Neben den „zeitlosen“ Safety-Basics im Bergsport wie umsichtiger Tourenplanung und guter Selbsteinschätzung wollen wir diesmal die Aufmerksamkeit auch auf spezielle Entwicklungen der letzten Jahre richten.
Kraftquelle und Erholungsraum, Rückzugsort, Ruhezone – all das können die Berge sein. Kein Wunder, dass es viele, auf der Flucht vor einem durchgetakteten Alltag in die Natur und nach oben zieht. Bei allen sportlichen Unternehmungen sind in den Bergen allerdings für die eigene Sicherheit (und die der anderen) ein paar Spielregeln einzuhalten – die wichtigsten, sozusagen „zeitlosen“ Safety-Basics für den Sommer-Bergsport haben wir im Kasten am Schluss zusammengefasst.
In den letzten Jahren hat es allerdings auch einige Entwicklungen gegeben: Viele haben die Berge erst jüngst für sich entdeckt; Tourenplanung und Orientierung passieren zunehmend digital; aber auch klimatische Bedingungen ändern sich. Inwiefern solche Veränderungen sicherheitsrelevant und von Freizeit-Bergsportlern zu berücksichtigen sind, das haben wir zwei erfahrene Bergführer gefragt: Martin Schmidt vom Verband Deutscher Berg- und Skiführer und Martin Edlinger, Leiter der Bergsport-Abteilung der Naturfreunde Österreich.
In den letzten Jahren haben viele den Erlebnisraum Berg neu entdeckt – ändern sich durch viele neue, unerfahrene Bergbegeisterte Sicherheits-Problematiken?
„Wir sehen eine Zunahme der Ausübenden in Sportarten mit relativ geringen Zugangsvoraussetzungen: Wandern, Klettersteiggehen, im Winter Skitourengehen“, sagt Martin Schmidt. „Wir glauben, dass viele, die unterwegs sind, neu hereingekommen sind und noch nicht den Erfahrungshorizont haben, um risikoarm unterwegs zu sein. Die Anzahl der Rettungen nimmt zu und die Art der Einsätze verändert sich auch: Wir sehen mehr Unfälle, die durch gute Tourenplanung und Vorbereitung hätten vermieden werden können.“
Was wird von Freizeitsportlern am häufigsten falsch gemacht?
„Fehlende Tourenplanung, Einschätzen der eigenen Fähigkeiten oder der Schwierigkeiten der Tour und der Verhältnisse auf der Tour – das ist die Crux“, sagt Schmidt. Martin Edlinger verweist zunächst darauf, dass Unfallzahlen im Bergsommer zwischen 2020 und 2023 insgesamt gestiegen sind, nicht jedoch die Zahl der schweren, tödlichen Unfälle. Unfallursachen sind „gefühlt nach wie vor die Klassiker“, sagt Edlinger. Auffallend für Edlinger ist jedoch der „moderne Zugang mit digitaler Tourenplanung – was zwei Seiten hat: Die positive, dass Zugang zur Information heute leichter ist als früher. Der negative Aspekt: dass die Informationen oft nicht ausreichend hinterfragt werden.“ Mehr dazu beim übernächsten Punkt.
Wie schaut es mit der Selbsteinschätzung der neu Hinzugekommenen aus – nehmen sich viele zu schnell ein zu hohes Ziel vor?
„Ich denke, es ist definitiv so, dass relativ wenig Erfahrene sich zu etwas verleiten lassen, worauf sie nicht vorbereitet sind und wozu sie nicht ausgerüstet sind. Und wo ihnen das Können fehlt. Meistens geht es gut, des Öfteren jedoch nicht“, sagt Schmidt. Im Urlaub, wenn Zeitressourcen für Bergsport auf ein bis zwei Wochen beschränkt sind, verleite das zum Denken: „Jetzt muss es passen.“ Schmidts Empfehlung, wenn man ein höheres Ziel, aber wenig Erfahrung hat: „Sich an einen guten Bergführer wenden. Einsteiger und Unerfahrene reduzieren Risiken damit stark, knappe Zeit lässt sich so am besten nutzen.“
Schafft also die zunehmende Digitalisierung – digitale Tourenplanung, das „Nachgehen“ von Tracks – Probleme? Oder nutzen die neuen technischen Möglichkeiten eher der Sicherheit?
