Er hat die härtesten Ultraläufe gewonnen, in Rekordzeit die höchsten Gipfel bestiegen. Wie Kilian Jornet so weit gekommen ist? Indem er nach Wegen gesucht hat, die ihn weiter bringen – als nur bis ans Ziel.

Interview: Axel Rabenstein


Kilian, als du 18 Monate alt warst, haben dich deine Eltern mit in die Pyrenäen genommen, wo du auf einer Berghütte aufgewachsen bist. Welche Erinnerungen hast du an diese Zeit?
Seitdem ich mich erinnern kann, waren die Berge mein natürliches Umfeld. Als Kind waren ein paar Tage am Meer oder in einer Stadt wie ein Trip in eine andere Welt für mich.

Gab es einen Moment oder eine Zeit, in der du das Gefühl hattest, eine besondere Verbindung zu den Bergen zu entwickeln?
Überhaupt nicht, eben weil ich dort aufgewachsen bin. Mein Vater arbeitete als Bergführer und bewirtschaftete die Hütte, ich bewegte mich jeden Tag dort draußen in der Natur. Im Schnee zu spielen oder durch die Wälder zu streunen, war für mich so normal wie zu essen und zu schlafen.

Auf die Frage nach deiner Lieblingsstrecke hast du im britischen „Guardian" einmal geantwortet, der schönste Platz zum Laufen sei der „Ort des nächsten Tages". Warum ist es für dich so wichtig, neue Orte zu entdecken?
Für mich geht es darum, nicht der Vergangenheit nachzuhängen, nicht darüber nachzudenken, was ich irgendwann getan habe. Entscheidend ist doch, was ich tun möchte und tun werde. Es ist richtig und wichtig, Erfahrungen zu sammeln. Aber mindestens genauso wichtig ist es, immer wieder mit Begeisterung in einen neuen Tag zu starten. Ob ich eine neue Region erkunde, einen Gipfel besteige, ein aufregendes Rennen absolviere oder einfach nur einen harten Trainingstag auf einem Trail bei mir zu Hause einlege – keiner dieser Tage ist größer oder besonderer als einer der anderen.

Was du auch tust, es ist meistens anstrengend. Macht dir das wirklich Spaß?
Das Gefühl sportlicher Anstrengung genieße ich definitiv. Es tut gut, seine eigene Leistungsfähigkeit zu spüren. Außerdem weiß ich, dass ich meine Ziele ohne Anstrengung nicht erreichen werde. Wer sich dauerhaft in der Komfortzone aufhält, wird nichts Neues entdecken. Das Verausgaben macht mich besser. Es verschafft mir neue Möglichkeiten, zeigt mir Wege und bringt mich an Orte, die vorher vielleicht nicht erreichbar für mich waren. Orte, an denen ich etwas erlebe, was ich bis dahin nicht kannte, nicht gespürt oder nicht gesehen habe.

Um das zu finden, nimmst du viel auf dich. Was war dein bis heute längster Lauf?
Was die Distanz angeht, war das der Tahoe Rim Trail, ich denke, das sind knapp 270 Kilometer. Und dann waren da noch einige längere Touren in den Alpen, auf denen ich etwa 100 Stunden am Stück unterwegs war.

Warum macht man das?
Ganz einfach – weil ich es tun möchte! Ich bin der festen Überzeugung, dass es nicht unser Lebensinhalt sein sollte, den Pfaden anderer zu folgen. Ich möchte Wege beschreiten, die mich dem entgegenbringen, was ich liebe, was mich anzieht und bereichert.

Und wenn es dabei mal richtig weh tut?
Dann führe ich mir vor Augen, dass es meine freie Entscheidung ist, genau hier zu sein. Natürlich wäre ich manchmal gerne stehengeblieben. Immer wieder hatte ich dort draußen aber gar keine andere Option, als einfach weiterzulaufen.

