Was ist es, was das Mountainbiken zu einer der faszinierendsten Sportarten unserer Zeit macht? Wohl kaum jemand kann den SPORTaktiv-Lesern eine bessere Antwort auf diese Frage geben als Hans Rey, lebende Ikone in der weltweiten Community der Mountainbiker.

Von Hans Rey


Beim Biking geht's mir um
Rhythmus und Flow. Mit dem Wind im Gesicht oder der Herausforderung eines knackigen Anstiegs. Die Belohnung ist der Berg. Oder der Adrenalinschub bei einer irren Abfahrt. Dieses Gefühl, eins mit dem Bike zu sein, seine eigenen Grenzen zu finden und zu pushen, die Natur zu spüren, sei es allein oder unter Gleichgesinnten. Für mich war Biken schon immer Meditation und Workout in einem. Es ist dieses Feeling, im Moment zu sein, und alles andere um einen herum zu vergessen.

Mein Hintergrund ist der Trialsport, über Stock und Stein zu fahren, Hindernisse zu überwinden und alle natürlichen Herausforderungen zu bewältigen. Das Visualisieren eines Bewegungsablaufes, um diesen dann genau so zu meistern, wie man sich das vorgestellt hat – das bringt mir Spass, Erfüllung, ja fast schon die Sucht nach mehr.

Wie ein Pianospieler seine Noten in der richtigen Reihenfolge, mit dem richtigen Rhythmus und den exakten Zeitabständen spielen muss, damit die Symphonie so klingt, wie ein Mozart sich das vorgestellt hatte, so muss auch ein Biker zahlreiche Bewegungsabläufe im richtigen Moment mit dem exakten Timing und Entschlossenheit ausüben, damit ein Bunny-Hop so vollzogen wird, wie ein Danny MacAskill sich das vorstellt.

LEIDENSCHAFT, DIE VEREINT
Natürlich gibt es Hunderte von Argumenten, was einem die Fortbewegung eines Drahtesels bedeutet kann, was einen fasziniert und warum das Biken heute populärer ist als jemals zuvor. Genau das liebe ich am Mountainbiken – dass es jeder interpretieren und ausüben kann, wie er oder sie möchte.

Mountainbiking scheint endlos viele Disziplinen zu haben, neben Ausdauer oder Gravity gibt es unzählige Bike-Subkulturen, die oft scheinbar wenig mit einander gemeinsam haben. Andere Bikes, andere Kleidung, andere Strecken, andere Vorbilder, andere Medien ...

Und doch verbinden uns alle die gleichen Fixpunkte zu einem großen Ganzen – seien es Pedale und Lenker, seien es Fitness und Ausdauer, seien es Adrenalin und Mut, seien es Natur und Freiheit, seien es Material und Ausrüstung, seien es Schweiss und Blut, seien es Erschöpfung und Triumph, seien es Niederlage und Freundschaft. Am Ende steht bei allen die große Leidenschaft für den Bikesport.

Ich bin jetzt bereits seit fast 30 Jahren Bikeprofi, ich war zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort und hatte auch ein bisschen Glück, mir mein Hobby zum Beruf machen zu können. Unendlich viele Wettkämpfe, Showauftritte und Abenteuerreisen später habe ich immer noch Spaß am Biken, die Motivation kommt mit und von verschiedenen Trends, technischen Fortschritten – und von den Zielen, die ich mir noch immer setze.


Video: Danny MacAskill and Hans Rey mountainbiking in Livigno

EVOLUTION UND REISELUST
Die letzten Jahrzehnte waren geprägt von der Pubertät des Mountainbike-Sports. Am Anfang dachten viele, es sei wohl nur ein Trend, der bald wieder verschwinden würde. Dazu kam die technische Evolution des Mountainbikes mit seinen vielen Spezialkonstruktionen, Materialien, Federungen, Hydraulik bis hin zur Elektronik. Manche Erfi ndungen haben das Mountainbike für immer verändert und verbessert, andere mussten wir auf die harte Tour wieder ausfiltern. Das gehört dazu zur Evolution, über vieles, was ausprobiert wurde, können wir heute lachen. Aber genau dieser Prozess ist nicht nur notwendig – es ist auch schön, diese Entwicklung mitgemacht zu haben und vielleicht sogar den einen oder anderen Fortschritt selbst mitgestaltet zu haben.