Beide Aspekte treffen gleichermaßen zu, sagt Martin Edlinger. Er erwähnt einen Bergrettungseinsatz, bei dem Wanderer in Latschen stecken geblieben waren und sich herausstellte, dass der GPS-Track, dem sie nachgegangen waren, im Winter auf einer Skitour aufgezeichnet worden war. „Ich tue mir schwer, digitale Möglichkeiten per se als Kritikpunkt zu sehen – weil sie eigentlich sehr hilfreich sind. Wenn man damit gut und vollständig plant, sind die digitalen Möglichkeiten sehr wertvoll. Man muss sie aber auch fertigspielen.“ Heißt: Nicht nur einen Track raussuchen, runterladen und nachgehen – diesen auch hinterfragen und auf Plausibilität prüfen. Wer ist es, der die Tour zur Verfügung stellt, ein Privater oder eine offizielle Quelle wie ein Tourismusverband oder ein alpiner Verein? Können die Angaben eigentlich stimmen? Ist jene Person, die eine Tour mit einer bestimmten Schwierigkeit bewertet, mutmaßlich objektiv – oder schreibt sie aus der subjektiven Perspektive eines sehr fitten Sportlers?
„Es ist eines der Probleme, dass Informationen, die im Internet veröffentlicht werden, Unerfahrene dazu verleiten, Touren zu unterschätzen“, sagt auch Martin Schmidt dazu. Er verweist zugleich ebenfalls auf die positiven Seiten von GPS, auch unterwegs zur Orientierung, „das war früher wesentlich schwieriger“.
Wird mit dem Handy orientiert, gelte es, die Stromversorgung im Auge zu behalten bzw. dafür vorzusorgen (z. B. mit Akkupacks), sagt Martin Edlinger. Auch bei einer Alarmierung im Notfall ist GPS sehr wertvoll. Sich im Vorfeld, und nicht erst am Berg oder gar im Notfall mit der Technik auseinanderzusetzen, zahlt sich definitiv aus.
Wie gut sind die Bergsportler heute ausgerüstet? Gibt es beispielsweise einen Trend zu einer „zu leichten“ Ausrüstung?
Martin Schmidt ist in dieser Frage zweigeteilt: „Es gab jahrelang die Tendenz, dass Unfälle, die auf schlechte Ausrüstung zurückzuführen sind, zurückgehen. In den letzten beiden Jahren würde ich aus persönlichem Empfinden heraus wieder eine gewisse Steigerung beobachen. Gefühlt steigt die Zahl derer, die mit zu leichten Schuhen, vielleicht auch mit zu wenig Notfallausrüstung oder zu wenig warmer Kleidung im Hochgebirge unterwegs sind, wieder an – vor allem im Frühjahr.“
Naturfreunde-Experte Edlinger findet, dass die meisten „topausgerüstet sind.“ Im Klettersteiggehen sieht er Anwendungsfehler als Problem an (z. B. nur einen Fangarm einzuklicken). Im Wander- und Tourenbereich „fällt mir auf, dass die Notfallausrüstung oft ein bisschen unterschätzt wird. Das Erste-Hilfe-Packerl haben die Leute oft mit, einen Biwaksack kaum.“ Auch bei Ausbildungskursen falle ihm auf, dass es beim Biwaksack auf der Ausrüstungsliste oft ein „Aha“ gäbe „und die Teilnehmer diesen erst für den Kurs kaufen.“
Verändern sich durch den Klimawandel Gefahrenlagen im Gebirge – durch mehr Steinschlag oder auch höhere Temperaturen?
