Rutschige Wurzeln, tiefer Schotter, nasse Steine, steile Rinnen. Und mittendrin eine Frau und ihr Mountainbike. Für viele gar keine lustige Kombination. Für SPORTaktiv startete Magdalena Sassmann den Selbstversuch – und kämpfte im „Fahrtechnik-Trainingscamp für Frauen“ gemeinsam mit Leidensgenossinnen gegen die Angst und macht sich mit vielen Tricks das Bikerinnen-Leben leichter.
Unsere Fahrradreifen graben sich durch den Schlamm, der Boden ist vom Regen der letzten Wochen völlig aufgeweicht, Äste liegen kreuz und quer, die Wege sind ausgewaschen. Alles fügt sich der Natur. Auch ich: Ich rutsche leicht seitwärts den Waldweg hinunter, und frage mich, wer hier wen lenkt: ich das Rad oder das Rad mich? Ich erinnere mich an den Tipp unserer Mountainbike-Trainerin Gundi Rabeder: „Das Rad sucht sich schon seinen Weg, lass es fahren.“ Im Moment bestimme aber noch ich, bremse – und steige ab.
STUNDEN ZUVOR
15 Frauen und hohe Erwartungen! Wir sind am Eggergut in der Mondseer Gegend. Noch glänzen die Specialized Test-Mountainbikes, die Radsport Wagner, der Salzburger Veranstalter dieses Spezialcamps, zur Verfügung stellt, in der Sonne, während sich die zwölf Teilnehmerinnen und drei Trainerinnen vorstellen. Jede definiert ihre Erwartungen an die zwei Trainingstage und ich atme innerlich auf. Anscheinend steht bei allen die Sicherheit im Vordergrund, gleich, ob Anfängerin oder Fortgeschrittene.
UPHILL UND DOWNHILL
Bevor wir ins Gelände starten, trainieren wir in der Wiese ein paar Basics unter der Anleitung von Trainerin Gundi Rabeder. Ich lerne, ohne Widerstand zu schalten, indem ich vorher Schwung nehme – das ansonsten so vertraute Krachen und Erbeben des gesamten Rades bleibt aus. Gundi, die staatlich geprüfte Mountainbike-Trainerin, erklärt uns vorab auch die unterschiedlichen Downhill-Positionen: Wir stehen auf den Pedalen, die waagrecht, auf gleicher Höhe zueinander stehen. Die Arme sind gestreckt und das Gesäß befindet sich, je nach Steilheit des Geländes, knapp hinter dem Sattel oder sogar knapp über dem Hinterreifen. Mit abgesenktem Sattel tut man sich zusätzlich etwas Gutes.
Die kleine Böschung auf der Übungswiese bietet sich an, um diese Technik zu perfektionieren. Praktischerweise ist Gundi hauptberuflich Sportlehrerin und beherrscht ihr Handwerk: Sie sichert jede Einzelne, spricht uns gut zu und lobt solange, bis wir die Böschung als ebenbürtige Partnerin im Gelände akzeptieren.