Welcher Moment war besonders hart?
Da denke ich an den Western State Endurance Run, einen Ultramarathon in der kalifornischen Sierra Nevada über 100 Meilen. Die letzten 30 Kilometer des Rennens hatte ich Krämpfe am ganzen Körper und bin alle fünf Minuten hingefallen. Bis heute war es aber immer so, dass aus Momenten der Schwäche positive Gefühle entstanden sind, die mich gestärkt und weitergebracht haben.

Was würdest du anderen Sportlern empfehlen, die besser werden möchten. Solche Momente der Schwäche gezielt herbeizuführen, um sie zu überwinden?
Natürlich ist es wichtig, immer wieder an seine Grenzen zu gehen. Mir fällt aber auf, dass viele Sportler sich das Ziel setzen, nach zwei oder drei Jahren Training erfolgreich zu sein. Das kann ein zu ambitioniertes Ziel sein. Um wirklich besser zu werden, musst du viel trainieren, du brauchst die richtige Technik und natürlich auch Wettkampferfahrung. Du musst dich auf eine Reise begeben, von der du nicht genau weißt, wie lange sie dauern wird. Deshalb solltest du sie genießen. Du wirst unterwegs mal die Form verlieren. Schlechte Ergebnisse erzielen. Nach ein paar Jahren wirst du die Früchte deiner Arbeit ernten. Aber das kann dauern. Was du als Ausdauersportler brauchst, ist Motivation, Konstanz und Geduld.

Du hältst den Rekord für den schnellsten Auf- und Abstieg am Matterhorn, Montblanc, Denali und Mount Everest. Welcher Gipfel soll der nächste sein?
Schwer zu sagen! Wenn ich einen Gipfel bestiegen habe, sehe ich mich um und sehe Berge um mich herum, an denen sich so viele Sachen anstellen ließen! Die Liste der Dinge, die ich gerne tun möchte, wächst viel schneller, als dass ich die Chance hätte, hinterherzukommen. Deshalb werde ich das ziemlich spontan entscheiden. Immer wieder, wenn ich auf einem Gipfel angekommen bin.

So wird jeder Gipfel gleichzeitig wieder zum Ausgangspunkt?
Natürlich, es geht immer weiter. Außerdem ist ein Gipfel für mich viel mehr als ein geografischer Punkt oder ein Ziel, das in einer bestimmten Zeit erreicht werden soll. Jeder Gipfel ist Erinnerung. Er steht für die Emotionen, die wir auf dem Weg zu ihm gesammelt haben. Für die Menschen, die uns begleitet haben – oder unten im Tal auf uns warten.

Nach all diesen Gipfeln, Rekorden, einzigartigen Leistungen: Was hältst du bis heute für deinen größten Erfolg?
Meine größte Errungenschaft ist, dass ich Tag für Tag die Berge genieße.

Und was war der Lauf deines Lebens?
Mein Leben! So wie es bislang gelaufen ist.

Kilian Jornet Burgada / Bild: Scott Markewitz Photography

Der Gipfeljäger
KILIAN JORNET BURGADA wurde am 27. Oktober 1987 in Sabadell (Spanien) geboren. Er ist 7-facher Weltmeister im Skibergsteigen und 6-facher Sieger des Gesamtweltcups im Skyrunning. Er gewann dreimal den Ultra-Trail du Mont-Blanc (2008, 2009, 2011) über 168 Kilometer und 9000 Höhenmeter, siegte beim Western States Endurance Run (2011/161 km) und beim Grand Raid auf La Réunion (2010, 2012/162 km).

Zuletzt stellte er Rekorde bei Speed-Begehungen auf, u.a. am Matterhorn, Montblanc und Denali (Mount McKinley). 2017 bestieg er (ohne künstlichen Sauerstoff) in Rekordzeit den Mount Everest: vom Basislager (5100 m) bis zum Gipfel (8848 m) in 26 Stunden.

Der Ausnahmeathlet (1,71 m/58 kg) hat einen Ruhepuls von 34 und einen Maximalpuls von 205 Schlägen. Jornet ist mit der schwedischen Ultraläuferin Emelie Forsberg liiert und lebt in Måndalen (Norwegen).

Web: www.kilianjornet.cat



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