Mit seinen Bildern zeigt uns der von Norrøna unterstützte Polarforscher Sebastian Copeland, wie schön die Natur ist. Ein Gespräch über die Rolle des Menschen auf der Erde – über extreme Expeditionen und die Magie der Kälte.
Sebastian, was war das erste Abenteuer deines Lebens?
Mein Großvater lebte in Swasiland, und mit ihm erlebte ich meine ersten Safaris. Damals war ich elf. Mein Vater liebte es zu segeln und nahm mich schon früh mit auf den Ozean. Diese Eindrücke haben wohl meine Lust auf Abenteuer geweckt.
Wann hast du erstmals das Gefühl gehabt in Gefahr zu sein?
Ich war 13, als ich auf Korsika eine Klippe nach oben kletterte. Es wurde steiler und steiler, ich kletterte weiter, bis ich nicht mehr vor und zurück kam. Ich hing gute 30 Meter hoch in den Felsen. Um mich aus meiner misslichen Lage zu befreien, sprang ich auf einen kleinen Felsabsatz. Das hätte schief gehen können. Aber ich spürte das Adrenalin, und ich weiß noch, dass es mir gefiel. Ich wollte mehr davon.
In deinem Leben geht es darum, die Komfortzone zu verlassen. Wonach suchst du?
Bei den Erfahrungen, nach denen ich suche, geht es immer um eine enge Verbindung zur Natur. Wenn es nur das Adrenalin wäre, könnte ich auch in einen Boxring steigen, um mich dort verprügeln zu lassen. Für mich geht es um das Gefühl des Ausgesetzseins in großen Räumen, in der Weite, im Unbekannten. Als Teenager las ich Bücher von Jack London und Jules Verne. Später verschlang ich Biographien von Roald Amundsen, Robert Scott und Ernest Shackleton. Zu dieser Zeit fasste ich den Entschluss, Polarforscher zu werden.
Wie wird man Polarforscher?
Das ist in der Tat gar nicht so einfach. Expeditionen sind sehr teuer. Der typische Polarforscher kommt aus reicher Familie … oder aus Norwegen. Ich habe in Kalifornien Gletscherwissenschaften studiert und mir mein Studium als Fotograf finanziert. Das lief gut, ich fotografierte Werbekampagnen und Promis in Hollywood. Aber es war nicht das, wofür mein Herz schlug. Schließlich verbrachte ich drei Monate als Fotograf auf einem Eisbrecher, der zu wissenschaftlichen Zwecken in der Antarktis unterwegs war. Als ich dort unten hautnah die Natur erlebte, war es endgültig um mich geschehen. Nun wollte ich wirklich nichts anderes mehr machen.
Warum zieht dich die Kälte so magisch an?
Vielleicht, weil man dort keine Menschen trifft? Unsere Städte sind so unnatürlich, so künstlich. Ich möchte meine Seele mit der Natur verbinden, das wahre Leben spüren und nahe bei mir selbst sein. Wenn du deine Ruhe haben möchtest, dann ist das Eis ein ziemlich geeigneter Ort dafür.
Was hat dich die Natur gelehrt?
Das Erste, was ich gelernt habe ist: Natur zeigt keine Empathie. Wenn du in den Polarregionen unterwegs bist, realisierst du schnell, wie dünn die Linie zwischen dem Überleben und dem Ende deiner Existenz ist. Es ist ein schmaler Grat. Deshalb musst du sehr ernsthaft vorgehen. In der Vorbereitung, in jeder Entscheidung und jeder deiner Bewegungen. Dein Gaskocher gibt den Geist auf, ein Schneesturm weht dein Zelt weg, du trittst in eine Gletscherspalte: All dies kann den sicheren Tod bedeuten.
Was ist so schön daran, sich solchen Gefahren auszusetzen?
Erst einmal versuche ich, die Gefahr so gering wie möglich zu halten, indem ich die Variablen, die ich beeinflussen kann, unter Kontrolle zu halten. Dennoch erlebst du die pure Kraft der Natur, und das ist eine gute Sache. Es macht dich demütig. Es öffnet dir die Augen, in was für entfremdeten Blasen wir in unserer heutigen Zeit leben.
Nämlich?
