Er läuft gern, wie so viele. Er liebt den Himalaya, wie so viele. Doch, wie gerade mal ein Dutzend Menschen im Jahr, verbindet der deutsche Autor Peter Hinze beides in extremster Form: 95.551 Höhenmeter, 1865 km, 87 Tage. The Great Himalaya Trailrun.
The Great Himalaya Trailrun führt von Ost nach West durch Nepal. Start ist im Basislager des Kangchendzönga-Gebirges. Ziel in Darchula. Die Richtung ist klar, die Strecke nicht fix. Die extreme Natur erzwingt Flexibilität. Pro Jahr wagen sich nur 20 bis 30 Personen an diese weit über die körperliche Leistung hinausgehende Herausforderung heran. Nicht einmal die Hälfte schafft es. Das liegt, so Hinze, „am Schicksal“.
Wie ist denn die Idee entstanden, quer durch den Himalaya zu laufen?
Den Himalaya, wie wir ihn kennen, gibt es in fünf bis zehn Jahren nicht mehr. Durch moderne Straßen, dramatischen Klimawandel und Smartphones ändert sich enorm viel. Die bekannte „Romantik“ geht verloren. Deshalb wollte ich die Weltregion einmal besonders intensiv erleben und sehen, welche Menschen und welche Traditionen es gibt.
Und das gelingt, wenn du läufst?
Für mich ist Trailrunning Bewegung in der Natur, Menschen treffen und Landschaftsgenuss. Im Himalaya spielt der Rekord keine Rolle. Hätte ich es einzig als hochsportliche Herausforderung gesehen, wäre die Strecke zehn Tage schneller zu schaffen gewesen. Die Eindrücke dieser drei Monate waren enorm stark. Es gab so viele intensive Erlebnisse, dass ich anfangs dachte, sie für mich behalten zu müssen.
Beispielsweise?
Wir haben etwa zwölf Tage lang keinen Ausländer gesehen. Oder: Du bist in einer ganz anderen Kommunikationswelt – von einem Tag auf den anderen auf null. Und man hat nur das, was man selbst mithat. Geht ein Schuh kaputt, kann man keinen neuen kaufen.
Wie kann man sich den Great Himalaya Trail vorstellen?
Tourismus in abgelegene Teile Nepals zu bringen, war vor Jahren die Idee, die dem Trail zugrunde liegt. Und doch gibt es keine ausgeschilderte Route. Auf der gesamten Strecke habe ich vielleicht drei Schilder zum Trail gesehen. Er ist eine Verknüpfung bestehender Wanderrouten, Handels- und Fahrwege.
In welchen Höhenlagen seid ihr unterwegs gewesen?
Meist zwischen 3500 und 4300 m. Zwölf Passüberquerungen führten bis über 5000 m. Höchster Punkt war ein Pass mit 5755 m Höhe. Am tiefsten waren wir nahe Mane Bhanjyang auf 357 m. Tagsüber hatte es da Temperaturen über 35 Grad Celsius.
Wie hat sich denn dein Team zusammengesetzt?
Ich war meist mit drei Einheimischen unterwegs, der Orientierung, der Sprache und des Gepäcks wegen. Gleichzeitig ist es mir wichtig, dass ich in der Region etwas hinterlasse. Wenn man zu viert isst und übernachtet, bringt das dem Gastgeber mehr.
Wie haben die Einheimischen auf euch reagiert?
Man ist ein Fremder. Und doch spürten wir hohen Respekt, wenn wir erzählten, woher wir zu Fuß kommen. So hatten wir einen anderen Zugang zur Bevölkerung, zumal wir mehr als die Hälfte der Tage bei Bauern oder Händlern gegessen und übernachtet haben. Vielerorts gibt es keine Lodges.
Zurück zur sportlichen Herausforderung, so viele Tage am Stück zu laufen. Wie gelingt das unter Bedingungen, die im Westen unvorstellbar sind?
Für Außenstehende ist es sicher verrückt. Doch es ist erstaunlich, wie schnell sich der Körper darauf einstellt, täglich bis zu 12 Stunden sehr beansprucht zu werden. Das dauert nicht einmal zwei Wochen. Zuhause würde mich das gleiche Pensum wahrscheinlich mehr anstrengen.
Wo liegen die Gründe dafür?
Die Umwelt in Nepal hat einen großen Einfluss. Man ist nach zwei Wochen so entspannt und eins mit der Landschaft, dass man die sportliche Belastung nicht mehr als solche empfindet. Dann hat man eine Flow-Phase erreicht, die für mich Motivation ist, weiter zu laufen.
Wie bist du diesen Mega-Trail angegangen?
