Im Winter kann man zwiften. Oder einfach unverdrossen draußen durchfahren. So, wie es die Protagonisten der (hierzulande) kleinen, aber wachsenden Cyclocross-Szene vorleben. 

Michael Forster

Wenn es draußen kalt und nass wird, schläft bei vielen Hobbyradlern der Drang nach draußen langsam ein und die ambitionierteren Kollegen treffen sich auf Zwift und Co. Mit dem Blick auf eine weiße Wand beim Indoortraining oder im besten Fall auf den Monitor geht es, (virtuelle) Kilometer für Kilometer, durch die kalt-nassen Wintermonate, ohne sich vom Fleck zu bewegen. Aber wenn die Luft kalt ist, die Straßen nass sind und die Touren über Wege führen, die knöcheltief im Schlamm versinken – da geht die Saison der Cyclocrosser erst richtig los.

Durch Wald und Wiesen
Seit einigen Jahren kann in den heimischen Wäldern die steigende Population der Dropbars beobachtet werden. Auf dem Gravelbike haben sie sich hier ein neues Revier erobert. Diese Entwicklung hat der Querfeldeinsport aber schon lange zuvor vorweggenommen, wie Felix Schneider, Referatsleiter Cyclocross bei Cycling Austria (Österreichischer Radsportverband) erklärt: „Cyclocross entstand Anfang des 20. Jahrhunderts in Europa, als Straßenrennfahrer im Winter eine Möglichkeit suchten, um fit zu bleiben. Sie begannen, Rennen über verschiedene Geländeformen zu fahren, darunter Wiesen, Wälder und schlammige Pfade. Diese Mischung aus unterschiedlichen Untergründen und Hindernissen führte zu einem neuen Rennformat, das sowohl technisches Können als auch körperliche Stärke erfordert.“

In der Zweirad-Welt spielt der Cyclocross-Sport aber noch eine Nebenrolle – zumindest hierzulande. Im Norden Europas sind die Rundrennen durch den Gatsch und über Hindernisse ein Publikumsmagnet. „In den Benelux-Ländern wurde Cyclocross besonders beliebt, da das Terrain in diesen Regionen ideal ist – mit vielen Hügeln, Feldern und Regen, der oft schlammige Strecken schafft. Die Dichte an ländlichen Gebieten und das Radsport-Erbe der Region spielten ebenfalls eine wichtige Rolle. Belgien, insbesondere Flandern, entwickelte sich zum Zentrum des Sports und dortige Cyclocross-Stars wie Sven Nys und Wout van Aert trugen zur Popularität bei. Die Rennkultur in diesen Ländern, kombiniert mit der Begeisterung der Fans, machte Cyclocross zu einer der beliebtesten Radsportarten in der Region“, erklärt Schneider. 

Wer im Winter die Motivation aufbringt, hart zu trainieren, hat es im Frühling und Som­mer umso leichter.

Hannes Genze, CTO Centurion

Was ein Cyclocross-Rad ausmacht
Wald und Wiesen sind aber nicht der natürliche Lebensraum für einen reinrassigen Renner, darum wurden die Bikes von Generation zu Generation an die Bedürfnisse angepasst. „Entstanden sind Cyclocross Bikes in den 1950ern aus Rennrädern, auf die man andere Reifen montierte. Mit der Zeit haben sie sich immer weiter vom Rennrad wegentwickelt und sich so als erste Räder mit Scheibenbremsen und Rennradlenker etabliert“, erklärt Hannes Genze, CTO von Centurion. 

