Tür auf zum Hans-Berger-Haus im Tiroler Kaisertal: Silvia Huber (55) plaudert über den Alltag als Hüttenwirtin, 16-Stunden-Tage und wandernde Bücher. Dabei könnte sie heute Politikwissenschafterin sein. „Ich bereue nichts.“
Die Kontraste werden es wohl sein. Tiroler Almhütte mit Bergsteigerschule trifft auf TippTopp-Internetauftritt, ein Sozialprojekt in Nepal und eine Hüttenwirtin mit Standard-Abo. Und die Hüttenwirtin im Besonderen schafft es, die schroffe, felsige Umgebung mit umso größerer Herzlichkeit zu entschärfen. „Gastfreundschaft ist eine Herzensangelegenheit“, steht auf der Homepage des Hans-Berger-Hauses, in dem Silvia Huber die Chefin ist. Genauer gesagt „Herrin der Lage“, so heißt es auf einem Schild über der Tür. Und daneben als gut gemeinte Warnung: „Viele Köche verderben die Köchin.“ Hier am Wilden Kaiser regiert die 55-Jährige als „Wilde Kaiserin“.
Es ist ungewöhnlich, was Huber hier im Kaisertal nahe Kufstein auf 936 Metern Seehöhe, zweieinhalb Stunden Fußmarsch vom letzten Parkplatz entfernt, anbietet. Seit sie sechs Jahre alt ist, lebt sie hier oben, reifte schon als Junge neben ihrem Papa, der Bergsteigerlegende Adi Huber, zu einer hervorragenden Kletterin und führte Haus und angeschlossene Bergsteigerschule ihres 2015 verstorbenen Vaters weiter. Ihr Vater stammte aus dem obersteirischen Palfau, war Bürgermeister, Ausbildungsleiter bei der Bergrettung und schaffte 1971 die Erstbegehung des 7751 Meter hohen Dhaulagiri II im Himalaya. „Er war extrem belastbar, das habe ich wohl von ihm“, sagt seine Tochter Silvia und lacht.
Ihre Arbeitstage beginnen um 6.30 Uhr mit dem Frühstück für die Gäste und enden nach 22 Uhr mit dem Abendessen und einem Tratscherl in der Stube. „16-Stunden-Tage sind keine Seltenheit“, sagt sie. Und, nur um das klarzustellen: sieben Tage Arbeit in der Woche. „Sechs Monate im Jahr sind wir auf der Hütte und da geht es quasi ohne Pause durch. Vielleicht schauen als Highlight drei, vier freie Tage raus, da entlastet mich mein hervorragendes Team.“ Im Winter beschäftigen sie die Organisationsarbeit, die Buchungen (80 % ist bis Anfang Mai fixiert) sowie Vor- und Nacharbeiten. Ein Job fast rund um die Uhr. Wie hält man das aus? Von ihrem Vater bekam sie neben der Ausdauer auch einen wertvollen Tipp: „Wenn du das aushalten willst, musst du einmal im Jahr für vier Wochen abhauen. Und das mache ich. Wenn i weg bin, bin i weg.“ Vier Wochen im Spätherbst lässt sie die Hütte Hütte sein und tankt neue Energie.
Kein Gesudere
Silvia Huber macht aber noch viel mehr: Sie bietet Ladies-only-Kletterkurse an, mit der Kufsteiner Autorin Brigitte Weninger Schreibseminare und das „Frauen.Berge.Projekt“, auch Seminare für Mann und Frau („Zeit.Genuss“). Zu Saisonbeginn gibt es Kochworkshops samt Wanderungen, wo die Kräuter der Saison gleich zu Girschknödeln oder Brennnesselspinat verarbeitet werden. „Wir arbeiten regional und nachhaltig. Das sagt zwar eh jeder, aber der Ochs hat bei uns keine 20 Kilometer zwischen Bauernhof, Metzgerei und Teller.“ Huber ist mit Leib und Seele Hüttenwirtin und mit Begeisterung Köchin. „Ich koche einfach gerne. Leider habe ich zu wenig Zeit. Müsste ich nur kochen, einkaufen und Menüs zusammenstellen, wäre ich der glücklichste Mensch der Welt. Deshalb kann ich das Gastronomie-Gesudere gar nicht mehr hören“, sagt Huber. „Leute, machts, was ihr gerne tuts! Dann haltet man alles aus. Die meisten sind halt zu feig dafür“, meint die Herzliche, die auch eine Resolute sein kann. „Nicht alle Gäste kommen mit unserer Offenheit und Direktheit klar.“
Der Weg als Hüttenwirtin wurde ihr scheint’s in die Wiege gelegt. Dabei hatte sie anderes im Kopf. Nach Matura und Tourismuskolleg wollte Huber eigentlich Politikwissenschaften studieren. „Ich hatte die besten Zeugnisse, alle haben mich um meine Chancen beneidet.“ Doch der rigide Stundenplan ließ sich nicht mit der Mithilfe im Hans-Berger-Haus vereinbaren. Mit nur 26 Jahren übernahm sie schließlich das Haus. „Ich war noch sehr jung, aber ich habe es bis heute nie bereut.“ Nur eben die erwähnte Auszeit muss sie sich zwischendurch nehmen, damit im Wohnsitz unten im Kufsteinerland auch Zeit für die Familie (Lebenspartner, Mutter, erwachsener Sohn) bleibt.
Müsste ich nur kochen, wäre ich der glücklichste Mensch der Welt.
Nahrung für den Kopf
In der 2009 generalsanierten Hütte gibt es auch eine Bibliothek, damit die Gäste nicht nur für den Magen und Rest-Körper, sondern auch für den Kopfinhalt etwas bekommen. „Unsere Gäste können lesen“, lacht sie, „und eben nicht die herkömmliche Hüttenliteraratur.“ Die „erste Gipfelbibliothek der Welt“ hat auch einen wunderbaren Ableger: Nach dem Motto „Literatur in der Natur“ gab Huber ihren Bergführern in wetterfesten Taschen 25 Bücher mit, die sie auf den Gipfeln der Region hinterlegten. Darin findet sich eine Notiz: „Als Finder musst du das Buch lesen, dich dann bei uns melden und das Buch an einen anderen Gipfel bringen.“ So begannen faszinierende Reisen über die Landes- und Staatsgrenzen hinaus. Bis nach Südafrika, Peru und Nepal haben es die literarischen Werke dank Hubers Gipfelbibliothek geschafft. Zimmer und Lager haben in Summe 50 Betten, 90 Prozent der Gäste kommen interessanterweise aus Deutschland, vorwiegend Mittel- und Norddeutschland. Die bleiben dann zum Wandern auch eine ganze Woche. „Generell haben wir eine bunte Gästeschicht, individuelle und besondere Gäste. Gastgeber und Gäste müssen sich irgendwie ansprechen.“ Statt Stornogebühren gibt es oben im Kaisertal übrigens die freundliche Bitte nach der Spende für das Sozialprojekt „Namaste“ in Nepal. Dort hat sich schon Hubers Vater mit Projekten für Sherpa-Familien eingesetzt.
Für die ganz Kleinen gibt es im Hans-Berger-Haus einen Spielplatz, für Größere eine Boulder-Anlage. Apropos: Beim Bouldern sieht man auch Silvia Huber noch ab und zu. Nur die richtige Kletterei hat sie mittlerweile gelassen. „Das raubt so viel Energie in der Planung.“ Die steckt Huber lieber in die Bewirtung ihrer Gäste.