Schneller, höher, stärker: Diese Superlative haben sich längst andere Trailrunning-Events an die Startnummer geklebt. Aber schöner? In dieser Kategorie gibt es für Klaus Höfler, unseren „Mann fürs Grobe", seit Kurzem einen neuen Favoriten: den Sciacchetrail an der Küste Liguriens

Klaus Höfler

Fast 500 Höhenmeter auf den ersten fünf Kilometern: Das klingt nicht gerade nach einem Sonntagsspaziergang. Aber die frühen Mühen werden schnell belohnt. Schon nach dem ersten Anstieg spannt sich eine spektakuläre Fernsicht vor dem 300-köpfigen Starterfeld auf. Spätestens jetzt wird klar, warum dieser Küstenabschnitt südlich von Genua an der Westküste des italienischen Stiefels vor 20 Jahren zum Weltkulturerbe erklärt wurde. Seit 2015 ist er auch Austragungsort eines Trailruns: Sciacchetrail nennt er sich und schlängelt sich über 47 Kilometer und 2.600 Höhenmeter durch Weinberge, Wälder und die fünf namensgebenden Dörfer von Cinque Terre.

Start und Ziel liegen in Monterosso auf Meeresniveau, die erste Verpflegungsstation nach zehn Kilometern auf über 500 Meter Seehöhe – stilsicher installiert vor einer der ältesten Wallfahrtskirchen der Region. Wer hier nicht seine letzten Sünden abbüst, der kann es auf den folgenden zehn Kilometern tun. Weitere 300 ­Höhenmeter warten.

Nachdem die Strecke noch einen ersten „Wow!"-Blick auf das an der Küste auf einem Felsvorsprung pickende Kastell Doria spendiert hat, folgt jener Teil, der Fans von kupierten Singletrails auf Waldböden entlang eines Hügelkammes ein Dauergrinsen ins Gesicht schnitzt. Gesäumt von krüppeligen Bäumen und Anfang April schon sanft aufblühendem Buschwerk, führt die Strecke ins Hinterland. Dass man wenig später am Colle de Telegrafo bereits 27 Kilometer hinter sich hat, wird mit einem weiteren Zuckerl für die Psyche versüßt: Es handelt sich um den südlichsten Punkt der Tour – weiter weg vom Ziel­ort kommt man nicht mehr. Wobei es der Heimweg aber in sich und so gar nichts mit dem Namenspatron des Laufs zu tun hat.

SÜSSER WEIN, SAURE MUSKELN
Jener Namenspatron, der Sciacchetrà, ist ein sämiger, goldgelber Likörwein, der hier als lokale und durch strenge Herkunftskriterien geschützte Spezialität gezogen und ausgebaut wird. Als „süß bis lieblich" wird sein Geschmack beschrieben. Das passt vielleicht optisch zur Laufstrecke, was den Kraftbedarf angeht, hätte man sich jedoch tiefer in die Sprachgeschichte des Namens vorgraben müssen. Dann wäre man vorgewarnt gewesen. Als Wortwurzel gilt nämlich das italienische „schiacciare" – zerquetschen/zerstampfen.

Und genau so fühlen sich meine Ober- und Unterschenkel langsam an. Schuld daran? Stufen. Hunderte. Mindestens. Nicht nur bergauf, sondern auch hinunter. Nicht nur trocken und aus Steinblöcken gebaut, sondern auch feucht und von der Natur geformt. Das zehrt.


Video: Impressionen vom Sciacchetrail 2016

AM STAIRWAY TO HEAVEN
Schon die Route vom Wendepunkt nach Riomaggiore, dem südlichsten der fünf Dörfer, bietet einen Vorgeschmack auf das, was noch kommt: 500 Höhenmeter, bergab auf teilweise elend rutschigen Steinplatten. Die Oberschenkel brennen lichterloh. Nur wenige – relativ flache – Meter geht es durch die Gassen, bevor der Weg wieder Richtung Himmel biegt.

Der Streckenplan hatte für die letzten 15 Kilometer zwar ein hektisch ausschlagendes Profil angekündigt, aber was die Zacken wirklich bedeuten, wird erst jetzt klar. Über unregelmäßige, teils ungemütlich hohe Treppen geht's die Weinberge nach oben. Meist senkrecht. Trifft man auf andere Läufer, kann man hier einen Blitzkurs für italienische Schimpfwörter absolvieren – sofern man sie lautmalerisch aus dem Schnaufen heraushört.