Der Strom kommt aus der Steckdose, das Essen aus dem Kühlschrank, und unseren Abfall schmeißen wir in die Mülltonne. Dafür zahlen wir Geld. Fertig. Die Herausforderungen unseres Alltags sind nur noch eine Rechnung in einem Briefumschlag. Mit dem echten Leben hat das nicht mehr viel zu tun. Unsere Art zu leben, wird nicht von Dauer sein. Ich möchte jetzt nicht behaupten, dass die menschliche Spezies verschwinden wird. Aber es wird zunehmend schwer für uns werden. Ich mache mir Gedanken darüber, welche Rolle wir als Menschen auf diesem Planeten einnehmen. Wie wir unsere negative Beziehung zur Natur wieder in etwas Positives verwandeln.
Du erlebst die pure Kraft der Natur. Das ist eine gute Sache. Es zeigt dir, in welch entfremdeten Blasen wir leben.
Wo sollen wir anfangen?
Ich persönlich versuche, mit meiner Arbeit Unternehmer und Politiker zu erreichen. Meine Botschaft ist dabei relativ simpel: Natur hat eine Sprache. Nur wenn wir es lernen, diese Sprache zu sprechen, können wir in Harmonie miteinander leben. Wir werden nicht alles erfassen, aber wir können versuchen, soviel wie möglich zu verstehen. Die Natur ist stark und gleichzeitig verletzlich. Nicht, dass wir sie verletzen könnten. Aber wir können sie verändern, und leider sind wir abhängig von ihr. Die Natur hat kein Bewusstsein, ihr ist egal, ob es eiskalt ist oder schrecklich heiß. Ob es genug Wasser für uns Menschen gibt oder nicht. Die Sprache lernen, um zuhören zu können, was die Natur uns mitteilt: das ist es, was ich versuche zu tun. Indem ich Daten analysiere, wie das abschmelzende Eis unsere Umwelt beeinflusst. Das mache ich als Fotograf und Klimaadvokat.
Siehst du uns Menschen noch als Teil der Natur? Oder sind wir auf diesem Planeten zu Fremdkörpern geworden?
Wir machen große Fortschritte, aber das Ausmaß unseres negativen Einflusses auf die Natur wird trotzdem immer größer. Es ist wie auf einem Laufband. Wir laufen schnell, aber das Band läuft noch schneller. Deshalb verlieren wir weiter an Boden. Im Jahr 1972 hat der Club of Rome seinen Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ vorgelegt. Seitdem wissen wir, dass wir nicht mehr und mehr konsumieren können, weil die Erde das nicht hergibt. Im Jahr 2018 war die Welt zu 9,2 Prozent zirkulär. Heute ist sie nur noch zu 7,1 Prozent zirkulär. Weil mehr Menschen Zugang zu Konsum haben und mehr Unternehmen mehr Produkte herstellen. Wenn ich auf die Frage antworten soll, ob wir als Menschen so etwas wie eine antagonistische, von der Natur entfremdete Spezies sind, dann würde ich leider sagen: ja, das sind wir.
Glaubst du, wir haben die intellektuellen und technischen Fähigkeiten, das Steuer herumzureißen?
Wir haben die notwendigen Fähigkeiten. Aber sie kollidieren mit der Gier nach Konsum, Geld und Macht. Unser heutiges Leben ist für viele großartig und wir lieben es. Das Zeitalter der fossilen Brennstoffe hat uns Wohlstand beschert. Aber die Realität ist, dass es dafür einen Preis zu bezahlen gilt. Darauf versuche ich mit meiner Arbeit aufmerksam zu machen.
Welche deiner vielen Erfahrungen war die wichtigste?
Die Expedition zum Nordpol 2009 … genau 100 Jahre nachdem Admiral Robert Peary im Jahr 1909 als erster Mensch den Nordpol zu Fuß erreichte. Es war eines meiner großen Lebensziele. Und in meinen Augen war es auch das anspruchsvollste Ziel. Bis heute haben den Nordpol nur etwas mehr als 200 Menschen auf dem Landweg erreicht.
Was macht die Reise zum Nordpol so kompliziert?
Das Eis bewegt sich konstant, du befindest dich faktisch nicht auf Festland, sondern auf dem gefrorenen Meer. Driftet es auseinander, bricht es. Wenn es sich unter Druck zusammenschiebt, entstehen meterhohe Kämme aus Eis. Du musst hindurchnavigieren oder drüberklettern. Hinzukommt die konkrete Bedrohung durch Eisbären. Gletscherspalten und heftige Stürme gibt es auch in der Antarktis oder im Himalaya, aber die Arktis ist für mich die extremste Umgebung. Der Fußweg zum Nordpol ist aber auch deshalb so relevant für mich, weil man ihn nicht mehr lange unternehmen kann.