GELÄNDETAUGLICH
Doch wer den Berg runterfahren will, der muss ihn auch erklimmen. Die Uphill-Positionen sind schnell erklärt: Ellbogen nach innen ziehen, und je steiler das Gelände wird, desto weiter rutscht man am Sattel nach vorn. Am Schotterweg trainieren wir zum Abschluss des ersten Vormittags noch den richtigen Umgang mit der Bremse. Unter Anleitung von Sibylle Wagner, die einst Zweite beim Downhill-Weltcup in Lillehammer war und nun Geschäftsführerin von Radsport Wagner ist. Für sie ist das richtige Bremsen Basic Nummer eins: „Es wäre mein Wunsch, dass jede Mountainbikerin nur mit einem Finger bremst. Denn so könnt ihr den Lenker besser festhalten und seid sicher unterwegs.“
PRAXISTEST IM GELÄNDE
Gerüstet mit diesen neuen Techniktipps starten wir am Nachmittag zu einer ersten kurzen Tour in die freie Wildnis. Wir fahren in zwei Leistungsgruppen, sodass jede auf ihre Kosten kommt. Bergauf geht’s wirklich gut voran, ein ganz neues Fahrgefühl: Durch den Trick mit den angelegten Ellbogen kann ich mein Gewicht nun automatisch nach vorn verlagern. Mein Vorderrad bleibt dort, wo es sein soll: am Boden. Und runter? Der Untergrund ist weich und rutschig, die Luft ist schwül – kein gutes Gefühl. Aber Gundi sichert uns bei schwierigen Downhill-Passagen, manche Stellen üben wir wieder und wieder. Immer dran denken: Den Körperschwerpunkt so weit wie möglich nach hinten verlagern. Und für den Fall, dass im steilen Gelände bergab gar nichts mehr geht, zeigt uns Gundi eine elegante Variante für sturzfreies Verlassen des Rades: den Abstieg nach hinten. In einer steilen Rinne verlagere ich den Schwerpunkt weit hinter den Sattel – und habe fast keine andere Wahl, als mit einem Fuß hinter das Rad abzusteigen. Ich habe mir fest vorgenommen, diese Edelvariante in Zukunft dem Köpfler vorzuziehen.
TRAINING SCHAFFT SICHERHEIT
„Wer hat Schmerzen?“, fragt Sibylle am zweiten Tag in die Runde. Zwei Kolleginnen melden sich mit Prellungen und Abschürfungen. Wir diskutieren kurz die Notwendigkeit von Stürzen und in der ehrgeizigen Frauenrunde manifestiert sich die Meinung: „Die gehören wohl dazu, aber kommen durch viel Training hoffentlich seltener vor.“ Mehr Beachtung schenkt die Runde diesem Thema nicht und ich frage mich kurz, auf welchem Endorphin-Trail wir den Wunsch nach Sicherheit abgeworfen haben. Einmal mehr bin ich froh, dass uns bei jeder Übung eine sichernde Hand angeboten wird.
Hochmotoviert starten wir ins Training: Gleichgewichtsübungen helfen dabei, länger am Rad stehen zu können und in kniffligen Situationen und auf engen Trails nicht sofort absteigen zu müssen. Wir fahren Slalom: mit dem Vorderrad rechts, mit dem Hinterrad aber links am selben Hütchen vorbei. Mit einem Mal bekomme ich ein Gefühl für mein Rad, es lässt sich lenken. Die Angst, umzufallen, sinkt. Im übertriebenen Wiegetritt lote ich die Grenzen der Fliehkraft aus und bleibe aufrecht, wo ich früher längst gelegen wäre.
Video: Technik-Tipps fürs Mountaibike
DIE BARRIERE IM KOPF
Wir fahren enge Kurven, trainieren Spitzkehren. Wir versuchen, das Vorderrad über Baumstämme und Paletten zu reißen, ohne mit dem Hinterrad hängenzubleiben oder vorn rüber zu köpfeln. Ich merke, dass künstliche Hindernisse auch im Kopf für Barrieren sorgen, Gundi aber sagt nur: „Du musst schon dran glauben, dass du drüber kommst.“ Unsere Trainerinnen sichern uns trotzdem bei jeder Übung, auch meine Bruchlandung in die Palette fangen sie ab. So lässt sich der gemeine Schweinehund einfacher überwinden. Coach Sibylle, die fünffache österreichische Meisterin, springt mit Leichtigkeit über alle Hindernisse, federt elegant ab und beschleunigt konzentriert: „Ich will endlich wen rutschen sehen“, kommentiert sie unsere ersten zaghaften Versuche, auf der feuchten Wiese die Kurven schnell und eng zu fahren.
Unsere zweite Tour führt wieder durch den völlig durchnässten Wald. Ich schlittere vor mich hin, daran hat sich nichts geändert. Aber ich fahre vorausschauend, scanne das Gelände, wähle meinen Weg selbst. Und im Gegensatz zum Vortag erkenne ich, dass es zu Fuß ebenso rutschig wäre, bleibe am Bike stehen, hänge mich nach hinten, bremse sachte mit einem Finger. Und schau an: Das Bike bleibt standhaft – und ich auch.
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