Die traurige Nachricht vom Tod der Ausnahme-Bergsteiger David Lama, Hansjörg Auer und Jess Roskelley macht uns sprachlos. Unser aufrichtiges Beileid und tiefes Mitgefühl gilt der Familie und den Freunden der Verstorbenen.
Im Jahr 2018 hatten wir die große Ehre, ein Interview mit dem Sportkletterer David Lama in unserem Magazin und auf unserer Website zu veröffentlichen. DANKE, David – ihr werdet uns immer in Erinnerung bleiben!
Er sieht Linien, wo wir nur eine Felswand erkennen. Dann sucht er nach Problemen, um sie auf möglichst einfache Weise zu lösen. David Lama hat in jungen Jahren seinen Stil gefunden. Weil ihm Haltung schon immer wichtig war.
von Axel Rabenstein
Veröffentlicht am 12.07.2018.
David, was siehst du, wenn du vor einem Berg stehst?
Einen Berg. Eine Formation aus Schotter und Stein. Die Menschen projizieren gerne ihre eigene Romantik oder Sehnsüchte auf einen Berg, aber ich sehe vor allem Strukturen, die mir verraten, ob ich einen Weg finden kann, den Berg zu besteigen.
Dein Mentor Peter Habeler soll von deinem ‚Gefühl für Fels’ geschwärmt haben, als du gerade mal fünf Jahre alt warst. Was hat er damit gemeint?
Damit meinte er vielleicht die Fähigkeit, einen Berg oder eine Felsstruktur zu lesen. Es hat viel mit Vorstellungskraft zu tun, wie man die natürlichen Gegebenheiten zu einer Linie und einer geeigneten Route zusammenführt.
Dein Vater ist Nepalese, hat als Trekking-Guide gearbeitet. Wurde dir die Nähe zu den Bergen in die Wiege gelegt?
In die Wiege vielleicht noch nicht. Aber es ist von Bedeutung, was einem in frühen Jahren mitgegeben wird. Von meinen Eltern habe ich die Verbundenheit zu den Bergen erlernt. Schon als Kind war ich in Nepal, zu Hause in Tirol sind wir viel in den Bergen unterwegs gewesen. Ich denke, dass dies mein Auge für den Alpinismus geschult hat, wo man raufkommt – und wo man nicht raufkommt.
Was macht Alpinismus für dich aus?
Ich denke, Alpinismus ist eine freie Disziplin ohne festgeschriebene Regeln. Natürlich gibt es Grundsätze, aber du kannst dir aussuchen, auf welche Weise du einen Berg besteigen möchtest. Du selbst legst den Stil fest. Deshalb ist Alpinismus für mich nicht nur eine Haltung gegenüber einem Berg. Sondern auch eine Haltung gegenüber sich selbst.
Das heißt?
Ich will niemandem sagen, was er in den Bergen zu tun hat und was nicht. Auch, wenn ich derzeit kein Interesse daran hätte, am Mount Everest entlang eines Fixseiles aufzusteigen, weil ich mir lieber andere Abenteuer suche. Aber was du auch tust: Wenn du für eine Besteigung einen Stil auswählst, solltest du diesen auch durchziehen. Das ist Haltung. Wenn es in einem bestimmten Stil nicht funktioniert, sollte man es akzeptieren. Ich entscheide für mich, wie ich eine Herausforderung bewältigen möchte. Und dann bleibe ich dieser Entscheidung treu.
Also nicht gleich bei der ersten problematischen Stelle einknicken?
Richtig. Es kommen immer wieder Situationen, die unüberwindbar scheinen. In solchen Momenten auf zusätzliche Hilfsmittel zurückzugreifen, hat keinen Stil. Dann kann ich auch mit dem Hubschrauber fliegen, irgendwie kommt man ja immer hoch. Deshalb ist es für den Alpinismus von entscheidender Bedeutung, seinen eigenen Stil zu verfolgen.
Ist es auch egal, ob authentischer Alpinstil oder Expeditionsstil mit Tonnen an Material und Lastenträgern?