Bis zum nächsten Ort, Manarola, wäre es zwar die Küste entlang nur knapp ein Kilometer. Außer der spektakulären Zugtrasse, die die Dörfer in Form eines einzigen Tunnels mit kleinen „Freiluftfenstern" miteinander verbindet, gibt es aber keine direkte Straße. So werden es vier hoch fordernde Kilometer durch die Botanik. An echtes Laufen ist nicht zu denken. Stattdessen drückt es den Oberkörper schwer auf die Beine. Und das „Stiegenhaus" will einfach kein Ende nehmen. Ein Blick zurück zeigt das wahre Ausmaß. Die Häuserketten Manarolas, die wie von einem pastellfarben- und Kitsch-liebenden Maler in die steile Küstenlandschaft gezeichnet wirken, liegen noch gar nicht so weit entfernt, aber schon tief unter einem. Impressionen wie diese, die sich ab hier den Läufern immer wieder bieten, zahlen direkt auf das „Einmalig schön"-Konto des Sciacchetrails ein und führt zu zahlreichen Fotostopps.

Parallel versucht der innere Schweinehund aber ständig ein paar Gutpunkte abzubuchen. „Augenblicke verweile doch! Du bist so schön!", säuselt er einem ein Goethe-Zitat in die Ohren. Tatsächlich lechzt der Körper nach mehr Pausen, der Kopf aber drängt Richtung Ziel.

UND NOCH EIN PAAR "HÜGEL"
Bis dahin warten aber noch ein paar „Hügel". Die Route führt auf gerade einmal schulterbreiten Wegen die Terrassen entlang. Rechterhand stapeln sie sich eng aneinander gereiht und mit Weinstöcken und Obstbäumen bepflanzt nach oben. Linkerhand fällt das Gelände ebenso treppenartig steil Richtung Meer. Immer wieder geht es über kleine Treppenabsätze jener Steinmauern hinauf oder hinunter, die endlos die Cinque Terre-Steilküste entlangführen. Teilweise verläuft die Strecke direkt durch die Vorgärten der Winzerhäuser. Und vorne sieht man schon die nächsten Orte, Corniglia und Vernazza, durchs atemberaubende Panorama blitzen. Dass der Sciacchetrail dieses Jahr erst zum dritten Mal ausgetragen wurde, verwundert da fast ein bisschen. Der Lauf hat das Zeug zum Klassiker.

Ist man über weite Strecken mit der Natur alleingelassen, kommt an der Verpflegungsstation in Vernazza sogar so etwas wie Stadionatmosphäre auf. Nachdem man sich wieder einmal einen steilen Abhang hinuntergequält hat, geht es durch ein enges Gassengeflecht durch den Ort. Und plötzlich, hinter einer Kurve, sind sie da! Die, von denen jährlich abertausende für kurze Staun- und Fotomomente mit Bus, Zug oder per Ausflugsboot in der Dörfer-Perlenkette zwischen Levanto und La Spezia angespült werden: Touristen.

MEINE FERNÖSTLICHEN FANS
Sie bilden für die Läufer an der letzten „Tränke" vor dem Ziel ein wahres Spalier und sorgen für Stimmung. Ob die japanische Reisegruppe verstanden hat, warum sie sich für ein Selfie hinter mich versammelt hat? Gelacht und gejubelt haben die fremden Fans aus Fernost jedenfalls. Das Klatschen und Anfeuern in allen möglichen Sprachen wirkt wie eine Dopinginjektion für den letzten Anstieg. Denn auch die Vogelperspektive auf das idyllisch an der Steilküste klebende Vernazza muss man sich erst hart erarbeiten.

Längst sind auch alle Reservetanks geleert. Und noch einmal spielt die Kulisse alle Stückerln: Zunächst geht es durch einen dschungelartigen Wald, dann noch einmal eine steile Treppenpassage bergab durch verwinkelte Gartenterrassen in die Bucht von Monterosso. Dass (zumindest) meine Uhr im Ziel sogar knapp 48 Kilometer und fast 2.900 Höhenmeter ausweist, schmälert die Freude am Ende keineswegs – im Gegenteil ...


Die dritte Ausgabe des Sciacchetrails am 2. April gewann der Italiener Fulvio Dapit in 4:47,54 Stunden, schnellste Frau war Cinzia Bertasa in 5:44,22. Unser Redakteur Klaus Höfler belegte mit 6:36,51 Platz 70 unter 267 Finishern.

 

Klaus Höfler

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