Beim Schwimmen im See schlägt für viele Triathleten die Stunde der Wahrheit. Für Wettbewerbe ist es freilich einfach unerlässlich, mit den speziellen Bedingungen im Freiwasser gut zurecht zu kommen. Unser Triathloncoach Herwig Reupichler kennt die Tricks, wie es klappt.

Schwimmen im See ist mit herkömmlichem Bahnenschwimmen kaum zu vergleichen. Nach monatelangem „Kachelzählen" ist der Umstieg in den See zwar einerseits eine Befreiung – andererseits tun sich viele mit den speziellen Bedingungen schwer. Irrationale Ängste (vor in der Tiefe lauernden Seeungeheuern, dem aggressiven Megabarsch oder heimtückischen Wadenkrämpfen auf hoher See ...?) schwimmen bei vielen Triathleten mit. Klingt als Problem banaler, als es ist: Denn mach deiner Angst erst einmal klar, dass es sie eigentlich nicht geben dürfte!

Einer „Dunkles-Wasser-Phobie" kann man aber tatsächlich davonschwimmen. Ideal ist dafür Gruppentraining. Ein Triathlet tendiert im Rudel ja zum Großmaul. Somit wird die Freiwasserphobie gerne breitbrüstig überspielt. Und dieses selbstbewusste Auftreten wirkt tatsächlich.

IM WASSERSCHATTEN
Das Training in der Gruppe bringt überhaupt viele Vorteile mit sich. Man kann hervorragend Triathlonstarts simulieren und das enorm wichtige Wasserschattenschwimmen perfektionieren. Der Wasserschatten bringt bis zu 20 Prozent Energieersparnis. Somit kann man im Sog eines besseren Schwimmers, als man selbst einer ist, zu persönlichen Bestzeiten gezogen werden.

Dabei sollte man jedoch seinem „Frontmann" nicht ständig auf die Füße schlagen und ihn somit belästigen. So geht's: Stell dir deine „Zieleinrichtung" so ein, dass dein Kopf ca. 50 Zentimeter direkt hinter den Füßen des Triathleten vor dir schwimmt. Deine Hände tauchen dann jeweils links und rechts von seinen Fußschaufeln ein. So lange du das Gefühl hast, während des Schwimmens in einem sprudelnden Whirpool zu baden, machst du alles richtig! In den weißen Luftbläschen bleiben, lautet die Devise.

Vom Wasserschatten eines Gegners profitiert man übrigens auch, wenn man seitlich neben ihm, mit dem Kopf auf seiner Hüfthöhe schwimmt. In dieser Position fühlen sich viele sicherer als direkt an den Füßen des Athleten vor sich.

DIE ORIENTIERUNG
Ein Erfolgsrezept beim Freiwasserschwimmen lautet auch: gerade schwimmen! Das ist leichter gesagt als getan. Im Becken orientiert man sich am schwarzen Strich am Boden. Im Freiwasser ist meist alles schwarz, was man durch die Schwimmbrille sieht. Viele schwimmen enorm viele Zusatzmeter. Betrachtet man z. B. nach dem Ironman Austria in Kärnten auf der Ausdauersportler-App Strava die geschwommenen Meter der Starter, variieren die Schwimmdistanzen von 3,8 bis weit über vier Kilometer. Und die GPS-Aufzeichnungen der Athleten malen interessante Zickzack-Linien in den blauen Wörthersee.

Beim Geradeausschwimmen helfen unter anderem der Dreierarmzug und ein regelmäßig eingesetzter Wasserballkraularmzug. Durch den Dreierarmzug atmet man auf beide Seiten und hat damit ein doppelt so großes Blickfeld im Vergleich zum Zweierarmzug, bei dem man nur auf eine Seite atmet. Wer mehr sieht, orientiert sich selbstredend besser und hat den offenen See als auch die Uferlinie im Blickfeld.

Beim Wasserballkraularmzug hebt man nach jedem zwölften Armzug den Kopf nach vor, um vorwärts blicken zu können. Der Blick gilt der anzupeilenden Richtungsboje, um die man herumschwimmen muss. Oft sind diese jedoch zu niedrig bzw. die Wellen zu hoch, sodass man sie nicht sehen kann. Dann empfiehlt es sich, Fixpunkte an Land anzuvisieren. Sehr gut dafür eignen sich fixe Beziehungspunkte wie Berge, Häuser, Transparente; weniger gut flexible wie Zuseher, Autos oder Hunde ...

DAS MEER IST EINE EIGENE LIGA
Triathleten der Marke „Treibholz" träumen oft von Bewerben im Meer, denn da sei der Auftrieb ja um Vieles besser. Eines gleich vorweg: Schlechte Schwimmer sollten bei keinen Triathlons im Meer starten. Der Auftrieb zwischen Süßwasser und Salzwasser unterscheidet sich wesentlich weniger als der zwischen Schwimmen mit oder ohne Neoprenanzug. Die „Hilfe des Poseidons" ist im Bereich Auftrieb also überschaubar.

Vielmehr ist auf die möglichen Tücken des Meeres zu achten. Strömungen und größere Wellen sind uns Binnenländlern ja unbekannt und überfordern Otto-Normal-Triathleten zumeist gewaltig. Die Faustregel ist relativ einfach: Sind die Wellen höher, als der Kopf aus dem Wasser ragt, schwindet die Möglichkeit eine Boje zu sehen gegen null. Um sich gut orientieren zu können, muss man versuchen, am höchsten Punkt der Welle einen Wasserballarmzug zu machen und hoffen, dass die Boje auch gerade auf einer Welle oben treibt, oder riesengroß ist.

Für erfahrene Schwimmer kann das Schwimmen im Meer andererseits zur fantastischen Erfahrung werden. Man liebt es oder hasst es, ähnlich wie Radfahren am Berg oder bei Wind. Es ist ein Spiel mit den Elementen und den Naturkräften. Eine gewisse Fitness ist natürlich vorausgesetzt, um dabei Spaß haben zu können.

TIPPS ZUM NEOPRENANZUG
Zum Schwimmen im Freiwasser gehört natürlich auch das Thema Neo­pren erwähnt – daher noch ein paar Tipps zur „zweiten Haut". Wie seine Haut, muss man auch seinen Neoprenanzug pflegen. Nach jeder Schwimmeinheit will er mit frischem Wasser geduscht werden und dann sofort, am einfachsten auf einem Kleiderbügel hängend, getrocknet werden.

Beim Anziehen hilft es, über die Hände und Füße Plastiksackerl zu ziehen, dadurch flutscht man leichter in den hautengen Anzug. Vorsicht ist mit langen Fingernägeln geboten: Die sind Gift für euren schwarzen Schwimmfreund!

Um schnellere Wechselzeiten zu erzielen, schneiden einige Athleten ihren Anzug im Beinbereich ab, sodass er nicht über dem Knöchel endet, sondern am dicksten Punkt der Wade. So kommt man in der Wechselzone rascher aus dem engen Gummiteil raus.