Hier schreiben die Athleten: Speed-Ass Nicole Schmidhofer über den Gegensatz, ein Gewohnheitstier zu sein und trotzdem Spaß an der Flexibilität zu haben. Gerade Letzteres war für sie in den vergangenen Monaten ziemlich notwendig.
Seit 2007 bin ich im Weltcup-Zirkus dabei, aber so eine Vorbereitung wie diese habe ich noch nicht erlebt. Corona wirbelt auch bei uns vieles durcheinander. Dabei muss ich sagen: Mir taugt es, wenn etwas mal anders abläuft, wenn man sich aus seiner Komfortzone herausbewegt, sich auch mal hinterfragt und gewohnte Abläufe adaptiert. Mir ist es nach solchen Veränderungen meistens gut ergangen.
Zum Beispiel hatten wir heuer schon im Mai einen langen Trainingsblock. Ski fahren im Mai, dagegen habe ich mich immer gewehrt. Aber ich habe festgestellt, dass es cool war, einiges weiterging. Also werde ich es im kommenden Jahr wohl wieder so machen. Wegen Corona fiel das Training in Chile aus und leider auch das Abfahrtstraining in Amerika, das normalerweise das beste und wichtigste des Jahres ist. Immer wenn wir im November dorthin gereist sind, wusste man: Jetzt wird es ernst, die Mannschaft wird zusammengeschweißt, es herrschen Top-Bedingungen.
Um dieses Training tut es mir schon leid, da bin ich ein Gewohnheitstier. Genauso wie um den Saisonauftakt in Lake Louise. Dass der heuer ausfällt, da blutet mir wirklich das Herz. Als das dortige Skigebiet Anfang November eröffnet wurde und ich die ersten Bilder gesehen habe, hat es mich echt traurig gemacht. Puh, dachte ich, da wäre ich schon gerne vor Ort. Natürlich auch, weil es mir sportlich in den vergangenen Jahren immer sehr gut ergangen ist. Drei Siege konnte ich dort zuletzt einfahren, obwohl ich in den zehn Jahren davor nur sehr seltener Gast in den Top 10 war. Aber manchmal ist es einfach so: Du kommst per Zufall drauf, dass du bei einer bestimmten Passage etwas anders machen könntest, und plötzlich bist du so schnell wie noch nie. Dieses Erlebnis hatte ich vor zwei Jahren in Kanada, seitdem läuft es dort wie geschmiert für mich.
Druck ist ein Erfolgskiller!
Nun beginnt der Weltcup für uns Speed-Spezialistinnen in St. Moritz, eine Strecke, an die ich durchaus auch spezielle Erinnerungen habe. Ich habe dort mein erstes Europacuprennen absolviert und bin 2017 Weltmeisterin geworden. Gott sei Dank ist es ein Super-G, das liegt mir dort um Längen mehr als die Abfahrt. Ich finde es generell sehr cool, dass wir diese Saison mit zwei Super-Gs starten, das gab es auch noch nie. Ich hoffe und glaube, dass ich mittlerweile genügend Erfahrung mitbringe, mit solchen speziellen Bedingungen umgehen zu können.
Es wird ohnehin eine Saison, die für mich so schwer zu prognostizieren wird wie noch nie und das nicht nur wegen der Corona-Regeln. Vergangenes Jahr lief es für mich nicht optimal, ich habe mir zu viel Druck gemacht. Weil die Saison davor so unglaublich gut war (Anm.: Gewinn der Abfahrts-Kugel, Zweite im Super-G, Fünfte im Gesamt-Weltcup), wollte ich jedem zeigen, dass das kein Ausreißer war, sondern dass ich wirklich so gut bin und das hohe Niveau halten kann. Das ist mir am Anfang noch gelungen, dann wurde ich krank, es kam ein Einbruch. Und ich habe mir so viele Gedanken gemacht, dass ich dabei auf das Wesentliche vergessen habe: das Skifahren. Druck ist ein Erfolgskiller, das ist meine Lehre aus der letzten Saison.
Ich wollte allen beweisen, dass meine starke Saison kein Ausreißer war und habe dabei auf das Skifahren vergessen.
Deswegen ist mein vorrangiges Ziel, wieder lockerer über den Winter zu kommen. Ich weiß aus Erfahrung: Wenn ich mein Zeug beieinander habe – sprich: wenn Technik und Material passen –, kann ich um den Sieg mitfahren. Das sind die wesentlichen Faktoren, dann kommen die Ergebnisse von selber. Das kann man aber nicht erzwingen, das muss passieren. Ja, natürlich will ich wieder um eine Kugel mitfahren, dafür muss über den gesamten Winter aber alles passen. Im Vordergrund steht aber meine skifahrerische Leistung, darauf will ich mich konzentrieren.
Damit so etwas klappt, muss natürlich auch das ganze Umfeld funktionieren. Und auch da galt es im Sommer, flexibel zu sein. Als mich Trainer Roland Assinger, dem ich in meiner Karriere sehr viel zu verdanken habe, anrief und sagte, dass er nicht mehr dabei ist, war das zunächst einmal ein riesiger Schock. Alles war besprochen, die gesamte Vorbereitung haben wir gemeinsam zusammengestellt. Und plötzlich war er nicht mehr da. Aber auch hier gilt, dass so etwas auch einen positiven Effekt haben kann. Jeder Trainer sieht etwas anderes an deinem Stil, legt einen etwas anders gelagerten Schwerpunkt, davon kann man ja auch profitieren. Ich bin überzeugt, dass wir mit Florian Scheiber, der schon seit zwei Jahren bei uns dabei ist und eine gewisse Ruhe in die Mannschaft bringt, einen Mann haben, mit dem wir uns in die richtige Richtung bewegen. Spätestens seit wir 2016 gemeinsam im Spital auf unsere Kreuzband-OPs gewartet haben, haben wir einen sehr guten Draht zueinander.
Es ist eben das Zusammenspiel von Gewohnheit und Flexibilität, das eine erfolgreiche Mischung ausmacht.