Ein ganz großer Reiz für mich ist es, mit meinem Bike zu reisen, neue Trails und Wege zu erkunden, am liebsten solche, die zuvor noch nie probiert wurden oder als unfahrbar gegolten haben. Aber auch die Menschen, die ich auf meinen Touren kennenlerne, ihre Kulturen, Sitten und
die wunderschöne Natur, die jede Destination unseres Planeten auf seine eigene Art und Weise hat – all das erlebe und entdecke ich, weil ich auf unserer Erde mit dem Bike unterwegs bin.

Ich habe schon Reifenspuren in über 70 Ländern hinterlassen, mein Kopf ist voll von Momenten, Personen, Trails und Eindrücken von meinen Reisen. Es ist dieser Ruf, dem ich ständig und widerspruchslos folge; dieser Ruf nach noch mehr Abenteuer, noch mehr Reisen, noch mehr Biken, noch mehr Herausforderung. Bei Beduinen im Sinai zu übernachten, Geschichten zu hören von einem alten Iban-Häupling im Dschungel von Borneo, auf einer Alm bei Livigno zu essen oder Topfahrern wie Steve Peat und Danny MacAskill auf dem Singletrail zu folgen – das alles sind Gründe, warum ich ein Biker auf Lebenszeit bin, und warum ich ständig den Drang spüre, mit meinem Fahrrad loszulegen – sei es vor meiner Haustür oder am Ende der Welt.

"Bei allen Wegen, die du in deinem Leben nimmst - sorge dafür, dass einige davon auch schmutzig sind." - Hans Rey


AUF DEN „FLOW“ KOMMT ES AN
Die Zukun vieler Biker wird meiner Meinung nach in den nächsten Jahren weniger von der Weiterentwicklung der Räder abhängen als vielmehr von der Art und Weise, wie und wo wir unser liebstes Sportgerät einsetzten werden. Mountainbikespezifische Trails und Wege werden den Ton angeben. Und das bringt mich zu meinem Lieblingsthema „Flow“: Dieses schwerelose, achterbahnähnliche Dahingleiten auf dem Bike; dieses Gefühl, wie auf einer Schiene zu fahren und das Bike wie einen zusätzlichen Körperteil zu bewegen – dieser Flow zwingt uns immer wieder hinauf auf den Berg, sei es mit Selbstantrieb oder per Shuttle.

Bislang wurden wir Biker lediglich auf ausgesuchten Forststrassen und Wanderwegen geduldet, keiner kam auf die Idee, dass diese Wege ohnehin weit vom Ideal waren. Langsam wird verstanden, dass dieser „Flow“ nicht gleichbedeutend sein muss mit „extrem“ oder „gefährlich“; dass nach einer 30-minütigen Auffahrt nicht eine langweilige, kurze, aber vielleicht auch gefährliche Abfahrt warten sollte, sondern ein speziell angelegter „Flow Country Trail”. Sozusagen als Highlight des Tages, das von jeder Könnerklasse und mit jeder Art von Mountainbike befahren werden kann. Nicht steil, nicht extrem und nicht gefährlich. Solche speziellen Bikestrecken können potenzielle Konflikte mit anderen Outdoor-Sportlern vermeiden, zugleich sind sie auch enorme Anziehungsmagnete für Tourismusdestinationen – und sie machen das Mountainbiken anfänger- und familienfreundlicher.

Mein Rat an euch: Von all den Wegen, die ihr in eurem Leben nehmt – stellt sicher, dass ein paar davon schmutzig sind – weil sie mit dem Mountainbike durchs Gelände führen. Ride on!

Euer Hans Rey


MTB-Ikone Hans Rey / Bild: Bartek Wolinski/ LivignoDIE MTB-IKONE
Hans Rey, 49 Jahre alt, ist ein Pionier im Trial- und Extrem-Freeride-Mountainbiken. Der gebürtige Deutsche gewann mehrere Weltmeisterschaften sowie eine Silbermedaille bei den ersten XGames 1995.

1997 hörte er mit dem Wettkampfsport auf und begann, mit seinem Bike- und Abenteuerteam die Welt zu erkunden. Dazu gründete er das Hans Rey Adventure Team, das bei all seinen Expeditionen von einem Kamerateam gefilmt wird.

Hans Rey, ist seit 2008 US-Bürger, lebt in Laguna Beach, Kalifornien.

Weitere Infos findest du auf www.hansrey.com.




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