Hier schreiben die Athleten: Skisprung-Routinier Michael Hayböck über selbst gebaute Schanzen, den Traum vom Fliegen und in welchem Punkt er sich mit seinem Freund und Zimmerpartner Stefan Kraft überhaupt nicht einig ist.
Gott sei Dank war ich vor 15 Jahren Kind und nicht heute. Damals lag nämlich noch regelmäßig Schnee in Kirchberg-Thening, wo ich mit meinen Brüdern aufgewachsen bin. Ganz in der Nähe unseres Elternhauses gab es eine große Wiese und der Deal mit dem Besitzer war: Wir mähen im Sommer das Gras, dafür dürfen wir uns im Winter dort eine Sprungschanze bauen. Immer, wenn der Sommer zu Ende ging, haben unsere Bauarbeiten damit angefangen, dass wir die Wiese auf einen Zentimeter gemäht haben und mit Erde einen Hügel aufgeschüttet haben, der uns als Anlauf dienen sollte. Sobald die ersten Flocken fielen, haben wir die Schanze präpariert und den Auslauf mit Tannenzweigen geschmückt, wie wir es von den echten Schanzen kannten. Jeden Meter eine Linie, um die Weite gut messen zu können. Und dann ging es los! Erst auf Alpin-ski, aber wir haben schnell gemerkt, dass wir uns mit Langlaufski leichtertun. Mit den dünnen Latten war es zwar schwieriger zu landen, aber wir mussten dabei nicht die klobigen Skischuhe tragen, die fast bis zu den Knien gingen, und hatten keine starre Bindung. Der Hayböck-Rekord, um den vor allem mein eineinhalb Jahre älterer Bruder Stefan und ich ritterten, lag bei über acht Metern. Keine schlechte Vorbereitung für das, was später auf mich zukommen sollte.
Fasziniert vom Fliegen bin ich, seit ich denken kann.
Fasziniert vom Fliegen bin ich, seit ich denken kann. Wenn es in den Urlaub ging, habe ich mich immer auf den Flug gefreut, das ist bis heute so. 2013 habe ich den Privatflugschein erworben und es gehört mittlerweile zu unserer Familientradition, dass Rundflüge mit mir verschenkt werden. Ein fantastisches Gefühl, über das Seengebiet Salzburg/Oberösterreich zu kreisen, auch von oben eine extrem schöne Gegend. Ich kann mir gut vorstellen, dass ich nach meiner Karriere dieses Hobby zum Beruf mache und Pilot werde. Wobei ich mittlerweile weiß, dass es nicht der familienfreundlichste Job ist, dessen Bedingungen durch die Konkurrenz der Billigairlines immer schlechter werden. Aber ich habe ja noch Zeit, mir das zu überlegen. Beruflich fliegen kann ich ja jetzt auch, und wenn ich auf meine bisherige Karriere zurückblicke, macht mich vor allem die Konstanz stolz, mit der ich mich im Kreis der besten Springer der Welt bewege. Okay, mir fehlt vielleicht der ganz große Wurf bei einem Einzelspringen, bei der Tournee wurde ich „nur“ Zweiter und Dritter, bei Olympia und Weltmeisterschaften war ich „nur“ mit der Mannschaft ganz vorne.
Aber ich jammere dem bestimmt nicht hinterher, dafür bin ich viel zu dankbar für das, was ich erreicht habe. Gerade in unserer Sportart ist es absolut nicht selbstverständlich, dass man für den großen Aufwand, den man betreibt, auch belohnt wird. In dem Zusammenhang möchte ich meine lange Zusammenarbeit mit Patrick Murnig erwähnen, der mir immer ein wichtiger Inputgeber von außen war und ist und zu den Konstanten in meiner Karriere gehört, ohne die es wohl nicht möglich gewesen wäre, so lange auf diesem Niveau dabei zu sein. Skispringen gehört bekanntlich zu den komplexesten Sportarten und wird die auch von äußeren Einflüssen bestimmt. Eine Tatsache, über die ich mir allerdings nie wirklich Gedanken gemacht habe, da ich es ja ohnehin nicht beeinflussen kann. Da bin ich pragmatisch. Ich vergleiche es gerne mit Golf, meiner zweiten sportlichen Liebe, der ich nachgehe, sooft es die knappe Zeit erlaubt. Es spielt sich extrem viel im Kopf ab, mit Kraft erreichst du viel weniger als mit der richtigen Technik.
