Sorry, aber ich muss heim. Der Klitschko boxt.“ Was vor einiger Zeit noch eine selten dämliche Ausrede gewesen wäre, ist heute durchaus up to date: Der Boxsport fasziniert und interessiert wieder Männer genauso wie Frauen. Dank Typen wie Wladimir und Vitali Klitschko oder der hübschen und vifen deutschen Weltmeisterin Regina Halmich (die einst Stefan Raab die Nase verbog) hat sich das Image des Boxsports wieder gewandelt. Vom – nett gesagt – bestenfalls bauernschlauen Rocky zum geistig und körperlich ganzheitlich gebildeten Sympathieträger.
Aber animiert diese Popularität der boxenden Doktoren Klitschko auch in Österreich mehr Menschen als früher dazu, nicht nur den Fernseher aufzudrehen, sondern auch aktiv diese uralte Sportart (früheste Aufzeichnungen stammen aus dem 7. Jahrhundert vor Christus) auszuüben?
Fit durch Boxtraining
Daniel Nader, der Leiter des österreichischen Box-Leistungsstützpunkt Ost und Sohn vom Verbandspräsidenten Roman Nader, sieht zwei Tendenzen: „Einerseits können wir doch einen gewissen Boom beim Fitnessboxen in den Vereinen feststellen. Beim Olympischen Boxen dagegen ist der Zulauf nicht so groß, wie es wünschenswert wäre. Da hat das ‚deutsche Boxwunder‘ von Maske bis Klitschko leider keinen großen Effekt für uns.“
Zur Erklärung des Unterschieds: Olympisches Boxen beinhaltet klarerweise auch das Antreten im Ring gegen einen Gegner. Fitnessboxer dagegen wollen nur von den Effekten eines Boxtrainings profitieren – und dieser Wunsch hat durchaus seine Berechtigung: Nur wenige andere Sportarten haben derart umfassende Auswirkungen auf Körper und Geist: „Boxen fördert Kraft, Schnelligkeit, Ausdauer, Geschicklichkeit; außerdem die Reaktionsfähigkeit, Konzentration – und natürlich die Fähigkeit, auch unter Stress einen kühlen Kopf zu bewahren“, zählt Daniel Nader auf. Zusatz für Zahlenfetischisten: In 90 Minuten Boxtraining werden 900 bis 1.000 Kalorien verbraucht! Da ist es kein Wunder, dass auch in vielen Fitnessstudios Trainingsprogramme mit Elementen aus dem Boxsport Einzug halten.
Fitnessboxen kann man allerdings genauso wie das Olympische Boxen auch bei den vielen heimischen Boxvereinen betreiben: Zwar haben naturgemäß die Vereine ein Interesse daran, dass möglichst viele ihrer Mitglieder (bei Meisterschaften) auch in den Ring steigen. „Aber Fitnessboxer helfen mit ihren Mitgliedsbeiträgen letztlich ja auch dabei, den Wettkampf- und Leistungssport zu finanzieren. Deshalb sind sie bei allen Vereinen selbstverständlich willkommen“, sagt Daniel Nader.
Kampf gegen Vorurteile
Um die 80 Prozent beträgt derzeit der Anteil der Fitnessboxer bei den Vereinen. Gerade jüngere Boxinteressierte (männlichen genauso wie weiblichen Geschlechts, wobei der boxende Frauenanteil nach wie vor sehr gering ist) sollten sich trotz dieser Wahlfreiheit überlegen, ob sie sich nicht gleich für das „richtige“ Olympische Boxen entscheiden: „Boxen besteht in erster Linie aus der edlen Kunst der Verteidigung“, weiß Daniel Nader. Es ist somit fernöstlichen Kampfsportarten nicht unähnlich, die sich allerdings durch die Bezeichnung als „Selbstverteidigungssport“ eindeutiger positionieren und dort weniger Scheu besteht, in den Ring zu steigen.
Der Respekt vor dem Gegner als grundlegender Wert wird im Boxsport genauso hochgehalten wie in der Fernost-Kampfkunst. Und die Überwindung, sich dem Kampf zu stellen, hilft auch dabei, ganz allgemein den „innerer Schweinehund“ im Leben zu überwinden. Übrigens: Wer glaubt, sich im Boxclub eine Anleitung zum „erfolgreichen Schlägern“ holen zu können, der wird von den Trainern mit Nachdruck auf diesen Irrtum hingewiesen – und sieht bei Unbelehrbarkeit ganz schnell die rote Karte.
Gesundheits-Check
Auch die Verletzungsgefahr ist beim Boxen (obwohl es zu den physisch und psychisch härtesten Sportarten gehört) nicht so hoch, wie oft vermutet wird: Zwar will Daniel Nader Studien, die der Sportart ein geringeres Verletzungsrisiko als Fußball, Handball oder Skifahren attestieren, mangels Überprüfbarkeit nicht bestätigen, „aber es gibt ganz konkrete Regeln und Schutzbestimmungen, die die Gesundheit der Athleten in den Vordergrund stellen.“
Klar ist: Wer in den Ring steigt, muss sich ständigen genauen Gesundheitschecks unterziehen. Und man wird zumindest ein halbes Jahr lang im Training aufgebaut, technisch und taktisch geschult, ehe man das erste Mal überhaupt einem Gegner gegenübersteht. Kopfschutz, Handschutz, Bandagen für die Hände und ein Tiefschutz sind obligatorisch. Außerdem wurde vor circa zehn Jahren das Gewicht der Boxhandschuhe von acht auf zehn Unzen erhöht und damit die Dämpfung wesentlich verbessert. Die Zahl an Knock-outs ist seither signifikant zurückgegangen.
Beitrag zur Integration
Als Stützpunkttrainer ist Daniel Nader auch für den Boxnachwuchs verantwortlich. „Gerade für Jugendliche ist der Boxsport eine gute Möglichkeit zur Charakterentwicklung. Werte wie Willen, Beharrlichkeit, Entscheidungsfreudigkeit, aber auch Teamgeist sowie Verständnis und Respekt für andere werden von einem guten Boxtrainer weitervermittelt.“
Übrigens ist in den Boxclubs der Migrantenanteil überdurchschnittlich hoch, da die Sportart in vielen Ländern des Südens und Ostens Europas einen höheren Stellenwert genießt als bei uns. „Den Clubs und der Sportart kommt somit eine nicht zu unterschätzende Rolle in der Integration zu.“
Will man Boxen später einmal als Leistungssport betreiben, empfiehlt Nader ein ideales Einstiegsalter zwischen 10 und 14 Jahren – „in diesem Alter lernt man am schnellsten.“ Ansonsten kann man in jedem Alter (auch als Erwachsener) mit dem Boxsport beginnen. Voraussetzung: Gesund muss man sein, und eine sportliche Vergangenheit und damit Grundkondition sollte man auch haben. Ist die vorhanden, kann man loslegen – egal, ob aus reinen Fitnessgründen oder um Geist und Körper ganzheitlich zu bilden.