Auf dem Großglockner begann die Liebe zu den Bergen. Heute zählt der Osttiroler Vittorio Messini zu den besten Alpinisten seiner Region – der trotz unterschiedlichster Routen immer wieder das gleiche Ziel vor Augen hat: einen Moment, der bleibt.
Vitto, mit 10 Jahren bist du zum ersten Mal auf dem Großglockner gestanden. Was ging in dir vor?
Mein Vater und ich waren mit einem Bergführer aus Heiligenblut aufgestiegen. Er setzte Pickel und Steigeisen so gekonnt ein, brachte uns souverän nach oben und wieder runter. Das hat mir unglaublich imponiert. Hinzu kam das Erlebnis am Berg, diese Weite und diese Größe. Ich denke, dass ich an diesem Tag entschieden habe, später einmal Bergführer zu werden.
Wie oft hast du den Großglockner bis heute begangen?
Knapp 200-mal. Es gibt aber viele Menschen, die öfter oben waren.
Hast du eine besondere Verbindung zu diesem Berg?
Für mich ist und bleibt der Großglockner ein wunderschöner Berg und man kennt sich natürlich von allen Seiten und zu allen Jahreszeiten. Morgen geht’s auch schon wieder hoch auf die Stüdlhütte, über den „Südwandwächter“ – eine Mixedroute aus Eis und Fels, die ich gemeinsam mit meinem Partner Matthias Wurzer eröffnet habe. Die Route führen wir inzwischen auch gerne mit Gästen.
Du bist studierter Geologe: Ist ein Berg für dich eine Formation aus Gestein oder hat das auch etwas Spirituelles?
Manche Orte gefallen mir besonders gut, aber generell betrachte ich einen Berg eher von der nüchternen, naturwissenschaftlichen Seite.
Ist ein Gipfel im Himalaya nicht irgendwie magischer als einer in den Alpen?
Es gibt definitiv große Unterschiede! Diese werden aber durch die Umgebung bestimmt, durch Wetter, Klima, Vegetation und Menschen. In Patagonien ist die Luft nicht so feucht wie in den Alpen. Folglich wachsen hier andere Pflanzen, es ist ein anderer Duft. Beim Eiskletten in Kanada kannst du kaum glauben, dass es minus 20 Grad hat, weil die Luft extrem trocken ist. Und als wir am Shivling im indischen Teil des Himalaya waren, sind wir mit Tausenden Pilgern hinein ins Gangestal gelaufen. All dies sind Erlebnisse und Gefühle, die für uns etwas Fremdartiges in sich tragen und ihre eigene Stimmung erzeugen.
Am 6543 Meter hohen Shivling hast du 2017 mit Simon Gietl eine neue Route geklettert: Shiva’s Ice führt 1500 Meter durch Fels und Eis. Wie fällt die Entscheidung für so eine Route?
Eigentlich wollten wir die von Thomas Huber erstbegangene Shiva’s Line wiederholen. Vor Ort stellten wir fest, dass viel zu viel Schnee in der Wand hängt. Links daneben stach uns eine Eislinie ins Auge, die sind wir hoch, um oben wieder in Shiva’s Line zu kommen. Dort folgt aber eine Passage zum technischen Klettern, und dafür war es zu kalt. Also sind wir oben rechts raus in die sogenannte Japanerroute. Am Ende ergab sich daraus eine neue Route, die wir Shiva’s Ice getauft haben. Der untere Teil war neu, der obere bereits begangen. Wir sind in zweieinhalb Tagen rauf und runter, hatten bestes Wetter und sind viel früher zurück geflogen als gedacht.
Was ist dir lieber: Fels oder Eis?
Die Mischung macht’s! Je nach Jahreszeit ändert sich die Beschaffenheit. Das bietet einem immer wieder eine neue Herausforderung
Mit Anfang 20 hast du die Nordwände von Eiger, Matterhorn und Grandes Jorasses durchstiegen. Haben Nordwände eine spezielle Anziehungskraft?
