Er steuert sein Flugzeug bis an die Grenzen der eigenen Belastbarkeit – um draußen in der freien Natur wieder runterzukommen. Hannes Arch zählt zu den besten Piloten der Welt. Und obwohl auch er sich der Schwerkraft nicht entziehen kann, spielt er das Spiel des Lebens nach seinen ganz persönlichen Regeln, erzählt er im Interview mit SPORTaktiv.


Hannes, mit einem Flugzeug auf Zeit durch einen Kurs aus Pylonen zu fliegen ist keine der üblichen Sportarten. Wie kommt es dazu, so etwas zu tun?
Die Karriere eines Air Race Piloten kannst du dir nicht auf die Wunschliste schreiben. Es ist das Leben, das dich dorthin treiben muss, und dafür bedarf es einiger Grundvoraussetzungen. Du musst eine Passion für das freie Fliegen haben, das übrigens nicht viel mit dem Fliegen in einem Linienflugzeug zu tun hat, in dem man irgendwelche Knöpfe drückt. Du musst die Bewegung in der Luft annehmen, den sportlichen Zugang zum Fliegen finden.

Und wo finde ich den?
Zum Beispiel beim Paragliden. Hier spürst du das Fluggerät, und so hat es auch bei mir begonnen. Ich war in der Entwicklung tätig, habe an Weltcups teilgenommen und irgendwann den logischen Schritt zum Kunstflug gemacht. Dann war ich zur rechten Zeit am rechten Ort und habe heute das Privileg, Air Race Pilot zu sein.

Siehst du dich als Sportler oder eher als Führer eines technischen Gerätes?
Es ist Motorsport und kombiniert beide Komponenten. Natürlich musst du dich möglichst gut vermarkten. Nur so erhältst du über Sponsoren das nötige Geld, um in die Technik investieren zu können. Aber erst einmal musst du körperlich und mental topfit sein. Sonst bringen dir auch die besten Sponsoren nichts.

Bei bestimmten Manövern während deiner Rennen wirken Kräfte auf den Körper, die dem Zehnfachen des eigenen Gewichtes entsprechen. Wie erlebst du eine solche Belastung?
Wenn ich den Knüppel scharf ziehe, stellen sich mein Kopf und meine Muskulatur bereits darauf ein. Dann folgt ein Schlag auf den ganzen Körper. Eine untrainierte Person würde dabei augenblicklich ohnmächtig. Du kämpfst dagegen an – mit deiner Rumpfmuskulatur, aber auch mental. Deshalb ist es wichtig, eine gewisse Aggressivität mitzubringen. Wenn du in den Flieger steigst, musst du zu hundert Prozent auf Angriff programmiert sein. Nur so kannst du diese Situation ertragen.

Und du findest sogar noch die Ideallinie zwischen zwei Flugtoren ...
Das ist die Aufgabe im Rennsport: Mit eingeschränkten Mitteln so perfekt wie möglich zu agieren. Das ist nicht so einfach, denn bei diesen Kräften schränkt sich dein Gesichtsfeld ein, die Umgebung wird unscharf, das Bild kann sogar schwarz-weiß werden.

Wie trainierst du für solche Situationen? An Fitnessgeräten?
Nein, ich gehe nicht ins Studio. Beim Fliegen geht es nicht darum, bestimmte Gewichte stemmen zu können. Entscheidend ist die gesamtkörperliche Fitness. Die Ausdauer. Ich gehe oft klettern, im Winter mach ich regelmäßig Skitouren. Hier in Salzburg laufe ich abends gerne auf den Untersberg und fliege mit dem Paraglider wieder runter. Die Natur ist das beste Trainingsgelände. Außerdem finde ich hier draußen meine innere Ruhe.

Weil man bei der vielen Fliegerei auch mal wieder runterkommen muss?
So ungefähr. Mein Leben ist teilweise sehr entfremdet von der Realität. Mit mir persönlich hat das oft nichts mehr zu tun. Du steckst so viel Energie in Sponsorentermine, in Interviews mit Journalisten. Du bist die ganze Zeit nur am Geben. Draußen in der Natur kann ich mir die Kraft zurückholen, um dann wieder in den Flieger zu steigen und das alles wegzustecken.