Heute ist Cyclocross noch immer ein Wettkampfsport und so sind Cyclocrosser heute Rennmaschinen für ganz besondere Ansprüche, wie der deutsche Meister im Cyclocross und MTB weiter ausführt: „Ein waschechtes Cyclocross­rad ist wirklich für den Wettkampf gemacht: spritzig in Kurven, steif im Antritt, leicht fürs Schultern und unempfindlich gegen Matsch. Ein solches Rad kauft man, um an Wettkämpfen teilzunehmen. Was auch erklärt, warum die Auswahl schrumpft. Denn die meisten Menschen möchten eben nicht ein so spezialisiertes Rad, sondern eines, das vielseitiger ist.“ 

Wer jedoch auf einem aktuellen Cyclocrosser Platz nimmt, merkt schnell, dass er hier auf dem Bike für den Sprint und nicht für die Radreise sitzt. Die sportliche Geometrie ist neben den fehlenden Aufnahmen für diverse Packtaschen auch der markanteste Unterschied zu einem Gravelbike. Beim CX-­Bike sind die Kettenstreben kürzer und das Trittlager höher verbaut. Außerdem geht auch hier, wie im MTB-Bereich, der Trend hin zur 1-fach-Kurbel. Wer ein Gravelbike besitzt und sich dennoch bei einem CX-Rennen auspowern möchte, kann das aber auch: Es muss nur die vorgegebene Reifenbreite von weniger als dreiunddreißig Millimeter erfüllt sein, um starten zu dürfen.

Die harte Schule Cyclocross
In Sachen Einschaltquoten und Besucherzahlen hinken die Cyclocross, kurz: CX-Events zwar den Grand Tours noch weit hinterher, die Stars der Szene sind aber nicht nur unter den enthusiastischen Hardcore-Fans bekannt. Denn die langjährigen Dominatoren der Rennen in Benelux heißen unter anderem Wout van Aert, Mathieu van der Poel oder Thomas Pidcock. Von der harten Schule des Cyclocross profitieren sie den Rest der Saison. 

„Cyclocross ist eine sehr abwechslungsreiche und fordernde und gleichzeitig sehr ehrliche Disziplin. Man muss verschiedene Dinge mitbringen, um erfolgreich zu sein: Spritzigkeit, Fahrtechnik, Taktik und die Bereitschaft, über die gesamte Renndauer am Limit zu fahren. Man muss sich jeden Meter erarbeiten und niemand gewinnt per Zufall“, erklärt Hannes Genze. Für den ehemaligen MTB-Profi mit besonderer Cyclocross-Affinität liegt darin auch die Faszination: „Es ist die Härte zu sich selbst, im Wettkampf wie im Training. Cyclocross findet im Winter statt. Wer da die Motivation aufbringt, hart zu trainieren, hat es im Frühjahr und Sommer umso leichter. Das zweite ist die Vielseitigkeit des Cyclocrosssports. Bikehandling, Schnellkraft und eine hohe anaerobe Leistungsfähigkeit sind Key-Faktoren, die gepaart mit – leicht erlernbarer – Grundlagenausdauerfähigkeit diese Fahrer zu prägenden Figuren im Straßenmetier machen.“

Gatschpiste vs. Pistengaudi
Cyclocross hat sich also in den Niederlanden oder Belgien als Wintersportart etabliert. Der im Alpenraum dominante Skisport in den verschiedensten Ausprägungen lässt dagegen nur wenig Platz für alternative Events – darum steckt der Radsport im Winter hierzulande noch in den Kindesschuhen, wie Nadja Heigl, amtierende österreichische Meisterin im Cyclocross, bestätigt. Auch sie verweist auf die Weltstars als Zugpferde: „Der Cyclocrosssport hat es in Österreich schwer, aber in den letzten Jahren tut sich etwas und immer mehr, auch jüngere Starter kommen dazu. Vor allem Mathieu van der Poel, Wout van Aert und Thomas Pidcock haben damit zu tun, schließlich haben alle drei im Cyclocross ihre ersten Erfolge gefeiert und fahren es immer noch.“ Heigl freut sich etwa, dass Valentin Hofer aktuell Junioren Vize-Europermeister in Spanien wurde. 