Das kann sich jeder aussuchen. Den Cerro Torre bin ich frei geklettert, in der Sagzahn-Verschneidung bin ich zuletzt einige Passagen technisch geklettert. Es kommt darauf an, was man sich als Ziel setzt. Es gibt Diskussionen um Klettersteige und die Frage, inwieweit ein Berg erschlossen werden sollte. Ich denke, dass es in den Bergen ausreichend Platz gibt, damit alle Spielformen nebeneinander existieren können.
Beim 100-Meter-Lauf ist es einfach: Acht rennen, einer gewinnt. Beim Bergsteigen zeigen einige der besten Athleten des Planeten spektakuläre Leistungen, ohne sich wirklich vergleichen zu können. Hat das eine gewisse Tragik?
‚Tragik‘ ist vielleicht nicht das schlechteste Wort. In der Tat ist der Vergleich beim Bergsteigen nur schwer herzustellen, so viele Faktoren spielen eine Rolle. Deshalb sollte der Vergleich beim Bergsteigen auch nicht der maßgebliche Beweggrund sein. Bergsteigen ist eine historische Disziplin der Pioniere. Es geht um unseren Entdeckergeist, und damit meine ich nicht nur das geografische Entdecken, sondern auch das Erkunden entlegener Orte in uns selbst. Ich will sehen, was möglich ist. Ich möchte mich verwirklichen, meine Ideen in die Realität umsetzen. Für einen Speed-Bergsteiger ist die Zeit die Herausforderung. Bei mir ist es eben die kreative Herangehensweise.
Bleibt beim Bergsteigen am Ende nicht immer nur der eine Gegner – man selbst?
In gewisser Weise schon. Es geht um die eigene Haltung. Darum, wie der eigene Stil definiert ist. Und auf welche Grenzen man dabei stößt.
Sind diese Grenzen das Spannende am Bergsteigen?
Nicht unbedingt. Seine Grenzen zu finden, ist ja nicht besonders schwer. Wenn ich es schwer machen mag, kann ich mir einen Arm auf den Rücken binden und auf den Mount Everest steigen. Das wäre schwer. Ich will die Dinge eher einfacher machen, Lösungen für meine Probleme finden, für die Linien in meinem Kopf, die ich realisieren möchte. Sachen schwer zu machen, ist einfach. Schweres mit Leichtigkeit zu bewältigen, hat etwas Besonderes.
Wenn ein Problem unlösbar scheint: Wie behalte ich die Ruhe?
Als Bergsteiger solltest du dir nicht nur vorstellen, wie du mühelos durch eine Wand steigst. Sondern frühzeitig darüber nachdenken, wie es sich anfühlen könnte, wenn es nicht nach Plan läuft. Was mache ich, wenn mein Partner sich kurz vor dem Gipfel den Fuß bricht? Solche Visualisierungen sind wichtig, um Ruhe bewahren zu können, wenn es darauf ankommt.
Wann war so ein Moment?
Im Herbst 2016 war ich am Lunag Ri, einem der höchsten noch unbestiegenen Berge der Welt. Mein Partner Conrad Anker hat in der Wand einen Herzinfarkt erlitten, wir mussten ihn in Sicherheit bringen. Conrad wurde mit einem Hubschrauber ausgeflogen. Als klar war, dass es ihm gut ging, bin ich alleine weiter-geklettert, bis kurz unter den Gipfel, wo ich dann allerdings meine Grenzen erfahren und akzeptieren musste.
Ist man nach solchen Erlebnissen demotiviert oder umso heißer auf den nächsten Aufstieg?
Nach dieser Expedition hatte der Abenteuerhunger ein wenig nachgelassen. Grenzgänge sind mit Risiko verbunden. Dafür braucht man Motivation, das Feuer muss brennen. Manchmal fühle ich mich gesättigt. Aber für den Sommer ist eine Expedition nach Alaska geplant, auf die ich mich sehr freue.
Und dann bleibt da noch das Projekt am Masherbrum, dessen Nordostwand du mit deinen Partnern im Alpinstil besteigen möchtest.
Diese Wand ist gigantisch, wie eine Eiger-Nordwand mit einem Cerro Torre obendrauf. Als ich zum ersten Mal mit Peter Ortner dort war, waren wir überwältigt. Wir sind zweimal gescheitert. Aber natürlich wollen und werden wir es ein weiteres Mal versuchen.