Mein Ziel ist es, dass ich Krafti so oft wie möglich ärgern kann. Er ist ja so erfolgsverwöhnt, er hält das schon aus.
Wenn du beim Golfen darüber nachdenkst, jetzt muss ich den Schwung so oder so machen, dann triffst du die Kugel nicht vernünftig. Wenn du es aber spürst, wenn es im Bauch drin ist und sich richtig anfühlt, dann fliegt der Ball einfach. Das ist beim Skispringen genauso. In den vergangenen zwei Jahren, das muss ich zugeben, ist mir das gute Gefühl etwas abhandengekommen. Deshalb hab ich nach der letzten Saison einen Schlussstrich gezogen. Ich habe gemerkt: In der Technik haben sich ein paar Fehler eingeschlichen, beim Material war ich nicht mehr auf dem neuesten Stand. Also habe ich in diesem Sommer ein paar Dinge anders gemacht. Nicht im Sinne einer Revolution, aber doch in Form von vielen kleinen Schritten, mit denen ich wieder in die Lage kommen will, konstant vorne mitzuspringen. Mal 8. und mal 35., das ist nicht mein Anspruch und macht auch nicht wirklich Spaß. Um ein paar Beispiele zu nennen: Ich habe erstmals eine persönliche Fitnesstrainerin engagiert, um ganz gezielt Muskelgruppen ansteuern zu können.
Beim Material hat mich Cheftrainer Andreas Felder darauf aufmerksam gemacht, dass meine Stablänge an der Bindung zu groß ist, es mir deswegen an Stabilität fehlt. Eine Umstellung, die einfacher klingt, als sie ist. Und bei der Technik hat es sich so entwickelt, dass der Absprung extrem ausbalanciert sein muss, damit sich das System ganz schnell schließt und man sofort im Flug ist. So wie es Ryoyu Kobayashi zuletzt perfektioniert hat. Dort hatte ich große Reserven. Alles Dinge, die im Gesamtpaket dafür sorgen sollen, dass die Tendenz wieder nachhaltig nach oben geht. Ob es wirklich klappt, weiß man allerdings erst dann, wenn die Weltcupspringen losgehen. Wobei es schon ein riesengroßer Vorteil ist, wenn du einen Typen wie Stefan Kraft in deinem Team hast, der dir als Gradmesser dient, wo du selbst gerade stehst. Lange Zeit war es zwischen uns ein Match auf Augenhöhe, mal war ich vorne, mal er. In den letzten zwei Jahren hat er seinen Status als Nummer 1 mit herausragenden Leistungen gefestigt und immer wieder die Fahne für Österreich hochgehalten. Allergrößten Respekt, Stefan! Was allerdings nicht bedeutet, dass es auch in Zukunft so sein muss.
Bei den Staatsmeisterschaften im Oktober hab ich den Titel abgeräumt, Krafti ging dagegen leer aus. Mein Ziel ist, dass ich ihn im kommenden Jahr so oft wie möglich ärgern kann. Er ist ja so erfolgsverwöhnt, er hält das schon aus. Wobei ich betonen möchte, dass es zwischen uns ein äußerst freundschaftliches Miteinander ist. Wenn wir unterwegs sind, teilen wir uns ein Zimmer, plaudern über Gott und die Welt, spielen etwas oder schauen gemeinsam Serien. Und egal, was tagsüber passiert ist – wir schaffen es immer, uns gegenseitig so aufzubauen, dass jeder am Abend wieder gut drauf ist. Nur bei einem sind wir uns überhaupt nicht einig. Während ich großer Barca-Fan bin, drückt Krafti dem FC Bayern die Daumen. Für mich natürlich völlig unverständlich. Ich habe ihm jedenfalls die Wette angeboten, dass heuer Dortmund in der deutschen Bundesliga die Nase vorn hat. Kann ja nicht schaden, wenn nicht immer dieselben Gesichter ganz oben stehen ...;-)