Maria Lechner, die seit der Saison 2019/2020 in der Frauenelite am Start ist, ergänzt: „Die Anzahl der Rennen in Österreich mag im Vergleich zu anderen Ländern geringer sein, aber die Veranstaltungen, die es gibt, sind richtig gut organisiert. Es gibt neben Trainingsrennen auch nationale Rennen, bei denen jeder zeigen kann, was er oder sie drauf hat. Bei den Rennen trifft man auf starke Konkurrenz. Aber es geht nicht nur um den Sieg, sondern auch um die persönliche Herausforderung und den besonderen Flair, den man nur bei Cyclocross-Rennen erlebt. Es ist eine kleine, leidenschaftliche Szene, die jedes Rennen zum gemeinsamen Erlebnis macht.“

Graveler go Cyclocross
Mit kürzeren Wintern könnten sich abenteuerlustige Gravelbiker im Winter auch im Cyclocross auspowern und den einen oder anderen Renneinsatz anstreben, denn, so Maria Lechner: „Der Trainingsaufwand bleibt überschaubar bei einer Renndauer zwischen 40 und 60 Minuten. Das macht es einfacher, das Training in den Alltag zu integrieren. Ideal für alle, die nicht endlose Stunden auf dem Rad verbringen wollen, aber trotzdem ordentlich Gas geben möchten.“ Cyclocross-Potenzial sieht sie auch im Frauenradsport: „Einige Initiativen haben hier Pionierarbeit geleistet, um mehr Frauen in den Sport zu bringen. Sie haben gezeigt, dass Cyclocross keineswegs nur ein Männerding ist, sondern eine Sportart, die allen offensteht, um sich auf Augenhöhe zu messen und das Beste aus sich herauszuholen.“

Eine positive Wechselwirkung zwischen Cyclocross und Gravel-Trend hält Lechner durchaus für möglich: „Viele Gravelbiker entdecken gerade den Spaß, mit Rennlenker abseits asphaltierter Straßen zu fahren. Das könnte ihnen einen Vorgeschmack darauf geben, was Cyclocross ausmacht: unwegsames Gelände, unterschiedliche Bodenverhältnisse, Gatsch, Hindernisse, Laufen mit dem Rad auf der Schulter – das ganze Spektakel eben.“

Regen und Kälte sind ein Ansporn
Nadja Heigl, 28, 11-fache Österreichische Meisterin im ­Cyclocross, im Talk über ihre Sportart.

Woher kam der Impuls für Cyclocross?
Radsport mache ich mein Leben lang und zum MTB, Rennrad und Bahnrad kam irgendwann Cyclo­cross im Winter dazu. Anfangs für die Technik, als Training im Winter und  für den Spaß, ein paar lokale Rennen zu bestreiten. Die Erfolge am Cyclocross sind mehr geworden, gleichzeitig wurden sie am MTB weniger. Kälte und Regen haben mir nie viel ausgemacht, im Gegenteil, da war ich immer gut unterwegs.

Wie sieht deine Saisonplanung aus?
Die Cyclocross-Saison geht von Oktober bis Februar und die wichtigsten und größten Rennen finden um die Weihnachts-Feiertage in Benelux statt. Mit mehreren Weltcups und anderen hochkarätigen Rennen. Zumeist sind das 6–8 Rennen in 10 Tagen. Die Weltmeisterschaft Anfang Februar bildet für mich immer den Abschluss der Saison – davor gilt es im Oktober und November viele Weltranglisten-Punkte für eine gute Startposition zu sammeln.

Muss man, um im CX-Sport erfolgreich zu sein, in den beiden Welten MTB und Straße gleichermaßen zu Hause sein?
Als guter Cyclocross Fahrer ist man ein vielseitiger Radsportler und kann da auch leichter zwischen den Disziplinen wechseln. Ich persönlich mag die Abwechslung zwischen den Rädern bzw. den Disziplinen. Nur eines ist für mich eher eintönig.