„Das ist etwas, was vor allem Hochtouren ab 3000 m betrifft: Aber da sind die Auswirkungen ziemlich stark und unmittelbar zu spüren“, weiß VDBS-Experte Schmidt. „Wir haben mehr Steinschläge und Felsstürze, wir haben auch im Sommer mit immer schlechteren Verhältnissen auf den Gletschern zu rechnen. Im Frühjahr ist die Spaltensturzgefahr eine Zeit lang deutlich erhöht.“ All das bestätigt Edlinger. Aber auch Wanderer in tieferen Regionen sollten im Hochsommer den einen oder anderen Gedanken mehr aufwenden: „Sonneneinstrahlung und hohe Tagestemperaturen auch in größerer Höhe gewinnen in der Tourenplanung an Gewicht. Bin ich permanent der Sonne ausgesetzt oder kann ich vielleicht die Schattseite raufgehen? Soll ich noch etwas mehr zu trinken einpacken?“
Zusammenfassend – was ist am wichtigsten, um sicher durch den Bergsommer zu kommen?
„Gute Vorbereitung und eine defensive Herangehensweise – lieber einmal zu viel umkehren als zu wenig. Wenn man noch wenig Erfahrung für große Touren hat: sich einer professionellen Führung anvertrauen“, rät Martin Schmidt. Ganz generell: „Zeit investieren, die nötige Erfahrung vorsichtig und umsichtig sammeln.“ Martin Edlinger fügt an: „Nie auf das Wetter in der Tourenplanung vergessen. Selbst wenn ich meinen Berg kenne, wo ich unterwegs bin, werde ich mir das Wetter, die Gewittergefahr immer anschauen.“ Und: Es lohnt sich auch, Ausbildungen von Bergschulen und alpinen Vereinen in Anspruch zu nehmen.
Safety-Basics
Tourenplanung
Jede Bergtour gehört geplant – ob Wanderung, Klettersteigtour, Klettertour oder Hochtour.
- Die objektiven Kenndaten der Tour gilt es herauszufinden
- Es gilt realistisch das eigene Können und das aller Begleiter einzuschätzen
- Wetterprognose ist einzuholen
- Die für die Tour nötige Ausrüstung muss vollständig vorhanden sein
Wettercheck
Spezielle Bergwetterdienste sind als Informationsquelle die beste Wahl, etwa Wetterdienste alpiner Vereine oder von GeoSphere Austria. Beliebige Gratis-Wetterapps sind meist ungenau.
Die Hauptgefahr im Sommer sind Gewitter: Sind Wärmegewitter prognostiziert, früh aufbrechen um rechtzeitig wieder im Tal zu sein. Sind Kaltfrontgewitter (Wetterumschwünge!) angesagt, ganz auf Touren verzichten.
Vollständige Ausrüstung
Neben festen, der Tour angepassten Bergschuhen gehören im Gebirge immer ein Wetterschutz, warme Bekleidung (inkl. Haube, Handschuhe), Verpflegung/Getränke, Orientierungsmittel, das Mobiltelefon (Notrufnummer einspeichern), Erste-Hilfe-Paket und ein Biwaksack in den Rucksack.
Auf der Tour
Für Unvorhergesehenes sollen immer Reserven, zeitlich wie körperlich, vorhanden sein. Auf Tour gilt es stets, den Durchblick zu behalten, wo ich mich gerade befinde, ob ich schneller oder langsamer unterwegs bin als gedacht. Ein GPS-Track hilft dabei, soll aber nie das alleinige Orientierungsmittel sein. Tritt ein Notfall ein, gilt es kühlen Kopf zu bewahren: 1. Für eine sichere Umgebung sorgen, 2. Notruf absetzen (der Euronotruf 112 funktioniert auch ohne Netz vom eigenen Anbieter), 3. Erste Hilfe leisten.