Geerdet: Im Winter hält sich Überflieger Hannes Arch vor allem mit Skitouren fit – und holt sich in der Natur seine mentale Stärke. / Bild: Red Bull PhotofilesTrainierst du deine mentale Stärke ausschließlich auf einsamen Unternehmungen in der Natur? Oder gibt es spezielle Übungen, um die Konzentrationsfähigkeit zu optimieren?
Mentale Stärke besteht immer aus zwei Faktoren. Erst einmal musst du wissen, wo du zuhause bist. Was dir die Sicherheit gibt, dieses Spiel hier zu rechtfertigen. Du kannst deine Seele nicht überlisten, du musst wirklich bei dir sein. Nur so wirst du zu hundert Prozent hinter dem stehen, was du tust, und keine Fragen mehr stellen. Das ist die Basis deiner Stärke. Und dann kannst du diese Stärke noch weiter trainieren – mit Übungen, die deinen Geist auf den Punkt bringen. Du kannst dich ganz gezielt runterholen, wenn du nervös bist. Und hochholen, wenn du dich abgeschlagen fühlst.

Wie funktioniert das konkret?
Es sind Bilder. Mit ihnen kann ich meinen Geist aktivieren und meinen Körper einstellen.

Welche Bilder sind das?
Diese Bilder sind persönlich, darüber redet man nicht. Mir hat ein Mentaltrainer dabei geholfen, meine Persönlichkeit zu analysieren und herauszufinden, auf was ich reagiere. Das ist wie eine große Kiste, in der du wühlen kannst und die richtigen Bilder raussuchst. Mit diesen trainierst du dann, dich in Stimmungen zu versetzen. Je mehr du übst, desto stärker wirst du darin. Das ist kein Hokuspokus. Es sind Hausaufgaben, die du erledigen musst, um zum perfekten Zeitpunkt voll angreifen zu können.

Und so schaffst du es, dauerhaft die Spannung hoch zu halten?
Nicht dauerhaft. Zwischen den Rennen kannst du schwach sein. Auch mal demotiviert. Das ist überhaupt kein Problem. Im Gegenteil – ich brauche das sogar. Aber je näher ich dem Rennen komme, desto mehr drehe ich auf. Wenn du diesen Rhythmus raus hast und einhältst, dann bist du schon mal gut aufgestellt.

Gibt es dennoch Situationen, in denen du die Kontrolle verlierst?
Wenn man dauerhaft ans Limit geht, besteht dieses Risiko natürlich. Im kanadischen Windsor bin ich mal ein Tor angeflogen, das nur noch schwer zu erreichen war. Ich dachte, ich schaffe es, aber der Turn wurde zu eng. Das Flugzeug hat nicht mehr mitgespielt, es kam zu einem Strömungsabriss. Ich bin auf das Wasser zugesteuert, habe abgewartet, bis sich der Flieger stabilisiert und ihn dann gerade noch hochziehen können. Ich hatte nur zwei oder drei Zehntelsekunden, um überhaupt zu reagieren. Das war wirklich nur mehr reine Intuition.

Was nimmt man aus so einer Grenzsituation mit? Dass man auch mal Glück haben muss?
Wichtig ist, für die Zukun daraus zu lernen. Ich denke, das ist der Schlüssel …

Video von Hannes Arch im Einsatz


Du machst dir reichlich Gedanken über dein Leben. Warum setzt du es bei Aktionen wie einem Base Jump aus der Eiger-Nordwand aufs Spiel?

Der Antrieb, so etwas zu tun, ist ein extrem bejahender Zugang zum Leben. Ich möchte mich immer weiterentwickeln. Ich will spüren, wozu ich in der Lage bin. Und wenn du dieses Vorhaben Jahr für Jahr vorantreibst, dann landest du irgendwann ganz automatisch bei riskanten Aktivitäten. Aber ich beschäftigte mich so intensiv mit dem Risiko, dass ich am Ende kaum noch eines eingehe. Sonst würde ich nicht springen. Ich suche das Risiko, bin aber keinesfalls risikofreudig.

In diesem Umgang mit dem Risiko findest du deine persönliche Erfüllung?
Ganz genau. Ich reduziere das Risiko so weit wie möglich und lerne dabei, was ich mit meinem Körper und meinem Geist erreichen kann. Kolumbus hat seine Erfüllung in Amerika gefunden. Ein Maler findet seine Erfüllung in der Kunst. Und ich finde meine beim Air Race oder Base Jumping.