Weil das Eis schmilzt?
Ja, das Eis wird immer dünner, bewegt sich mit weniger Volumen und deshalb schneller. Es türmt höhere Eiskämme auf und bricht häufiger. Das Zeitfenster, um an den Nordpol zu gelangen, wird immer kleiner. Derzeit liegt es zwischen Ende Februar und Mitte April.
Was geschieht, wenn man sich verkalkuliert?
Eine Rettung ist schwierig bis unmöglich. In der Antarktis kannst du per Satellitentelefon ein Flugzeug rufen, das dich wahrscheinlich innerhalb von 24 Stunden erreicht. In der Arktis kann es zwei bis drei Wochen dauern, bis die Bedingungen eine erfolgreiche Rettungsmission zulassen. Und es ist nicht gesagt, dass man dich von dort, wo du bist, überhaupt abholen kann.
Ein Jahr nach deiner Nordpolexpedition hast du mit deinem Partner Eric McNair-Landry Grönland von Süden nach Norden durchquert. Dabei habt ihr euch auf Ski von einem Kite ziehen lassen. Hat das Spaß gemacht?
Ja, das kann man so sagen. Die Expedition ging über 2300 Kilometer und dauerte nur 44 Tage. Es lag viel Schnee, die Sonne hat den Boden teilweise angenehm weich gemacht, und so sind wir gut vorangekommen. Wir haben sogar einen Kite-Weltrekord aufgestellt: mit 595 zurückgelegten Kilometern in 24 Stunden.
Nur wenn die Menschen die Schönheit der Natur vor Augen haben, werden sie einen Grund sehen, all dies zu erhalten.
Trotz deiner Liebe zum Eis hast du auch einen Ausflug in die Hitze gewagt. In der Simpson-Wüste im australischen Outback habt ihr ebenso einen Rekord aufgestellt, mit der längsten Breitengradüberquerung zu Fuß und ohne motorisierte Unterstützung.
Ich hatte zuvor noch eine kleinere Durchquerung der Sahara unternommen, aber diese Expedition war in Sachen Hitze die brutalste. Wir waren im Winter unterwegs, nachts lagen die Temperaturen nur knapp über dem Gefrierpunkt, während es tagsüber mehr als 40 Grad hatte. Die Simpson ist komplett von Dünen durchzogen, die zwar nur 20 bis 30 Meter hoch sind, aber du läufst konstant nach oben oder nach unten. Wir haben unser Wasser auf einem Schlitten hinter uns hergezogen. Du sinkst bei jedem Schritt tief in den Sand ein. Am Ende hatte ich ein grenzwertiges Nierenversagen wegen Dehydrierung. Ich würde die Kälte wirklich jederzeit gegenüber der Hitze bevorzugen.
Was hat dich in deinem Leben am meisten beeindruckt?
Die Schönheit der Natur. Und als Fotograf möchte ich diese Schönheit anderen Menschen nahebringen. Nur, wenn die Menschen die Natur vor Augen haben, wenn sie sich in ihre Schönheit verlieben und erfassen wie fragil sie ist, werden sie einen Grund sehen, all dies zu erhalten. Sonst heißt es beim Abendessen: Ja, das mit dem Klimawandel ist wirklich schlimm, aber … kannst du mir bitte mal den Senf reichen?
Was ist der schönste Platz auf Erden?
Für mich ist es das Eis. Wenn du einen Eisberg siehst, wie er sich bewegt, wie dynamisch er ist, dann glaubst du beinahe, er wäre lebendig. Der Lebenszyklus hat Ähnlichkeit mit dem unseren: Eis wird aus Wasser geboren, interagiert während seines Lebens mit anderen Elementen, eines Tages schmilzt es im Meer, und gewinnt seine ursprüngliche Form zurück, um daraus etwas Neues entstehen zu lassen. Ich liebe die Form, die Architektur der Natur. Eis ist gigantisch, so fremd und gleichzeitig einfach da, so superreal. Es wäre wirklich schön, wenn es uns gelänge, doch noch zu koexistieren.