Man kann nicht ins Blaue hineinlaufen. Viele Nepalreisen seit 1982, Wissen um das Land und der gute Kontakt zu Einheimischen haben es erst möglich gemacht. Trotzdem hat die Vorbereitung ein Jahr gedauert. Speziell das Einbeziehen der geografischen Bedingungen ist schwierig. Wenn man etwa am Ende eines Tages noch über einen hohen Pass muss, dann muss man so planen, dass man es auch schafft. Das allerdings macht es spannend.
Wo liegt für dich der Unterschied zwischen Europa und Nepal?
Wenn ich zuhause 25 km laufe, weiß ich, wann ich wieder retour bin. In Nepal weiß man am Morgen nie, ob man am Abend dort sein wird, wo man will. Einen Plan B muss man immer haben.
Der Trail wird, des Wetters wegen, in der Regel in zwei Teilen bewältigt – im Frühjahr und im Herbst. Wie hattest du es angelegt?
Die erste Hälfte haben wir im März und April (37 Tage, 675 km) gemacht. Weil 2017 sehr schneereich war, hat der erste Teil unter Schnee gelitten. Die zweite Hälfte (50 Tage, 1190 km), am Ende des Monsuns im Oktober und November, war anfangs von viel starkem Regen, vielen Blutegeln und Überschwemmungen geprägt.
Wo hattet ihr die größten Schwierigkeiten?
Am 28. Tag hatten wir einen extremen Schneesturm an einer der ohnehin schwersten Stellen des ganzen Trails. Das war im Everest-Gebiet, am Tashi Labsta Pass (5755 m). Wir konnten von der Passhöhe nicht absteigen, weil zu viel Schnee am folgenden Gletscher lag. 100 km Umweg waren die Folge. Von allen Regionen am schwierigsten war es in Dolpo (Tage 68 bis 73) im Nordwesten. Sehr abgeschieden gilt sie als die letzte Region in Nepal, die von keiner Straße erschlossen ist. Es besteht sehr wenig Verpflegungsmöglichkeit, was bedeutet, dass man viel Essen mitnehmen muss. Weil es kaum Dörfer gibt, gibt es auch kaum Unterkünfte. Und die Höhe ist extrem. Dort hatten wir an einem Tag drei Pässe über 5000 m zu bewältigen.
Wie lief denn so ein normaler Tag dort ab?
Sechs bis zehn Stunden sind wir pro Tag gelaufen, vor allem abhängig vom Gelände. Die Tage begannen, angepasst an die Gegebenheiten, extrem früh, meist zwischen 4.30 und 5.30 Uhr. Los ging es meist vor 7:00 Uhr. Das Abendessen – sehr oft Dhal Bhaat, ein Reisgericht mit Linsen, oder Kartoffel – gab es um 18 Uhr. Entsprechend früh, gegen 20 Uhr endet der Tag. Schlafen war schwierig. Da alle zusammen schlafen, gibt es viel Unruhe.
Hattet ihr auch Ruhetage?
Ab und zu ein freier Tag ist wichtig. Bei uns waren es insgesamt fünf. Zum Proviant Einkaufen, Wäsche waschen, Bilder sortieren und etwas Kommunikation via Internet.
Hattest du eigentlich gesundheitlich Probleme?
Wenn man mit Trailschuhen im Schnee läuft, werden die Schuhe irgendwann nass. Da es keine Heizung gibt, sind sie es am nächsten Morgen immer noch. Deshalb hatte ich einmal eine starke Erkältung. Das zweite mögliche große Problem ist Durchfall. Deshalb muss man sehr vorsichtig mit dem Essen sein. Ich hatte ganz zum Schluss einmal Durchfall. Und als Folgen eines Sturzes gab es noch ein Problem: kleinere Wunden, die sich entzündet hatten. Da musste ich das einzige Mal in eine Krankenstation.
Und die Füße?
Die höchste Konzentration der Pflege muss den Füßen gelten. Hat man erst einmal Blasen, wird das tägliche Laufen schnell unmöglich. Ich hatte zum Glück keine Blasen. Insgesamt muss man sehr auf den Körper und die Hygiene achten. Wenn etwa die Hose im Schritt scheuert, hat man tatsächlich ein Problem.
Welche Kleinigkeiten werden plötzlich wichtig?
Eine Nagelschere ist aufgrund der langen Dauer unumgänglich. Denn es gibt keine, die man ausborgen könnte. Oder: Man muss sich so organisieren, dass man im Quartier, in dem es oft keinen Strom gibt, im Dunkeln alles griffbereit hat. Und dicke Socken sowie Badeschlapfen, keine Flip-Flops, die kann man mit dicken Socken nicht anziehen – denn warme Füße retten den Abend.