Verstehst du Menschen, die mit einem ganz normalen Leben zufrieden sind?
Natürlich kann man mit 1.000 Leuten über einen Zebrastreifen gehen, ohne nach links oder rechts zu schauen. Das ist wunderbar komfortabel. Wenn jemand ein Leben ohne jegliches Risiko nicht als langweilig empfindet, dann ist das auch vollkommen okay. Aber ich habe eben herausfinden dürfen, was wirklich wichtig für mich ist. Und wenn du das getan hast, gibt es keine Alternative mehr. Jedenfalls nicht, wenn du konsequent bist – und ehrlich zu dir selbst.

Denkst du, dass viele Menschen niemals herausfinden, was sie wirklich glücklich macht?
Naja, das System verleitet dich eben, das Leben auf eine bestimmte Weise zu leben. Du gehst in die Schule und studierst – und wenn du einen Anzug anhast, brav die Kohle nach Hause bringst, fünf Kinder und ein Haus hast, vielleicht auch schon die Enkelkinder unterwegs sind – dann ist es das perfekte Leben. So wird es vorgelebt und so versuchen viele Menschen es auch nachzuleben. In unserer Zeit geht es leider immer weniger um das Individuum selbst. Obwohl nur dort der wahre Wert des Menschen liegt.

Hannes Arch: " Ich möchte mich immer weiterentwickeln. Ich will spüren, wozu ich in der Lage bin." / Bild: Red Bull PhotofilesUnd warum trauen sich die Menschen nicht auszubrechen?
Ausbrechen ist unangenehm. Die Leute zeigen mit dem Finger auf dich, sie stellen sich gegen dich. Deshalb musst du mutig sein, du brauchst Vertrauen in dich selbst. Und das fehlt vielen dieser Menschen. Stattdessen haben sie eine Riesenangst zu versagen. Obwohl sie nach Spielregeln spielen, die sie gar nicht aufgestellt haben. Ich sage mir immer: So lange ich niemandem damit schade, kann ich machen, was ich will. So erlebe ich meine Erfüllung. Und die direkte Rechtfertigung, dass ich das Richtige tue. Was auch immer das ist.

Aber ganz egal, wie man sein Leben gestaltet: Jeder von uns scheint die Sehnsucht nach dem Fliegen in sich zu tragen. Woher kommt das?
Es liegt wohl daran, dass wir durch die Schwerkraft gebunden sind. Hier auf der Erde ist unsere Heimat. Aber diese Heimat bringt eine gewisse Enge mit sich, obwohl dort oben so viel Platz wäre. Wenn du deinen Horizont erweitern willst, wenn du weiter sehen möchtest, dann musst du dort hinauf. Du kannst auf einen Berg steigen – oder eben fliegen. Da bist du zwar unfrei, weil du an dein Flugzeug gebunden bist, aber du lässt die Enge der Erde hinter dir. Diese Kleinlichkeit. Die Räumlichkeit der Luft ist einfach ein erhebendes Gefühl.

So schön es da oben ist, am Ende musst du doch wieder landen. Gibt es auch etwas, das dich so richtig erdet?
Um runterzukommen, muss ich raus in die Natur. Du bewegst deinen Körper, bist alleine und ganz nahe bei dir. Jetzt spürst du, was dich aufwühlt, und fühlst, was dir wichtig ist. Wenn das geschehen ist, kannst du wieder ins Leben eintauchen, wo du die ganze Zeit von vorne und von hinten, von links und von rechts rumgestoßen wirst. Dann bist du stark genug, um das Spiel des Lebens auf deine Weise mitzuspielen.


Hannes Arch im Interview: "Ich gehe nicht ins Studio!" / Bild: Red Bull PhotofilesDER ÜBERFLIEGER
Hannes Arch wurde am 22. 9. 1967 in Leoben (Steiermark) geboren. Mit 15 Jahren startete er seinen ersten Alleinflug in einem Hängegleiter, wurde als „Internationaler Ski- und Bergführer“ zertifiziert und kletterte schwerste Routen, u. a. am legendären El Capitan im Yosemite-Nationalpark. 1997 triumphierte er beim Schweizer „Vertigo“, der ersten WM der Gleitschirm-Akrobatik. Er absolvierte spektakuläre B.A.S.E. Jumps von der Eiger-Nordwand und vom Matterhorn. Seit 2007 ist er Pilot bei der Red Bull Air Race Serie, wurde einmal Weltmeister und heuer zum zweiten Mal Vize-Weltmeister. Hannes Arch ist mit der deutschen Moderatorin und Stuntfrau Miriam Höller liiert und lebt in Salzburg.
Weitere Infos findest du auf www.hannesarch.com


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