordic-Walking-Bewegung, die seit vielen Jahren in allen möglichen Bevölkerungsschichten fest verankert ist – die aber zugegebenermaßen doch überwiegend weiblich orientiert ist. Ist nun Speed Hiking bloß eine Weiterentwicklung des Nordic Walkings auch für Männer? Einerseits ja, denn die Stocktechnik beim Speed Hiking ist grundsätzlich sehr ähnlich der Nordic-Walking-Technik. Andererseits nein, denn der Ursprung der Speed-Hiking-Entwicklung ist eher das Wandern in seiner sportlicheren Ausprägung.
Die Tendenz ist jedenfalls deutlich zu beobachten: Überaus sportliche Wanderer ziehen mit schnellem Schritt, mit oder ohne Stöcke, über die Trails in den Bergen – oft mit dem Hintergrund des sportlichen Ausdauertrainings, als attraktive sommerliche Alternative zum Laufen, Radeln, aber auch Langlaufen, Skitourengeher usw. Für diese fitness­orientierten Sportler bietet das Speed Hiking einen unkonventionellen Zugang zum „Fitnessstudio“ in der Natur.
Noch stärker ins öffentliche Licht gerückt wurde dieser Sport durch die außergewöhnlichen Leistungen der amerikanischen Speed Hiker: Matt Hazley hat die drei größten amerikanischen Trails über 12.000 km nonstop in 239 Tagen zurückgelegt; Andrew ­Skurka absolvierte die Alaska-Yukon-Expedition mit 7.500 km in sechs Monaten; und Scott Williamson war als Speed Hiker der erste Bergsportler, der die 4.300 km des Pacific-Crest-Trails in nur 65 Tagen schaffte.

Video: So much more than running


IN DER DRITTEN DIMENSION
Natürlich sind das extreme Beispiele.­ Grundsätzlich ist Speed Hiking die sportliche Form des Wanderns auf allen Arten von Wander- und Naturwegen. Im Mittelpunkt steht die abwechslungsreiche körperliche Herausforderung, gepaart mit intensivem Natur­erlebnis. Dabei nehmen Speed Hiker spezielle Stöcke zu Hilfe und bewegen sich mit leichtem Gepäck sowie funk­tioneller Ausrüstung. Die Wegstrecken können von zwei Stunden bis zu mehrtägigen Etappen variieren.
Speed Hiking ist absolut als eigenständige Bewegungsform zu definieren, die sich vom klassischen Wandern und Nordic Walking (Foto) ebenso abgrenzt wie vom Trail Running. / Bild: ernst-wuktis.de / Leki Der Trend geht ja beim Laufen wie beim Walken in die dritte Dimension. So entwickelte sich das Laufen in den vergangenen 30 Jahren weg von der Bahn auf die Straße. Und längst geht es auch ab ins Gelände – Trail Running hat sich als hochsportliche Variante des Laufens voll etabliert. Analog dazu ist die Entwicklung beim Gehen: Vom Walking ging es zum Nordic Walking und heute ebenfalls in die dritte Dimension – zum Speed Hiking. Beim Speed Hiking werden gängige Wanderrouten in reduzierten Zeiten zurückgelegt – 20 bis 40 Prozent mehr Tempo gelten als Richtwert.
Speed Hiking ist absolut als eigenständige Bewegungsform zu definieren, die sich vom klassischen Wandern und Nordic Walking ebenso abgrenzt wie vom Trail Running. Der Gehstil dieser „sportlichen Form des Wanderns“, die körperliche Belastung und die verwendete Ausrüstung lassen klar die Tendenz in Richtung sportlicher Ausführung erkennen.

DIE GANGARTEN IM VERGLEICH

  • Während sich der normale Wanderer meistens in einem leistungsphysiologisch unterschwelligen Pulsbereich bewegt, wird beim Speed Hiking die Geschwindigkeit so forciert, dass es zu einer absolut trainingswirksamen Bewegungsform wird.
  • Trail Runner sind kontinuierlich im Laufschritt unterwegs und legen bis zu 1.200 Höhenmeter pro Stunde zurück, was einen entsprechenden sportlichen Zustand voraussetzt. Speed Hiker begnügen sich in der Regel je nach Trainingszustand mit 400 bis 700 Höhenmetern in der Stunde.
  • Speed Hiking kann im alpinen Gelände oder im anspruchsvollem Hügelland mit oder ohne Stöcke durchgeführt werden, es zeichnet sich durch einen flotten Walkingschritt aus, der je nach Gelände sogar bis hin zum leichten Laufschritt variieren kann.
  • Speed Hiking wendet sich an eine jüngere bzw. sportlich orientiertere Zielgruppe als die Wanderer, spricht aber nicht die total leistungssportlich orientierten Trail Runner an.
  • Nordic Walking spielt sich ausschließlich auf ebenen oder leicht hügeligen Strecken ab. Speed Hiking dagegen findet im alpinen Gelände statt, der Stock wird nicht bei jedem Geländeabschnitt eingesetzt.

Aber egal, in welcher Gangart du in den Bergen unterwegs bist: Das gemeinsame Ziel des Wanderns, Trail Runnings, Nordic Walkings oder Speed Hikings ist die erlebnisorientierte Bewegung in der freien Natur – verbunden mit dem Anspruch und der Garantie eines perfekten und überaus wirksamen „Nature Fitness-Trainings“.


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