Es gibt auch spannende Südwände, zum Beispiel an der Marmolata. Aber generell sind die Nordwände in den Alpen die höchsten und schwierigsten, sie haben einen speziellen Mythos.
Hat man diesen Mythos in der Wand vor Augen? Oder ist man voll aufs Klettern fokussiert?
Man hat schon Respekt vor dem, was in diesen Wänden geschehen ist. Wenn die Bedingungen vor Ort gut sind, hat man aber in erster Linie Spaß. Dabei ist es übrigens von größter Bedeutung, einen verlässlichen Partner zu haben. Ich bin kein Solokletterer, sondern mit Partnern unterwegs. Für mich ist dies Teil des Bergsteigens und auch immer ein wichtiger Teil des Begehungserfolges.
2018 hast du mit deinem Partner Simon Gietl die Nordwände von Ortler, Kleiner Zinne und Großglockner in 47 Stunden durchstiegen, dazwischen seid ihr 400 Kilometer mit dem Rad gefahren. Wie kam’s dazu?
Inspiriert war das von einer Aktion von Hanspeter Eisendle und Hans Kammerlander, die Ortler und Große Zinne am Stück durchstiegen haben. Wir dachten uns: Machen wir drei draus – und nehmen den Großglockner dazu.
Was habt ihr erlebt?
Die Wahl des richtigen Zeitpunktes war das entscheidende Thema. Die Nordwand des Ortlers im Juli zu durchsteigen, wäre zum Beispiel glatter Selbstmord. Es musste kühl genug sein, damit die Nordwände nicht so steinschlagig sind – und dennoch warm genug zum Felsklettern. Ganz aufgegangen ist es dann doch nicht. Die Nordwand der Großen Zinne konnten wir nicht klettern, weil es zu nass war, deshalb wurde es dann die Gelbe Kante der Kleinen Zinne.
Und wie war’s im Sattel?
Rücken und Gesäß haben sich schon ein wenig beschwert. Aber wir hatten ein Team dabei, das unser Klettermaterial transportiert und uns mit Essen versorgt hat.
Gibt’s da Riegel? Oder eher Wurstsemmel?
Mir sind Trockenfrüchte immer sehr recht. Am Landrosee am Dreizinnenblick hat’s dann aber schon mal einen Teller Nudeln und ein alkoholfreies Weizen gebraucht.
Was gibt dir so eine Tour?
Dass man sich noch Jahre danach daran erinnern kann. Es sind Momente, die bleiben. Hinzu kommt der Reiz, nicht nur eine Wand zu klettern, sondern zu wissen: Ich bin fit genug für mehrere Wände hintereinander.
Habt ihr in den 47 Stunden auch mal geschlafen?
Am zweiten Tag, kurz vor Heiligenblut, sind die Augenlider so schwer geworden, dass wir uns für ein Powernap in den Begleitbus gesetzt haben. Nach einer Viertelstunde hat der Wecker geklingelt und weiter ging’s.
Hat’s das gebracht?
Voll! Ich dachte, wir wachen gerädert wieder auf. Aber es ging dann viel, viel besser. Erstaunlich, wie effektiv der Körper eine Viertelstunde nutzen kann. Auch das war eine interessante Erfahrung.
Kannst du sagen, welche Erfahrung unter all deinen Projekten bis heute herausragt?
Jede Reise, jede Tour steht für sich. Es sind so viele Momente, sei es auf dem Gipfel des Shivling oder im vergangenen Jahr eine kurze aber harte Mixed-Route an einem Eisfall in Kanada. Das Gefühl auf dem Cerro Torre zu stehen war natürlich unvergesslich. Ich erinnere mich aber ebenso gut daran, wie ich nach fünf Tagen meine Frau und meine Kinder in den Arm genommen habe, die an der Straße parkten und mich dort empfangen haben. Für mich war dies ein gleichwertiger Moment wie oben auf dem Torre zu stehen.